Billbrook. In Billbrook werden besonders viele Pkw illegal entsorgt. Für den Bezirk Mitte ein großes Ärgernis, das nun konsequent bekämpft wird.
Zwei Jahre stehe der verwitterte silberne Chrysler Grand Voyage schon im Porgesring am Straßenrand, erzählt ein Mann, der gegenüber bei einem Gebrauchtwagenhändler arbeitet. So lange gammele das Wrack auf der öffentlichen Parkfläche schon vor sich hin. Verwelktes Laub türmt sich mindestens 20 Zentimeter hoch an der linken Beifahrerseite auf.
Der Van mit dem Steuer rechts war einst für den britischen Verkehr bestimmt. Die Scheiben sind eingeschlagen, die Nummernschilder entfernt, die Sitze herausgerissen. Gut möglich, dass ein Obdachloser hier genächtigt hat.
Hamburg sagt Schrottautos den Kampf an
Das ganze Auto ist ein einziger Schrotthaufen. Lange hat sich niemand dafür interessiert – aber jetzt drücken die Amtsträger aufs Gas. „Hier ist Eile geboten, weil das Auto eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt“, sagt Joscha Matthias Heinrich, Teamleiter beim Kontrolldienst des Bezirks Hamburg-Mitte. Seit Ende 2021 kümmert er sich mit seinen Kollegen um illegal im Industriegebiet Billbrook geparkte Schrottautos.
Heinrich klebt – selbst bei Gefahr im Verzug muss ja alles seine Ordnung haben – einen roten Amtszettel auf die Windschutzscheibe des Chryslers. Keine zehn Minuten später rollt ein Abschlepplaster heran, der den Wagen auflädt und zur Verschrottung zu einem nahe gelegenen Verwahrplatz bringt. Mitunter geht es ratzfatz. Auch in Deutschland.
An der Billstraße rotten Autos jahrelang vor sich hin
Illegal abgestellte Schrottautos wie der Chrysler sind seit Jahren ein Problem in der Stadt, vor allem im Industriegebiet Billbrook/Rothenburgsort, dem nach dem Hamburger Hafen mit 770 Hektar Fläche zweitgrößtem zusammenhängenden Industriegebiet Norddeutschlands. Meist sind es dort niedergelassene Autohändler, die ihre längst abgemeldeten Fahrzeuge auf öffentlichen Stellflächen parken, weil auf ihren Höfen kein Platz mehr ist.
An der Billstraße im Herzen des Industriegebiets – das zeigte bereits ein Ortsbesuch des Abendblatts im Herbst 2019 – rotten Fahrzeuge teils seit Jahren vor sich hin. Zerbeulte, schmutzverkrustete Schrottautos ohne Kennzeichen. Im amtlichen Verständnis stillgelegt, blockieren sie unberechtigt Parkflächen, die dann den Gewerbetreibenden und Beschäftigten fehlen – von der drohenden Umweltsauerei durch auslaufende Betriebsstoffe ganz abgesehen. „Außerdem leidet das Erscheinungsbild in dem Gebiet erheblich“, sagt Mitte-Bezirkschef Ralf Neubauer.
Schrottautos kommen auch aus anderen Stadtteilen
Neubauer steht am Donnerstagmorgen, umgeben von Mitarbeitern des bezirklichen Kontrolldienstes, an der Kreuzung Porgesring/ Moorfleeter Straße – sozusagen im Epizentrum der Parkplatz-Anarchie. Der Bezirkschef betont, dass man Erfolge im Kampf gegen die Schrottautos vorzuweisen hat. Und dass sich auch dieser praktisch gewohnheitsrechtlich etablierte Missbrauch von öffentlichen Parkflächen zumindest eindämmen lasse – wenn man nur konsequent gegensteuere.
1158 unrechtmäßig abgestellte Fahrzeuge sind im Projektgebiet zwischen November 2021 und 3. Januar 2023 gemeldet worden: durch die Polizei, Bürger oder den Kontrolldienst. Es seien 260 Abschleppaufträge erteilt worden. In 413 Fällen seien die Fahrzeuge innerhalb der Frist und in 248 Fällen sogar bereits vorher entfernt worden. Für Neubauer ein Beleg dafür, dass „der Kontrolldruck und das konsequente Abschleppen nach Fristablauf“ Wirkung zeigen. „Die Botschaft ist angekommen.“
Allerdings seien zunehmend Schrottautos aus angrenzenden Stadtteilen gemeldet worden – dabei handele es sich mutmaßlich um „Ausweichbewegungen“. Neubauer: „Wir schauen uns auch die Wohnstadtteile genauer an, insbesondere auch in der Nachbarschaft wie Hamm-Süd und Rothenburgsort, aber auch in Wilhelmsburg sind wir am Ball.“
Schrottautos: Bezirk Mitte steht schlecht da
2020 erfassten die Behörden in Hamburg noch fast 4200 illegal geparkte Schrottautos; 2021 waren es rund 700 weniger. Der Bezirk Mitte gab da schon immer ein schlechtes Bild ab, mit Abstand am schlimmsten war es aber im Billbrooker Industriegebiet.
Als Teil eines Maßnahmenkatalogs der Wirtschaftsbehörde „zur Modernisierung und Vitalisierung“ des Areals, begann der Bezirk Mitte im November 2021 damit, dort Schrottautos verstärkt ins Visier zu nehmen und zu beseitigen. Seither schwärmen täglich bis zu sechs Mitarbeiter des Kontrolldienstes aus, um die Parkplätze verstopfenden Autoleichen ihrem amtlich zugedachten Schicksal zuzuführen.
Autos werden ab bestimmtem Wert versteigert
Gefährden die Wracks den Straßenverkehr, werden sie sofort abgeschleppt. In allen anderen Fällen kleben die Uniformierten einen roten Zettel auf die Windschutzscheibe. Ab da tickt die Uhr. Vier Wochen hat der Besitzer Zeit, das Auto zu entfernen. Danach wird es zum Verwahrplatz abgeschleppt und in der Schrottpresse zermalmt. Oder es wird versteigert. „Ab einem geschätzten Wert von mehr als 700 Euro kommen die Autos in die Auktion“, sagt Heinrich.
Gelingt es den früheren Halter – auch bei fehlendem Kennzeichen – beispielsweise über die Umweltplakette ausfindig zu machen, könne so in seltenen Fällen auch der jetzige Besitzer ermittelt werden. Fällig werden dann mehrere Hundert Euro Bußgeld. Für den Bezirk rechnet sich das allerdings nicht. Das Beseitigen der Schrottautos sei schon „ziemlich kostenträchtig“, sagt Neubauer.
Dem Bezirk ist es das aber wert. Und nach mehr als einem Jahr Routine kennt der Kontrolldienst schon viele Tricks. So sei etwa das Abziehen der roten Aufkleber sinnlos. „Das macht uns gar nichts“, sagt Heinrich. Verdächtige Autos würden fotografiert und indexiert. „Und die Frist“, so Heinrich, „läuft auf jeden Fall weiter.“