Hamburg. Leontine von Schmettow ist Deutschlands beliebteste Königshausexpertin – und kennt sich bei Hofe aus. Abendblatt lädt zu Event ein.

Spätestens seit dem Tod von Königin Elizabeth II. und dem Buch „Reserve“ von Prinz Harry ist das britische Königshaus um Charles III. mächtig unter Erklärungsdruck geraten. Die Berichte zeigen: Was oberflächlich wie eine schillernde Welt voller Luxus aussieht, ist tatsächlich für den einen oder anderen ein Dschungel voller Tretminen. Zeit, ein wenig hinter den Vorhang royaler Strukturen zu blicken.

Hamburger Abendblatt: Schauen Sie sich eigentlich den umjubelten Netflix-Serienhit „The Crown“ an? Oder können Sie dabei ­berufsbedingt nicht entspannen, weil Ihnen auf dem heimischen Sofa zu viele Fehler auffallen?

Leontine von Schmettow: Doch, ich sehe mir das allein schon aus beruflichen Gründen an und habe insbesondere die ersten Staffeln mit großer Begeisterung geschaut. Ich habe schon den Eindruck, dass sich Drehbuchautor Peter Morgan extrem bemüht hat, möglichst nah an der historischen Wahrheit zu bleiben. Zudem kenne und schätze ich den britischen Historiker Robert Lacey sehr, der die Macher der Serie beraten hat. Aber, zugegeben, ich habe jetzt in der fünften Staffel zunehmend Schwierigkeiten, die Schauspieler mit den royalen Persönlichkeiten, die ich ja teils getroffen und deren Eigenschaften ich lange studiert habe, in Einklang zu bringen. Ich persönlich mag zum Beispiel die Schauspielerin, die aktuell in der Rolle der Queen zu sehen ist, nicht besonders. Sie kommt, anders als die verstorbene Königin, nicht sympathisch rüber. Und dann gibt es da sicher die eine oder andere Szene, die dramatisch fiktionalisiert ist und von der ich glaube: Na ja, so war das wohl eher nicht ...

Zum Beispiel?

Leontine von Schmettow: Also, dass Prinz Charles, der bekanntermaßen ein sehr traditionelles Verständnis von der Erbmonarchie hat, also der Auffassung ist, dass man bis zum Tod auf dem Thron verbleibt, gesagt haben könnte, dass es besser sei, wenn seine Mutter freiwillig abdanke, damit er das Königreich modernisiere – das halte ich doch für eher abwegig. Das hätte er in Wahrheit nie gewagt, glaube ich. In solchen Momenten zucke ich dann schon vorm Fernseher zusammen.

Ist denn das höfische Protokoll, die Etikette gut abgebildet?

Leontine von Schmettow: Dazu muss man sagen, dass Benimm­regeln ja nicht starr sind. Es gibt kein ­offizielles Handbuch, in dem man nachlesen kann, wie man sich bei Hofe zu verhalten hat. Ich glaube, formelle Regeln ergeben grundsätzlich nur dann Sinn, wenn sie auch ein Stück weit mit der Zeit gehen. Bis 2009 war es zum Beispiel am britischen Hof üblich, dem Monarchen ­niemals den Rücken zuzukehren, das galt als äußerst unhöflich. Die Folge: Gäste entfernten sich immer rückwärts. Aber wenn dann da eine Teppich-Stolperfalle liegt oder der Gast versehentlich gegen eine Säule läuft, dann ist das schon etwas unpraktisch. Das hat die Königin eingesehen und diese Regel abgeschafft. ­Überhaupt ist die Queen durchaus mit der Zeit gegangen – manchmal etwas zu spät, ja, das kann man ihr vorwerfen. Aber sie hat schon irgendwann gespürt, dass sich die Zeiten verändern, dass ihr Volk es liebt, wenn sie ihre private, selbst­ironische Seite zeigt. Denken wir nur an den zauberhaften Film anlässlich ihres 70. Thronjubiläums mit Paddington Bär! Oder ihren „Bond“-Auftritt mit ­Daniel Craig zu den Olympischen Sommerspielen in London. Das wäre noch zehn Jahre zuvor vermutlich undenkbar gewesen.

Trotzdem berichtet gerade die britische Boulevardpresse immer wieder über Fett­näpfchen, in die vor allem bürgerliche Damen treten, die in die Monarchie einheiraten. Meghan Markle wagte es, eigenhändig die Autotür zuzuschlagen ...

Leontine von Schmettow: Ja, aber da ist die Presse zuweilen schärfer als das Volk. Oder auch als Mitglieder der Monarchie selbst. Was gab es auch für einen medialen Aufschrei, als Mi­chelle Obama bei ihrem Besuch im Buckingham Palace die Queen leicht in den Arm genommen hat. Anfassen! Die Königin!! Macht man nicht!!! Die Queen hat es offensichtlich nicht schlimm gefunden, sie hat die Umarmung jedenfalls sogar zart erwidert. Ich glaube, dass es das Volk im 21. Jahrhundert eher schätzt, wenn sich die königliche Familie nahbar zeigt und sich nicht permanent hinter höfischer Distanz und Bodyguards verschanzt.

Welchem Königshaus gelingt Volksnähe denn am glaubwürdigsten?

Leontine von Schmettow: Man denkt sofort an die Skandinavier, vielleicht noch an die Niederländer. Wobei Königin Beatrix jetzt auch nicht besonders nahbar war. Ich glaube, die größte Zeitenwende hat diesbezüglich sicher Prinz Haakon von Norwegen eingeleitet, der mit Mette-Marit eine Bürgerliche geheiratet hat, die einen unehelichen Sohn mit in die Ehe brachte – und anscheinend auch eine Drogenvergangenheit. Allerdings muss man sich dafür die jeweilige Gesellschaft anschauen: Die Skandinavier sind sehr libertär, egalitär und tolerant. Hätten die ein solch konservatives Königshaus wie das spanische, dann wäre da die Monarchie längst abgeschafft. Auch die Dänen lieben es, dass zum Beispiel ihr Kronprinz Frederik wie selbstverständlich mit dem Fahrrad durch Kopenhagen kurvt. Ich glaube, dass diese Balance zwischen Normalität und Anderssein immer fein justiert werden muss.

Die Amerikanerin Meghan Markle, Ehefrau von Prinz Harry, hat diese nötige Balance nicht hinbekommen?

Leontine von Schmettow: Da sind auf beiden Seiten Fehler gemacht worden, glaube ich. Der Druck ist enorm, und die Presse war sicher erbarmungslos – übrigens ganz früher auch Kate Middleton gegenüber, die als „Waity Katie“ verspottet wurde. Heute macht sie geradezu alles perfekt. Meghans Hauptfehler war aus meiner Sicht, dass sie nie begriffen hat, dass es nicht um sie geht. Nicht sie spielt die Hauptrolle, sondern die Institution, die Monarchie. Es geht um den Dienst am Volk. Sie selbst ist nur von Interesse, weil sie durch die Hochzeit mit Prinz Harry Mitglied des Königshauses geworden ist. Vorher hat es niemanden wirklich interessiert, dass sie mal in einer amerikanischen Serie gespielt hat oder feministische Ansichten teilt. Wobei sie sicherlich mehr psychologische Unterstützung gebraucht hätte. Und das zieht sich leider wie ein roter Faden durch die britische Monarchie: Auch Prinzessin Diana hat unter diesem Druck extrem gelitten.

Wer mit der königlichen Familie zu tun hat, muss also viel lernen. Aber wie wird die neue Freundin eines Prinzen trainiert?

Leontine von Schmettow: Es gibt keine hollywoodreife „Prinzessinnen-Schule“, so viel steht fest. Das handhabt auch jedes Königshaus anders. Maxima zum Beispiel musste erst mal Niederländisch lernen. Und dann gilt es natürlich das politische System zu verstehen, die Geschichte des jeweiligen Landes zu lernen. Und ja, das königliche Protokoll ist immer noch komplex: Wann muss ich knicksen? Wen darf ich ansprechen, wem darf ich vielleicht sogar ein Küsschen geben? Darf ich die Beine kreuzen? Nein! Wann muss ich eine Strumpfhose tragen? Fast immer! Wann ist ein Hut Pflicht? In Spanien soll sich Königin Sofia höchstselbst ihrer Schwiegertochter Letizia angenommen haben, über ein halbes Jahr sollen die beiden Frauen jeden Tag sechs Stunden lang zusammengesessen haben. Letizia ist nun aber auch ausgesprochen ehrgeizig, sie hat sich am Anfang jeden ihrer Auftritte auf Fotos oder Videos angeschaut.

Dresscodes sind ja nach wie vor wichtig. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man selbst einmal bei Hofe eingeladen wird: Was zieht man da an?

Leontine von Schmettow: Die gute Nachricht: Man wird vorab sehr gut vorbereitet, die jeweilige Protokoll­abteilung macht da einen guten Job. Ich war zum Beispiel vor Jahren mal im ­Buckingham Palace eingeladen, und da galt laut Einladung der Code „Morning Dress“. Für Männer bedeutet das einen sogenannten Cut oder Anzug, für Frauen knieumspieltes Kleid oder Kostüm, gern mit Hut oder Faszinator. Hosenanzug ­wäre heute aber wahrscheinlich auch in Ordnung. Goldene Regel: nicht zu offenherzig, kein tiefes Dekolleté, kein zu kurzer Rock.

Bringt man eigentlich ein Gastgeschenk mit? Und was bitte schenkt man einer Königin?

Leontine von Schmettow: Schwierig, kommt natürlich auf den Anlass an. Ich war einmal bei Königin Silvia eingeladen, die ja aus Heidelberg stammt. Und ich hatte gehört, dass sie Spargel liebt, dass dieser aber in Schweden kaum zu bekommen sei. Also habe ich ihr eine große Kiste deutschen Spargel mitgebracht. Sie hat sich sehr gefreut – und ich hoffe einfach für mich, dass diese Freude echt war und sie in Wahrheit nicht in Stockholm an jeder Ecke das importierte Gemüse einkaufen kann …

Wie lange tüftelt die Protokollabteilung an einer Tischordnung?

Leontine von Schmettow: Monate! Das ist ja eine hochdiplomatische Angelegenheit. Man muss sehr genau darauf achten, wer wo sitzt. Je wichtiger, desto näher am Monarchen/der Monarchin. Je unwichtiger, desto weiter am unteren Ende der Tafel. Es sollte kein Streitpotenzial zwischen Sitznachbarn bestehen. Dann stellt sich bei internationaler Zusammensetzung natürlich die Frage nach der Sprache. Wer kann sich mit wem gut unterhalten und vor allem auch über was? Rechts von der Königin oder dem König sitzt immer der Ehrengast. Links sitzt auch ein hochrangiger Gast, der aber wissen sollte, dass er während des ersten Ganges schweigen muss. Denn das erste Gespräch gehört dem Ehrengast.

Aber über was spricht man denn mit dem König/der Königin?

Leontine von Schmettow: Es darf weder politisch sein noch zu persönlich. Insofern sollte man sich ein bisschen vorbereiten und wissen, welche Themen eine mögliche Herzensangelegenheit sind. Und man sollte nichts thematisieren, in dem man selbst nicht sattelfest ist. Mit König Charles kann man sicher über den Klimawandel sprechen, auch wenn das ein bisschen politisch ist. Maxima, eine gelernte Bankerin, freut sich, wenn man mit ihr über globale Wirtschaft redet. Aber sie ist auch eine liebende und stolze Löwenmama, die auch eine private Frage nach dem Wohlergehen der drei Töchter mit Freude beantworten würde. Königin Silvia spricht gern über ihre World Childhood Foundation, über ihre Wohltätigkeitsorganisation. Na ja, und Königin Margarethe ist ein Ballett-Fan, eine enge Freundin von John Neumeier. Sie ist ja auch regelmäßig in Hamburg.

Was tun, wenn man einen Gang des Essens partout nicht mag?

Leontine von Schmettow: Es wäre hochgradig unhöflich, etwas zurückgehen zu lassen. Natürlich wird aber auch vorab abgefragt, ob es Allergien und Abneigungen gibt. Wichtig ist: Nie mit dem Essen beginnen, bevor der Monarch Messer und Gabel in die Hand genommen hat. Und unbedingt aufhören, wenn er beides ablegt. Das gilt immer noch, aber die Queen hat zum Beispiel gern noch am letzten Salatblatt herumgenestelt, um ihren Gästen ausreichend Zeit zu geben. Was absolut verboten ist, sind Handys. Nie Fotos während eines Dinners.

Gibt es sonst noch eine Besonderheit?

Leontine von Schmettow: Na ja, es wird am britischen Königshaus niemals eine Tafel mit 13 Gästen geben, denn die gilt als Unglückszahl.

Wenn Sie so im Alltag unterwegs sind, denken Sie da manchmal: Ein bisschen mehr königliche Etikette wäre schön?

Leontine von Schmettow: Manchmal finde ich es schade, wie bestimmte Umgangsformen verloren gehen. Ich betrat zum Beispiel neulich ein gehobenes Restaurant und wurde sofort geduzt. Das empfinde ich als befremdlich, ich möchte mindestens gefragt werden. Aber grundsätzlich beherzige ich die Maxime: Andere so behandeln wie ich selbst behandelt werden möchte. Dann kommt man, glaube ich, auch ohne strikten Benimmkodex ganz gut durch die Welt.


Vielen Dank für das Gespräch.

Das Hamburger Abendblatt plant für seine Leserinnen und Leser ein exklusives Event mit Leontine von Schmettow. Wenn Sie Interesse haben mit dabei zu sein, melden Sie sich mit dem Betreff „Leontine von Schmettow“ per E-Mail unter leserevents-abendblatt@funkemedien.de für weitere Informationen.