Hamburg. König Charles III. wird am Freitag einen Kranz auf St. Nikolai niederlegen. Der Anfang eines neuen Kapitels für das Mahnmal.
Nach einer guten Viertelstunde wird alles vorbei sein. Aber in diesen vielleicht 1200 Sekunden ist maximale Aufmerksamkeit gewiss. „Natürlich freuen wir uns sehr und sind dankbar, dass dieser Ort zu den ausgewählten gehört, die er besuchen wird“, sagt Nele Fahnenbruck. Er, das ist König Charles III. Am 31. März wird der britische Monarch zum Abschluss seines Deutschland-Besuchs in Hamburg sein – und am Mahnmal St. Nikolai an einer kurzen Gedenkzeremonie teilnehmen. Anschließend werden der König und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Kränze niederlegen. Dann geht es gleich ins Rathaus und anschließend weiter in den Hafen, wo sich der umweltbewusste König über klimafreundliche Technologien informieren wird. Es folgt noch ein Empfang im Schuppen 52, dann reisen Charles und seine Gemahlin Camilla zurück nach London.
Nele Fahnenbruck ist seit einem Jahr Geschäftsführerin des Mahnmals. Und seit vielen Wochen ist die Historikerin mit den Vorbereitungen des königlichen Besuchs befasst. Reden durfte sie darüber mit niemandem, bevor die Reise vor Kurzem offiziell bestätigt wurde. „Über Details darf ich mich weiterhin nicht äußern“, sagt sie. Der planerische Aufwand – vor allem Sicherheitsaspekte und protokollarische Fragen – sei aber ganz außerordentlich.
Charles besucht St. Nikolai nicht einfach so
Dass Charles St. Nikolai besucht, ist natürlich kein Zufall. Der Ort steht wie kaum ein anderer für die leidvolle deutsch-britische Geschichte. Und er gehört zur „Nagelkreuz-Gemeinschaft“, die ihren Ursprung im englischen Coventry hat. Die dortige Kathedrale wurde von deutschen Bombern am 14. November 1940 zerstört. Dompropst Richard Howard, ein erstaunlicher Mann, rief wenige Wochen später in einer landesweit übertragenen Weihnachts-Rundfunkansprache mitten im Krieg zur Versöhnung auf. Es solle keine Rache geübt werden, man müsse nach Ende des Krieges gemeinsam mit den früheren Feinden an einer freundlicheren Welt arbeiten.
Später wurden aus Zimmermanns-Nägeln, die aus der Ruine in Coventry geborgen wurden, kleine Kreuze geformt. Eines dieser Kreuze, Symbol der internationalen Gemeinschaft, ist in St. Nikolai – der Kirche, die im Sommer 1943 bei der „Operation Gomorrha“ mit weiten Teilen Hamburgs von britischen Bombern in Ruinen verwandelt wurde. Charles’ Besuch gilt also dem Ort der Versöhnung, nicht dem der Zerstörung.
Förderverein begrüßt Besuch von Charles III.
Für das Mahnmal St. Nikolai ist dieser 31. März natürlich ein besonderer Tag. Klar, ein wenig Stolz schwingt auch mit, schließlich hat man den berühmtesten Monarchen der Welt zu Gast. „Die große Aufmerksamkeit, die der Besuch mit sich bringt, kommt uns auch zugute“, sagt Fahnenbruck. Denn das Mahnmal, getragen von einem Förderverein mit rund 100 Mitgliedern, finanziert sich ausschließlich aus Vereinsbeiträgen, Spenden und Eintrittsgeldern – es gibt keinerlei staatliche Zuschüsse. Der Verein zahlt sogar Miete an die Stadt. Und muss die Personalkosten für 20 Mitarbeiter tragen, von denen die meisten in Teilzeit- und Minijobs an den Kassen tätig sind.
Aufmerksamkeit ist da keine unwichtige Währung. Zumal das Mahnmal gerade mitten in einem Erneuerungs- und Modernisierungsprozess steckt. Das war aber eigentlich schon immer so – „um diesen Ort wird seit 1945 gerungen“, sagt Fahnenbruck. Und es wurde manche aus heutiger Sicht völlig unverständliche Entscheidung getroffen. Die Kirche war im Krieg zwar stark zerstört worden, aber die Mauern des Kirchenschiffs noch intakt – dennoch wurden sie eingerissen. Nur Turm und Chor blieben stehen. Die Kirchengemeinde zog nach Harvestehude um – auch weil kaum noch Menschen in der Innenstadt lebten –, 1962 wurde am Klosterstern der Neubau von St. Nikolai geweiht.
Gedenkstätte wurde jahrzehntelang diskutiert
Die Idee einer Gedenkstätte wurde jahrzehntelang debattiert und schließlich verworfen: Die Ruine allein solle als Mahnmal wirken, meinte der Senat 1971. Mit der Kirchengemeinde war zuvor ein Vertrag geschlossen worden, der das Eigentum (bis auf den Turm) an die Stadt übertrug. Und nun folgte lange nichts. Der Bau verfiel. Bis der Bauunternehmer Ivar Buterfas auf den Plan trat. Er gründete 1987 den Förderkreis „Rettet die Nikolaikirche“, sammelte Geld, um die Bausubstanz zu retten, und mobilisierte die Öffentlichkeit. Eine Ausstellung im Keller wurde eingerichtet, ein gläserner Panorama-Lift in den Turm eingebaut, der auf die Plattform in 76 Meter Höhe führt, wo eine kleine Ausstellung das kriegszerstörte Hamburg zeigt und einen Vergleich der Panoramen damals und heute erlaubt.
Permanente Veränderung liegt gewissermaßen in der DNA dieses Ortes und des Förderkreises. Die Liste der aktuellen Ideen und Wünsche ist denn auch lang. „Wir wollen zum Beispiel die Ausstellung im Museum neu konzipieren“, sagt Nele Fahnenbruck. Sie soll niedrigschwelliger werden, partizipativer, interaktiver. Das soll unter anderem mit Apps, Virtual Reality und anderen Formen der Bebilderung und der Texte gelingen. „Um die junge Generation anzusprechen, brauchen wir neue Ansätze“, sagt Fahnenbruck. Als Beispiel nennt sie den diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, der maßgeblich von Schülerinnen und Schülern des Helene-Lange-Gymnasiums gestaltet wurde. „Sie haben Protokolle von Lehrerkonferenzen ihrer Schule aus der Zeit des Nationalsozialismus ausgewertet und daraus vorgetragen“, berichtet Fahnenbruck. Mit dem Blick auf die Vergangenheit der eigenen Schule werde das Interesse für Geschichte so geweckt, wie es klassische Ansätze nie könnten.
Homepage strahlt im neuen Glanz
Bereits rundumerneuert ist der Internetauftritt. Sechs Sprachen sind nun verfügbar, die Schrift ist größer, es gibt weniger Text, aber mehr Fotos und Videos – und mehr Texte in einfacher Sprache. Verändert hat sich auch die bauliche Situation. Die Neubauten in unmittelbarer Nachbarschaft zum Großen Burstah hin sind fertiggestellt, bald werden auch die Straßenarbeiten abgeschlossen sein, sodass St. Nikolai wieder von allen Seiten zugänglich sein wird. Dann soll auch das Nordportal wieder als Eingang geöffnet werden.
Für weitere Aufmerksamkeit wird auch die geplante Außenstelle des Archäologischen Museums am Hopfenmarkt sorgen. Dort wird unterirdisch ein „Grabungsfenster“ entstehen, um die verborgene Konstruktionsstruktur der „Neuen Burg“ zu zeigen, die vor ziemlich genau 1000 Jahren (1021–1023) dort gebaut worden war. 170 Jahre später entstand hier die Neustadt – die Keimzelle der Handelsmetropole – mit der Kirche St. Nikolai im Zentrum.
„Wir sind auch Teil dieser Geschichte“, sagt Nele Fahnenbruck, und natürlich werde das Mahnmal mit dem Archäologischen Museum kooperieren. Und profitieren. Die klassische Touristenroute führt ja ohnehin vom Rathaus über das Mahnmal und die Deichstraße in die Speicherstadt und zur Elbphilharmonie. Wenn das neue Museum fertig ist – im Zuge dessen wird ja auch der Hopfenmarkt attraktiver gestaltet –, werden noch mehr Menschen auf das Mahnmal aufmerksam.
Für den Förderkreis und die Geschäftsführerin geht es bei allen neuen Ideen auch um die (nur auf den ersten Blick) banale Frage: Was ist das eigentlich für ein Ort, dieses Mahnmal St. Nikolai? Und was für ein Ort soll es sein?
Das Mahnmal ist in ständigem Wandel und muss sich modernisieren
Antworten gibt es reichlich: Es ist ein Museum, ein Gedenkort, eine Begegnungs- und Kulturstätte, eine Touristenattraktion, ein Veranstaltungsort, eine Aussichtsplattform, eine Kirche. „Natürlich werden wir zuerst mit den Kriegszerstörungen und der ,Operation Gomorrha‘ in Verbindung gebracht“, sagt Nele Fahnenbruck. Aber der Ort stehe eben für viel mehr als „nur“ das.
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Manche Gäste kommen aus Architektur-Interesse, andere wollen die Fahrt mit dem gläsernen Fahrstuhl und den Ausblick genießen. Manche wollen das berühmte Glockenspiel („Carillon“) hören – aus ganz Europa kommen Anfragen von Musikern, die dieses Instrument mit den 51 Kirchenglocken gerne einmal spielen möchten. Und viele kommen auch ganz zufällig vorbei und erfahren erst dann, um was für einen Ort es sich handelt. Die Mehrzahl der Besucher kommt ohnehin nicht aus Hamburg.
Eine ganz besondere Bedeutung hat das Mahnmal für die nach Hamburg geflüchteten Ukrainer. „Ohne dass wir gezielt auf uns aufmerksam gemacht haben, sind im Laufe des Jahres immer mehr Ukrainer zu uns gekommen“, sagt Fahnenbruck. „Offenbar ist es für sie in ihrer Ausnahmesituation ein geeigneter Ort, um die Gedanken zu ordnen.“ Gut 15.000 Gäste wurden 2022 schließlich gezählt (der Eintritt ist für ukrainische Geflüchtete frei). Die Bilder des Krieges seien eben fast austauschbar, ob sie nun das zerstörte Hamburg 1945 oder Mariupol 2023 zeigten.
Das Mahnmal und seine Rolle entwickeln sich so ständig weiter. Für diesen Modernisierungswillen stehen auch die Mitglieder des Förderkreises, dessen Vorstand unter anderen der Regisseur und Lichtkünstler Michael Batz und der langjährige Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Prof. Detlef Garbe, angehören. Batz hat die Idee eines Campus entwickelt. Erste Schritte in diese Richtung sind eine Vorlesungsreihe ab April, bei der es in Zusammenarbeit mit der Universität um die Geschichte des Gedenkens am Beispiel Gomorrha geht. Ende Juni gibt es dazu eine internationale Fachtagung. Im Juli und August steht dann die „Operation Gomorrha“ erneut im Mittelpunkt. Die Angriffe, bei denen rund 34.000 Hamburger starben, jähren sich zum 80. Mal. Mehrere Gedenkveranstaltungen sind geplant.
Zunächst dreht sich aber alles um den Besuch von Charles und Camilla am 31. März. Auf den Tag genau ein Jahr zuvor hat Nele Fahnenbruck ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin begonnen. Keine schlechte Gästeliste also für das erste Dienstjubiläum.