Hamburg. Was wird aus Hamburgs einsamer “Knast-Insel“? Jetzt zeigen Politiker aus dem Alten Land dem Hamburger Senat die Rote Karte.

Touristen oder seltene Vögel? Der Streit um die künftige Nutzung von Hamburgs Gefängnisinsel Hahnöfersand geht in die nächste Runde. Wie die Kreiszeitung mit Sitz in Buchholz berichtete, hat die Gemeinde Jork die Abrisspläne der Hamburger Justizbehörde gestoppt.

Mit einer sogenannten Veränderungssperre sind zwei Jahre lang keine dieser Maßnahmen auf der Elbinsel mehr möglich. Die „Bild“-Zeitung kommentierte die Entwicklung am Mittwoch so: „Wer nicht mit seinen Nachbarn redet, muss mit einem Tritt vors Schienbein rechnen.“

Gefängnisinsel und ihre Zukunft: Was ist da los?

Hamburg ist seit 1902 zivilrechtlicher Eigentümer des Gefängnisgeländes; die Insel vor dem Alten Land selbst gehört jedoch dem Land Niedersachsen. Die Hansestadt betreibt auf einem Teil der Elbinsel eine Justizvollzugsanstalt (JVA) vor allem für Jugendliche. Dort befindet sich auch ein Russen-Friedhof.

Das Gefängnis, das schon in der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz vorkommt, soll aber bis spätestens 2027 aufgegeben werden. Weil die Gebäude auf der 1,6 Quadratmeter großen Insel stark renovierungsbedürftig sind und nicht mehr den Standards entsprechen, will die Behörde die „JVA Hsand“ durch die größere JVA Hamburg-Billwerder am Dweerlandweg ersetzen.

Folge: Die alten Gebäude auf dem Eiland sollen abgerissen und Ausgleichsflächen für den Naturschutz geschaffen werden - zum Vorteil der Hansestadt.

Hahnöfersand: Zutritt nur für Mitarbeiter und Besucher. Und Insassen.
Hahnöfersand: Zutritt nur für Mitarbeiter und Besucher. Und Insassen. © Edgar Hasse

Elbinsel Hahnhöfersand soll zum Paradies für Touristen werden

Das machen die Politiker und weitere Bürger aus der Region im Alten Land nicht mit. Sie wollen auf der Insel Kleiboden-Vorräte lagern, um den Deichschutz zu verbessern. „Wenn Hamburg Ausgleichsflächen schaffen will, dann auf Hamburger Grund“, sagt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts.

Außerdem gibt es ein großes regionales Interesse daran, auf der derzeit für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Insel touristische Entwicklung zu ermöglichen. Im Gespräch sind nach Angaben der örtlichen Kreiszeitung Radfahr- oder Wanderwege, wie etwa die Verlegung des Elbe-Radwanderweges von der K39 auf die Elbinsel.

Jugendknast: Das sagt die Hamburger CDU über das weitere Vorgehen

Auch Sitzmöglichkeiten und ein Beschilderungssystem mit Informationen über die Historie der JVA stehen zur Debatte. „Die JVA gehört seit mehr als hundert Jahren zur Region, es wäre schön, wenn wir Besucher auch über ihre Geschichte informieren könnten“, zitiert das Blatt Jorks Bürgermeister Matthias Riel. „Das Ziel ist es, alle an einen Tisch zu holen.“

So sieht es auch Richard Seelmaecker, CDU-Fraktionschef in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Unsere Nachbargemeinden so zu ignorieren, ist unanständig“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Bürgermeister Tschentscher und seine Senatoren müssen runter von ihrem hohen Ross und auf Augenhöhe das Gespräch mit Jork suchen.“

Hahnöfersand entstand bei einer verheerenden Sturmflut

Und das ist über die Geschichte der Insel Hahnöfersand bekannt, deren größter Teil seit 2008 Naturschutzgebiet ist.

Es muss wohl bei der verheerenden Cäcilienflut im Jahr 1412 mit rund 30.000 Toten gewesen sein, als die heutige Insel abrupt vom Festland getrennt wurde. Seitdem fließen die Stromelbe und der Borsteler Binnenelbe an ihr vorbei.

Womöglich geht der Name auf diese Naturkatastrophe zurück. Bei jener Sturmflut soll, so die Legende, nur noch der Wetterhahn auf der Kirchturmspitze aus dem mit Sand aufgeschwemmten Wasser herausgeragt haben (Hahn öfer Sand).

Russen-Friedhof: Letzte Ruhe für 77 Soldaten

1902 zahlte der Hamburger Senat für den Erwerb der Insel rund 250.000 Reichsmark an die Preußen. Anfangs diente sie als Lagerstätte für den aus der Elbe gebaggerten Sand. Deshalb hat Hahnöfersand noch heute ein um circa acht Meter höheres Niveau als das Alte Land.

1913 kamen die ersten Gefangenen auf die Marschinsel. Im Ersten Weltkrieg folgten russische Hunderte Kriegsgefangene. Sie mussten Hahnöfersand bewohnbar machen. 77 von ihnen starben an den Folgen von Ruhr- und Skorbut-Erkrankungen. Sie sind auf einem Soldatenfriedhof bestattet, ein stiller, leiser, gepflegter Ort.

Justizvollzugsanstalt mit rund 230 Plätzen

Die heutige Haftanstalt gliedert sich in drei Bereiche: Jugendvollzug, Frauenvollzug (seit 1997) und Jugendarrest. Für alle Strafarten stehen rund 230 Plätze zur Verfügung. Auf dem Gefängniskomplex befinden sich 38 Gebäude. Die JVA zählt rund 180 Mitarbeitende.

Gut zu wissen: Der Schriftsteller Siegfried Lenz (1926-2014) lässt seinen 1968 erschienenen Roman „Deutschstunde“, eines der wichtigsten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur, auch auf Hahnöfersand spielen. Siggi Jepsen, die Hauptfigur, sitzt dort in einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche ein und muss eine Strafarbeit über die „Freuden der Pflicht“ schreiben.

Das schreibt Siegfried Lenz in seiner „Deutschstunde“

Dabei fängt Lenz die natürlichen Stimmungen der Gefängnisinsel zum Beispiel so ein: „(…) schau ich zum Fenster hinaus, fließt da durch mein weiches Spiegelbild die Elbe; mach ich die Augen zu, hört sie nicht auf zu fließen, ganz bedeckt mit bläulich schimmerndem Treibeis.“ Der Roman wurde 2019 von Christian Schwochow verfilmt.