Hamburg. Der Jurist zeigt in Verhandlungen stets klare Kante – egal ob eine Kiezgröße, ein Musiker oder ein Immobilientycoon angeklagt ist.
Am Anfang war der Rapper noch obenauf. Ganz offenbar in seinem eigenen Selbstwertgefühl verhaftet, das ihn irgendwo zwischen unwiderstehlich und unantastbar verortet. Vielleicht hat Gzuz, Frontmann der Hip-Hop-Gruppe 187 Strassenbande, geglaubt, es ginge widerstandslos immer so weiter, stetig nach oben, wo Ruhm und Geld zu haben sind – ganz gleich, welche Straftaten er begeht, einerlei, wie sehr er sich in der Öffentlichkeit danebenbenimmt. Mittlerweile aber sollte der 32-Jährige es besser wissen. Seit Gzuz auf Amtsrichter Johann Krieten getroffen ist, müsste dem Rapper klar sein: Es gibt Menschen, die sich nicht alles bieten lassen. Die deutliche Worte finden und klare Kante zeigen. Im Fall von Richter Krieten bedeutet das, dass er dem Rapper vorgehalten hat: „Wer, wenn nicht Sie, gehört in den Knast?“
So ein Satz kann polarisieren. So mancher mag solch kernige Aussage eines Juristen für erfrischend anschaulich halten. Nach dem Motto: Solche Typen brauchen wir, die hart durchgreifen. Den Mann finden wir gut. Manch andere aber, seine Kritiker, sehen sich vielleicht in ihrer Einschätzung bestätigt, dass Krieten ein harter Hund sei, der überziehe.
In jedem Fall hat dieser Richter mit seinem Urteil, mit dem er einen der bekanntesten Rapper Deutschlands zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt hat, der gegen ihn zusätzlich eine satte Geldstrafe von 510.000 Euro verhängt und ihm gehörig die Leviten gelesen hat,
bewiesen: windschlüpfrig sein, gefällig, leise, das ist Krietens Sache nicht.
Der Jurist mit der Lust auf Sport und die Rolling Stones
Er hat das schon früher hinlänglich gezeigt, durch knackige Urteile und markante Worte, die für Schlagzeilen weit über Hamburgs Grenzen hinaus sorgen. Doch Interviewanfragen lehnt der 64-Jährige konsequent ab. Er spricht nicht in Mikrofone und vor Kameras, sondern durch seine Urteile. Wer allerdings den Mann mit dem Dreitagebart, mit dem Faible für Sport und die Rolling Stones und dieser auf dem Gerichtsflur manchmal lässig wirkenden Ausstrahlung schon länger als Richter kennt, der hört schon mal Statements wie dieses: „Für mich ist das Richteramt ein Beruf, in dem ein wichtiger Dienst auch für die Gemeinschaft erbracht wird, weil wir auch für Rechtsfrieden sorgen.“ Krieten ist ein Jurist, der seinen Beruf mit Engagement und Leidenschaft ausübt und der dabei keine Probleme hat, als kantig zu gelten, als harter Brocken.
Das zeigte sich, als Krieten vor drei Jahren im ersten G-20-Prozess überhaupt einen jungen Mann wegen zweier Flaschenwürfe auf Polizeibeamte zu 31 Monaten Freiheitsstrafe verurteilte und ihm in aller Schärfe vorhielt, Polizisten seien „weder Freiwild für die Spaßgesellschaft, noch Freiwild für erlebnisorientierte Gewalttäter“. Es wurde deutlich in einem anderen Verfahren gegen einen vielfach vorbestraften G-20-Randalierer, gegen den Krieten vier Jahre verhängte und ihn gleich im Saal verhaften ließ. Es sind wohl Urteile wie diese, die dazu führten, dass linksextreme Gruppen sich den Richter als Feindfigur auserkoren und vergangenen Dezember zu einer Demonstration vor seinem Privathaus aufgerufen haben. Einschüchtern ließ Krieten sich davon allerdings nicht. Anstatt sich hinter geschlossenen Gardinen zu verbergen, war der 64-Jährige selber vor Ort und begleitete den Protestzug in wenigen Metern Entfernung auf seinem Fahrrad – nur dass ihn niemand der Demonstranten erkannt hat.
Krieten geht den Dingen gern selber auf den Grund
Dass Krieten den Dingen gern selber auf den Grund geht, bestätigte sich etwa in einem Verfahren gegen einen Immobilientycoon, der angeklagt war, bei einem Parkplatzstreit einen Autofahrer beleidigt zu haben. Der damals 68-jährige Hamburger, bekanntermaßen wohlhabend, hatte sich als insolvent bezeichnet und behauptet, er erhalte von seiner Familie nur ein mageres Berater-Salär. Doch mit so einer Showeinlage ließ Krieten sich nicht täuschen. Der leidenschaftliche Rennradfahrer, für seinen langen Atem bekannt, zeigte auch hier Durchhaltevermögen und viel Biss auf der Suche nach der Wahrheit: Der Richter sichtete Stapel von Kontounterlagen und lud Banker und Insolvenzverwalter als Zeugen. Das Ergebnis: Der frühere Besitzer zahlreicher Mietshäuser war immer noch vermögend, verfügte offenbar über ein Nettoeinkommen von 60.000 Euro monatlich. Damit wurde eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 2000 Euro fällig. „Das ist wohl die teuerste Beleidigung Hamburgs“, fasste Krieten in seinem Urteil zusammen.
Das ist die 187 Strassenbande:
- Die 187 Strassenbande ist ein Kollektiv aus mehreren Hamburger Hip-Hop-Künstlern
- Die bekanntesten Rapper sind Bonez MC und Gzuz
- Gründer Bonez MC (bürgerlich: Johann Lorenz Moser) gilt als kreativer Kopf, Gzuz (bürgerlich: Kristoffer Jonas Klauß) als Gesicht der Gruppe
- Der 187 Strassenbande gehören außerdem die Rapper LX, Maxwell und SA4, der Produzent Jambeatz sowie die Sprayer Frost und Track an
- Der Musikstil der Strassenbande ist dem Genre Gangsta-Rap zuzuordnen
- Die Mitglieder der 187 Strassenbande geraten wiederholt in Konflikt mit der Polizei, vor allem wegen Drogen und Waffen
- Der Name der Gruppe leitet sich aus dem US-amerikanischen Polizeicode "187" ab
- 187 ist außerdem die Nummer des Paragraphen im kalifornischen Strafgesetzbuch, in dem Mord behandelt wird
- Keimzelle der 187 Strassenbande ist St. Pauli, dort befindet sich auch das eigene Tattoostudio 187 Ink
Nicht nur in diesem Verfahren wurde offensichtlich, dass der Richter es überhaupt nicht schätzt, wenn jemand versucht, ihn an der Nase herumzuführen. Das bekam auch der frühere Chef der inzwischen aufgelösten Rocker-Gruppe „Mongols“, Erkan U., zu spüren, dem Krieten das MEK ins Haus schickte. Das erfuhr ebenso ein 39-Jähriger, der in einigen Clubs auf dem Kiez das Sagen hatte und den Krieten zu Machtstrukturen im Rotlicht-Milieu befragen wollte. Über Monate ließ der Jurist in seinem Bestreben nicht locker, den unwilligen 45-Jährigen als Zeugen laden zu wollen. Doch Sefadin L. tauchte schließlich im Ausland unter, sehr zum Ärger des Richters: „Ich habe den Eindruck, dass hier die Justiz verarscht wird!“ Im selben Verfahren machte Krieten klar, dass er auch die Arbeit der Polizei sehr kritisch sehen kann: Den zuständigen Milieuermittlern bescheinigte er eine „überaus bedenkliche Nähe zur Organisierten Kriminalität“, nachdem diese ausgesagt hatten, man habe mit einem Kiezpaten „auf Augenhöhe“ verhandelt.
Wie sich Krieten mit schlecht vorbereiteten Anwälten anlegt
Doch es gibt Fälle, die zeigen, dass Krieten auch sehr milde Entscheidungen trifft. Da war etwa die Rentnerin, die über Jahrzehnte gut 40-mal wegen Diebstahls verurteilt worden war, auch zu Bewährungsstrafen. Nun war sie wieder angeklagt, weil sie Käse, Quark und Kartoffeln gestohlen hatte – aus Geldnot und weil sie Hunger hatte, erzählte die Angeklagte. Krieten hatte eine kreative Lösung parat, um die Seniorin nicht ins Gefängnis zu schicken, sondern ihr zu helfen. Er stellte den Fall ein, allein mit der Auflage, dass die Hamburgerin sich bei offiziellen Stellen Hilfe holen muss, um in Zukunft mit ihrer sehr schmalen Rente auszukommen.
Seit 1990 ist Krieten Richter, die letzten 22 Jahre beim Amtsgericht, wo er unter anderem über mutmaßliche Betrüger, Schläger und Diebe verhandelt. Davor war der Jurist unter anderem acht Jahre am Landgericht, wo er auch in Mordprozessen den Vorsitz führte. Dass sich Krieten schon zu Beginn seiner Laufbahn nicht von schillernden Verteidigerauftritten beeindrucken ließ, bekam vor rund 25 Jahren der legendäre Rolf Bossi zu spüren. Der Münchner Anwalt war erst in ein Verfahren um den Tod eines Mannes eingestiegen, als der Prozess bereits seit Monaten lief – um dann mit einem Antrag aufzutrumpfen, man solle eine Blutspur vom Tatort endlich untersuchen, weil sich daraus Erkenntnisse auf den wahren Verbrecher ergäben. Doch was von Bossi als Geniestreich gedacht war, entpuppte sich als Blamage: Es war längst bekannt, dass die vermeintliche Blutspur in Wahrheit Fruchtsaft war. Wenn er die Akten gelesen hätte, so Krieten zu dem berühmten Verteidiger Bossi, „hätten Sie nicht so einen unsinnigen Antrag gestellt“.
Es gibt bis heute ähnlich kritische Bemerkungen von Krieten gegenüber Verteidigern, wenn er beispielsweise deren Aktenkenntnis für unzureichend hält. Eine verbale Breitseite bekam jüngst der Anwalt des Rappers Gzuz, Christopher Posch, ab. Der Verteidiger sei teilweise „unvorbereitet“ durchs Verfahren „geirrlichtert“, rügte Krieten den Anwalt am Ende des Prozesses gegen den Frontmann von 187 Strassenbande. Und in Anspielung auf Poschs zahlreiche Auftritte in Fernsehsendungen rüffelte er: „Wir verhandeln hier nach der Strafprozessordnung und nicht nach einem Drehbuch.“
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Und so blickten beide während Krietens Urteilsbegründung mit versteinerter Miene vor sich hin, Verteidiger Posch und der erfolgreiche Gangsta-Rapper, der in seinen Texten Gesetze verhöhnt und sich als Polizeihasser inszeniert. Verstoß gegen das Waffengesetz, Drogendelikte, versuchter Diebstahl, Körperverletzung: In diesem Prozess ging es um etliche Straftaten des vielfach vorverurteilten 32-Jährigen. Doch auch hier im Gerichtssaal gab Gzuz immer wieder den Bad Boy, grinste vor sich hin, zeigte vor Verhandlungsbeginn den Kamerateams beide ausgestreckten Mittelfinger, störte den Prozess wiederholt mit Zwischenrufen.
„Sie sind ein Sozialrüpel. Sie missachten die Regeln des sozialen Miteinanders auf das Übelste“, bescheinigte Richter Krieten am Ende dem Angeklagten. Und er stellte auch klar: „Das letzte Wort habe ich hier.“