Hamburg. Die 31-Jährige aus Norderstedt tritt bei den Special Olympics an. Rechtzeitig zu den Weltspielen erscheint auch ihre Geschichte.
Der Koffer für ihre nächste große Reise ist schon gepackt – mit der Ausstattung, die alle Olympioniken des deutschen Teams vorab bekommen haben, darunter eine schicke rote Jacke.
Eigentlich mag Valentina Beck Pink lieber, „das ist meine Lieblingsfarbe“, sagt die 31-Jährige, aber für die Weltspiele in Berlin akzeptiert sie die andere Farbe ohne Widerspruch. Wenn vom 17. bis zum 25. Juni 2023 die Special Olympics World Games in Berlin, bei denen auch viele Norddeutsche teilnehmen, über die Bühne gehen, tritt die junge Frau aus Norderstedt in der Disziplin Radfahren an. Sie wird ein Fahrrad mit drei Rädern benutzen.
Special Olympics 2023: Wie aus Olympionikin Valentina eine Kinderbuchfigur wurde
Valentina ist klein und sehr zierlich. Sie hat den Körperbau eines Kindes, aber sie tritt kräftig in die Pedale, als sie in der Straße vor ihrem Elternhaus ihr Fahrrad vorführt. Es wiegt 28 Kilo. „Es ist gar nicht so einfach, ein Fahrrad mit drei Rädern zu fahren“, sagt ihr Vater Thomas Beck, „der Schwerpunkt ist anders. Und Valentina vergisst manchmal zu bremsen.“ Aber auf zwei Rädern fühlt die junge Frau sich nicht sicher genug.
Valentina kann es oft nicht schnell genug gehen. „Sie ist immer in Bewegung“, sagt ihre Mutter Gloria. Sie selbst sei immer gern joggen gegangen, und Valentina war immer an ihrer Seite. So erklärt sie die sportliche Energie ihrer Tochter.
Valentina Beck wurde mit dem Downsyndrom und einem Herzfehler geboren
Valentina Beck wurde 1991 mit dem Downsyndrom und einem Herzfehler geboren. Die Ärzte hatten sie aufgegeben, doch ihre Eltern kämpften für sie – um ihr Leben. Noch wohnt die junge Frau, bei der man so leicht vergisst, dass sie eben kein Mädchen mehr ist, bei ihren Eltern.
Im Sommer steht nun ihr Umzug in eine Wohngruppe an. „Eltern machen sich immer Sorgen um ihre Kinder, aber Eltern eines behinderten Kindes noch mehr. Andere Kinder werden groß und gehen eigene Wege, Valentina braucht ein bisschen mehr Assistenz“, sagt ihr Vater. Und er ist sich sicher: „Der Abnabelungsprozess wird noch ein schwieriger werden, für alle Beteiligten.“
Die junge Frau arbeitet seit zwölf Jahren in den Norderstedter Werkstätten
Valentina, die einen Integrationskindergarten und ein Förderzentrum besucht hat, arbeitet seit zwölf Jahren in den Norderstedter Werkstätten. „Ich war schon in der Gärtnerei. Jetzt bin ich in der Küche“, sagt sie, „am liebsten mag ich Kartoffeln schälen, aber auch putzen und abwaschen.“ In den Werkstätten arbeitet Maike Rotermund, die als Sportlehrerin den Behindertensport dort aufgebaut hat.
Für viele ist sie Trainerin und Mentorin zugleich. Sie trainiert ihre Schützlinge für regionale, nationale und internationale Wettbewerbe. Auch Valentina hat durch Maike Rotermund zum Sport gefunden. Radfahren ist nicht ihre erste sportliche Disziplin. Die 31-Jährige nahm bereits zweimal an den Weltspielen der Special Olympics teil – in unterschiedlichen Sportarten. 2017 gewann sie in Österreich im Schneeschuhlauf Gold, Silber und Bronze. 2019 holte sie in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) beim Laufen in der 4x100-Meter-Staffel Gold mit dem deutschen Team.
Special Olympics: Gewinnen steht nicht an erster Stelle
Sie wolle noch mehr Medaillen, sagt die zierliche junge Frau mit der mädchenhaften Figur. „Mein Traum ist der erste Platz – ich will Gold gewinnen. Ich will auf dem Treppchen stehen.“ Ihre Mutter sagt: „Valentina freut sich auch über Bronze oder einen vierten Platz.“ Das Gewinnen sei bei den Special Olympics nicht so wesentlich. Und auch Thomas Beck lobt die Atmosphäre dieser Großveranstaltung, bei der es so viel fairer und fröhlicher zugehe als bei anderen Wettbewerben.
Die deutsche Delegation beim internationalen Sportfest umfasst 575 Personen, davon 133 Trainer. Insgesamt 26 Disziplinen gibt es bei den Weltspielen. Dass Valentina diesmal wieder in einer neuen Sportart antritt, habe einen einfachen Grund, sagt ihr Vater. Dies sei, wenn es um die Chancen für eine neuerliche Teilnahme gehe, vorteilhafter, als immer in derselben Disziplin anzutreten.
Valentinas Eltern nehmen an den Weltspielen in Berlin als Volunteers teil
Wenn Valentina bald in den Bus nach Berlin steigt, werden die Eltern ihr im eigenen Wagen folgen, um sie zu unterstützen. „Wir kommen zum Klatschen und als Volunteers“, sagt Thomas Beck, der viele Jahre für eine große deutsche Bank im lateinamerikanischen Markt tätig war und inzwischen nicht mehr arbeitet. Der 65-Jährige und seine Frau sind nicht Teil des Teams, sind auch im Mannschaftshotel nicht zugelassen, aber für Valentina ist ihre Begleitung dennoch wichtig. Die Sicherheit, dass ihre Eltern in derselben Stadt sein werden, beruhigt sie.
Dabei macht Valentina vieles ohne ihre Eltern. Sie spielt Floorball beim ISN (Inklusiver Sportverein Norderstedt), lernt Keyboard in der Musikschule, ist Teil einer Band, und sie spielt Theater. Sie steht gern im Mittelpunkt, sagen ihre Eltern. Auch deren ganzes Leben richtet sich seit 30 Jahren in großen Teilen nach dem Leben ihrer Tochter.
Valentina spielt noch gern mit Barbiepuppen – eine Rollstuhl-Barbie hat sie auch
Valentina wirkt in einem Moment recht erwachsen, im nächsten erzählt sie davon, wie gern sie mit ihren Barbiepuppen spielt. Eine Rollstuhl-Barbie hat sie schon, und bald soll es eine Barbie mit Downsyndrom geben, weiß ihr Vater.
In der Familie gibt es noch eine ältere Tochter, die ohne Behinderung geboren wurde. „Sie lebt in Flensburg“, sagt Gloria Beck über Valentinas Schwester. Ihr Nesthäkchen loszulassen wird schwer werden, da ist sie sich sicher. „Wir sind so lange zusammen. Wir müssen beide lernen, damit umzugehen, dass sie auszieht“, sagt die gebürtige Chilenin, die seit 30 Jahren in Norderstedt lebt. Für Valentina sind sie jedenfalls „die besten Eltern der Welt. Ich lasse Mama und Papa nicht im Stich. Ich komme immer am Wochenende.“
Ihre Eltern kämpften um ihre kranke kleine Tochter – ihre Beziehung ist sehr eng
Diese enge Beziehung in der Familie entstand auch durch die großen Sorgen, die ihre Eltern gleich nach der Geburt um sie hatten. Valentina wurde am offenen Herzen und am Darm operiert, erzählt ihr Vater. Sie leidet an Zöliakie, also Glutenunverträglichkeit, und muss sehr genau auf ihre Ernährung achten (trotzdem sind Currywurst mit Pommes ihr Lieblingsgericht).
Die Ärzte hatten ihr nur wenig Überlebenschancen gegeben, doch ihre Eltern ließen nicht locker und bemühten sich um alle denkbaren Therapien. Heute ist Valentina eine fröhliche junge Frau. „Sie ist in vielen Dingen pflegeleicht“, sagt ihr Vater. „Sie ist eine Frau von 31 Jahren, und wir vergessen oft, sie als Erwachsene zu behandeln.“
Als Valentina das Kinderbuch sieht, füllen sich ihre Augen mit Tränen
„Ich bin eine Kämpferin“, sagt Valentina über sich selbst. Möglicherweise hat sie das auch schon oft von ihren Eltern gehört, aber es auszusprechen scheint ihr Mut und Kraft zu geben.
Von dieser Kraft war auch Annabell Behrmann beeindruckt, die gemeinsam mit Abendblatt-Chefreporterin Miriam Opresnik ein Buch über Valentina geschrieben hat. Behrmann hatte die junge Frau bei ihrer Arbeit als Reporterin erstmals getroffen. „Ich kenne Valentina schon seit fünf Jahren, als ich angefangen habe, über die Norderstedter Werkstätten zu berichten“, sagt die Abendblatt-Redakteurin.
Special Olympics 2023: Eine der beiden Autorinnen tritt selbst in Berlin an
Sie tritt selbst als Unified Partnerin bei den Special Olympics in Berlin an und spielt mit ihrem Tennispartner Christian, einem Mann mit einer geistigen Beeinträchtigung, ein Mixed. „Die Herzlichkeit der Menschen bei diesen Weltspielen ist herrlich. Das sind meine liebsten Turniere. Man wird da mit so einer Lebensfreude empfangen.“
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Den Traum, ein Buch über ein Kind mit Downsyndrom zu schreiben, hätten sie und ihre Arbeitskollegin Miriam, die ebenfalls in der Redaktion in Norderstedt arbeitet, schon lange gehabt, sagt Annabell Behrmann. Im Sommer 2022 hätten sie sich zum ersten Mal zusammengesetzt und mit Sabrina Kotzerke die ideale Illustratorin gefunden.
Nun ist das Buch druckfrisch auf dem Markt. Eines der ersten Exemplare überreichte Annabell Behrmann Valentina und ihren Eltern schon vorab. Valentina ist kurzsichtig und trägt eine dicke Brille. Sie hielt bei der Übergabe das Buch ganz dicht vor die Nase, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Träume werden wahr“, sagt Gloria Beck bewegt, als Valentina auf ihre Eltern zugeht und ihnen das Buch zeigt, das ihre Geschichte erzählt. Die Geschichte einer Kämpferin.