Hamburg. Ralf Neubauer ist dafür, dass Hamburg die Grundstücke der Großhändler in Rothenburgsort kauft. Doch das dürfte schwierig werden.
Auch zwei Tage nach dem verheerenden Großbrand an der Billstraße in Rothenburgsort, dem größten Feuer der letzten Dekade in Hamburg, sind Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr vor Ort, müssen immer wieder kleinere Feuer löschen. Der Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte, Ralf Neubauer, will nun durchgreifen.
Ihm schwebt ein Aufkauf der Grundstücke durch die Stadt vor. Dafür wurde bereits im vergangenen Jahr ein Masterplan 2035 aufgestellt. Dieser soll die Billstraße von einer Art „Basar“ zurück zu einem Industriegebiet entwickeln, als das das Gebiet noch nach alter Polizeiverordnung eingestuft ist.
Großbrand Rothenburgsort: Bezirksamtschef will durchgreifen – „Marathon“
Dass es nicht einfach wird, weiß Neubauer. „Das wird ein Marathon“, sagt der Bezirksamtschef dem Abendblatt. Für den SPD-Mann ist der Bereich rund um die Billstraße „der auffälligste Bereich im Bezirk Hamburg-Mitte“. „Man bekommt teilweise gar nicht richtig einsortiert, wer dort was macht.“ Das Problem: Großhandel ist erlaubt. Auch mit Kühlschränken, die sich auf den Hinterhöfen stapeln. Auch das ist nicht verboten.
Natürlich gibt es dabei auch Verstöße. Jede Menge vermutlich sogar. Doch auch das weiß der Bezirksamtsleiter: Es ist ein Massenproblem. Schon wenige Kontrollen ziehen wochenlange Abarbeitung nach sich. Und die personellen Ressourcen sind, wie bei allen Bezirksämtern, begrenzt. Zudem ist der Erfolg mehr als zweifelhaft.
Billstraße: Bezirksamtschef will Aufkauf der Grundstücke durch die Stadt
Der neuste Trick: Firmen werden auf Gesellschaften angemeldet, die im Ausland sitzen. Dabei handelt es sich um Länder, mit denen es keine Rechtshilfeabkommen gibt. So kann das Bezirksamt nicht einmal ein Schreiben zustellen. Wird es einmal für einen Betreiber einer Firma wirklich eng, ändern sich flugs die Besitzverhältnisse und die Prozedur geht von vorn los.
So ist es der Aufkauf der Grundstücke auf Basis eines Vorkaufsrechts durch die Stadt, in der Neubauer die Lösung sieht. Die hält er für realistisch. „Ein Drittel der Flächen dort sind in den vergangenen zehn Jahren gehandelt worden“, so Neubauer. Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) habe Zustimmung zu dem Plan signalisiert.
Rothenburgsort: Löscharbeiten sehr schwierig
Dass das Gebiet buchstäblich brandgefährlich ist, weiß man. Bereits 2021 hatte es einen vergleichbaren Brand nur auf kleinerer Fläche ein paar Hallen weiter gegeben. Feuerwehrleuten ist das noch gut im Gedächtnis. Flammen finden in den Hallen, in denen sogar Großhändler für Feuerwerk ihren Sitz haben, reichlich Nahrung. Die Wasserversorgung – das A und O für das Löschen – ist dagegen eher bescheiden.
Die Leitungen, die dort verlegt sind, geben nicht genug Wasser her. Aus dem Kanal kann man nicht einfach Wasser pumpen. Er liegt zu tief. Die Pumpen der Feuerwehr schaffen es nicht. Löschboote müssen durch Schleusen gebracht werden, die nicht durchgehend besetzt sind und im Notfall nicht schnell geöffnet werden können. So hat man jetzt bei dem Großbrand zum Löschen eine doppelte, über einen Kilometer lange Schlauchleitung legen müssen und vom THW eine leistungsstärkere Pumpe eingesetzt, die in der Lage war, Wasser aus dem Kanal zu fördern.
Großbrand Rothenburgsort: Billstraße – fremde Welt mitten in Hamburg
Auch am Dienstagmorgen zogen noch immer Rauchschwaden über die Billstraße. Ein Ortstermin in einer Welt, in der man sich schnell fremd fühlt, und das mitten in Hamburg, keine zehn Kilometer von Eimsbüttel entfernt und doch andersartig: Es stinkt verbrannt.
In diese Ecke der Stadt zieht es wohl nur wenige Hamburger. Arabische Schriftzeichen prangen an vielen Gebäuden. Import/Export-Firmen haben sich hier an der Kopfsteinpflasterstraße niedergelassen. Überall stehen Kühlschränke herum, ausrangierte Sofas wie beim Sperrmüll. Es ist unordentlich und chaotisch, auch dort, wo es nicht gebrannt hat.
Großbrand in Rothenburgsort: Imbiss-Besitzer bleibt verschont
Hinter einem Gebäude stapeln sich Fahrräder, vor einem anderen stehen viele leere Kartons. Darin waren Bügeleisen, Wasserkocher und andere kleine elektronische Geräte. Ob Neuwaren oder Schrott – so leicht lässt sich das gar nicht differenzieren. Alles wirkt schäbig. An einer Fassade steht „Afghan Pizza“, Zimmervermietung. Auf den Bürgersteigen ist nichts los – und wenn Menschen zu sehen sind, sind es ausschließlich Männer.
Boniface Anigbogu aus Nigeria betreibt hier einen Imbiss, die Schlemmerkiste. Seit zwölf Jahren verkauft er afrikanische Speisen an seine Landsleute. Die kleine Bude ist genau gegenüber einer der Hallen, die gebrannt hat. Aber sein Imbiss ist verschont geblieben.
„Ich wohne in Barmbek-Süd und wurde auf meinem Handy alarmiert“, erzählt der 55-Jährige. Er ist froh, dass alles heil geblieben ist und er am Dienstag gleich wieder arbeiten konnte. Dann serviert er seinen Gästen Reis mit Yam (ähnlich einer Kartoffel) oder Reis mit Stockfisch ab acht Euro. Ob in diesen Tagen viele Kunden zum Essen kommen werden, ist fraglich. Denn die Polizei hat einen Teil der Billstraße noch für die Öffentlichkeit gesperrt.
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Großbrand in Rothenburgsort: Chaos und Verwüstung in Agentur an der Billstraße
Nicht so viel Glück wie Boniface Anigbogu hatten Sebastian Heinz und Hannes Arendholz von Foodboom. Die Agentur produziert seit acht Jahren in dem Film- und Fotostudios an der Billstraße Beiträge etwa für Zeitschriften, es werden Rezepte für Dr. Oetker ausprobiert und in Szene gesetzt – sowohl filmisch als auch fotografisch. 60 Mitarbeiter können dort momentan aber nicht arbeiten, sämtliche Produktionen seien auf Eis gelegt.
„Zwar sind unsere Fotostudios offenbar verschont geblieben, aber ansonsten herrscht totale Verwüstung und Chaos“, sagt Hannes Arendholz der am Ostermontag mit Polizeischutz kurz auf das Gelände durfte. „Einige Räume sind nicht nutzbar, eine Werkstatt ist betroffen, Fenster sind geborsten, eine Fassade ist komplett geschmolzen.“
Großbrand in Rothenburgsort: 400 Einsatzkräfte waren im Einsatz
Seit Ostersonntag waren knapp 400 Einsatzkräfte der Feuerwehr Hamburg vor Ort, in der Spitze waren es 220 Feuerwehrleute von Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr, um das Inferno zu bekämpfen.
Am Dienstag sagt Jan Ole Unger, Sprecher der Feuerwehr Hamburg: „90 bis 95 Prozent des Brandes sind gelöscht.“ Der Komplex umfasst rund 17.000 Quadratmeter, immer noch gibt es Glutnester, die Rauch entwickeln. Zudem setzt die Feuerwehr Wärmebildkameras ein.
Großbrand an der Billstraße: Nun herrscht akute Einsturzgefahr
Das Problem: „Wir kommen allerdings nicht da ran“, so Jan Ole Unger. Denn es bestehe akute Einsturzgefahr. „Wir können keine Einsatzkräfte mit dem Schlauch in der Hand da reinschicken, um das Glutnest abzulöschen. Das geht nicht, weil wir die Einsatzkräfte in Lebensgefahr schicken würden.“ Die Hitze hat die Stahlteile der Hallen so verbogen, dass diese aussehen wie Spaghetti. „Es besteht die Gefahr, dass weitere Teile des Gebäudes herunterfallen.“
Mit Schaum und Wasser löschen die Feuerwehrleute aus sicherer Entfernung. Nun gelte es, eine professionelle Abrissfirma zu beauftragen, um das Gebäude abzutragen, heißt es.