Hamburg. Der Mediziner, der Helmut Schmidt behandelte, denkt nicht ans Aufhören und praktiziert weiter in der Asklepios Klinik St. Georg.

Wer das Haus A auf dem Gelände der Klinik St. Georg betritt, kann nicht nur über eine moderne Cafeteria in einem denkmal­geschützten Gebäude staunen. Im ersten Stock hält mit Professor Heiner Greten ein ehemaliger Klinikdirektor private Sprechstunden ab, die diese Bezeichnung verdienen – die Zeit und Intensität des Gesprächs betreffend. Wer den 83-Jährigen als Mediziner guter, alter Schule bezeichnen mag, irrt nicht. „Zuwendung auf Augenhöhe für den einzelnen Patienten ist Basis meiner Arbeit“, sagt der langjährige Ordinarius für innere Medizin. Im Gegensatz zum bisweilen hektischen Krankenhaustrubel kann sich der Gastroenterologe heutzutage den Luxus leisten, frei von Termindruck zu wirken. Sein Credo: „Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient muss nahbarer werden.“

Von morgens bis nachmittags ist er im Dienst, praktisch werktäglich. „Das ist mein Leben“, sagt Greten. Absolut ohne Pathos. Nicht nur als „Leibarzt“ des im Alter von 96 Jahren verstorbenen Staatsmanns Helmut Schmidt stand Greten in der Öffentlichkeit. Auch Persönlichkeiten wie Hannelore „Loki“ Schmidt, Siegfried Lenz, Gert Fröbe, Klaus von Dohnanyi, Freddy Quinn und Ivan Rebroff konsultierten ihn. Im Forum Zukunftsmedizin der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf begleitet der Professor eine Serie mit dem Schwerpunkt Medizin. Der Titel ist Programm: „Mein Arzt. Mein Partner.“

Heiner Greten – der Professor mit dem Elefanten-Faible

Da diese intensive Schaffenszeit viel mehr als Medizin umfasst, bitten wir Greten, eine der führenden Klinikkoryphäen der Hansestadt, bewusst nicht in seinem Besprechungszimmer zu Tisch, sondern in der Nähe seines Hauses in Harvestehude. Ebenso wie Professor Greten gilt das Café Funkeck als Institution. Das Hamburger Labskaus mit Rollmops und Spiegeleiern ist als Mittagstisch legendär. Daher ist die Menüwahl rasch getroffen.

Greten ist ein Mann dezenter, bedächtiger Worte, alles andere als ein Lautsprecher. Die Fakten sprechen für sich. Zwar wohnte der gebürtige Bremer mit seinen Eltern früher in Jena und kam erst 1948 aus Ostdeutschland nach Hamburg, doch hat er die Tugenden seiner Wahlheimat verinnerlicht: Der renommierte Arzt wirkt nicht nur äußerlich wie der Bilderbuchtypus des honorigen Hanseaten.

Heiner Greten trat 2004 als Klinikdirektor des UKE in den Ruhestand

Als Heiner Greten 2004 als Klinik­direktor am Universitätsklinikum Eppendorf in den Ruhestand trat, wechselte er als Chairman in die Kardiologie der Asklepios Klinik St. Georg. Die Idee dahinter: Eine Metropole wie Hamburg braucht ein Herzzentrum. Gretens Job, etwas vereinfacht dargestellt: die Herzabteilungen verschiedener Asklepios-Kliniken unter einem Dach zu organisieren.

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und Professor Heiner Greten verband mehr als nur eine berufliche Beziehung. Der Mediziner war ständiges Mitglied der berühmten Freitagsgesellschaft im Hause der Schmidts in Langenhorn. Intelligente Köpfe unterschiedlicher Fakultäten pflegten sich über grundsätzliche Fragen auszutauschen. Die Teilnahme konnte man nicht erwerben: Schmidt entschied, wer dem erlauchten Kreis angehören dürfe. Basta.

Das Thema des besonderen Vertrauensverhältnisses der beiden Herren wollen wir nach dem Essen vertiefen. Einer wie der andere schrieb Geschichte. Der Kontakt begann während Gretens Einsatz als Klinikdirektor in Eppendorf und setzte sich nach dem Wechsel in die Klinik St. Georg fort. Heiner Greten war als Arzt präsent, als im November 2015 ein langes, ereignisreiches Leben in Würde ausklang. Zuvor hatten die Medien genüsslich darüber berichtet, dass es einst im Krankenhaus eine „Lex Schmidt“ gab. Der Kanzler außer Dienst durfte seine heiß geliebten Zigaretten der Marke Reyno White dort paffen, wo es eigentlich tabu ist. Offiziell genehmigt war es so richtig nie, aber keiner beschwerte sich, wenn es bei Schmidt mächtig dampfte. Man kann dieses Verhalten großzügig nennen. Oder einfach lebensklug.

Peter Tschentscher saß als Medizinstudent in Gretens Vorlesungen

Diese und andere Anekdoten machen noch heute bisweilen die Runde auf den Fluren der Krankenhäuser in Eppendorf und St. Georg. Professor Heiner Greten bleibt seiner ärztlichen Schweigepflicht treu. Er lächelt wissend. Und dass Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschen­tscher (SPD) in jungen Jahren als Medizinstudent in Gretens Vorlesungen saß, ist weitgehend unbekannt. Vielen Kommilitonen blieb eine universitäre Veranstaltung markant im Gedächtnis: Professor Greten, mit roter Mütze weihnachtlich gewandet, kredenzte im Vorlesungssaal eine Feuerzangenbowle. Die Runde ging quasi aufs Haus. Gut zwei Jahrzehnte ist das her.

In St. Georg favorisiert Heiner Greten stilles Wasser oder Tee. Er ist Leitender Arzt des Bereichs Prävention der Klinik St. Georg. Auf diesen Schwerpunkt legt das Krankenhaus großen Wert. Und als Präventivmediziner basiert seine Lehre auf gesunder Ernährung und einer sportlichen Lebensart. Greten ging und geht mit gutem Beispiel voran. Mehr als sechs Jahrzehnte spielte er leidenschaftlich Hockey: als Jugendlicher bei Klipper Hamburg, übrigens gemeinsam mit dem späteren Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), als Erwachsener im Club an der Alster. Fünfmal im Jahr treffen sich die rüstigen Senioren zum Frühstück, es ist eine Art Stammtisch. Nach wie vor schlägt der 83-Jährige den Golfball im Club Walddörfer im Nordosten Hamburgs und spielt an der Alster Tennis.

"Klinik St. Georg ist mein neues beruftliches Zuhause"

Die Zertifikate im Dienstzimmer an der Lohmühlenstraße in St. Georg haben andere Beziehungen. Es handelt sich um Ehrungen, Auszeichnungen und Preise aus einem prall gefüllten Berufsleben. Im Blickpunkt stehen Fotos der Familie. Ehefrau Eva, von ihm liebevoll „Kurze“ genannt, verstarb vor mehr als zehn Jahren. Der Kontakt zu den beiden Söhnen, den Schwiegertöchtern und drei Enkelkindern sei intensiv. Heiner Greten ist es geglückt, die Pluspunkte eines aus seiner Sicht faszinierenden Berufs vorzuleben. Tim arbeitet als Medizinprofessor an einem Forschungsinstitut bei Washington in den USA. Bruder Florian ist Professor an der Universitätsklinik in Frankfurt am Main. Tägliche Telefonate halten den Senior jung. Auch während dieses Gesprächs im Café Funk­eck an der Rothenbaumchaussee meldet sich der Junior aus Übersee. Heiner Greten verspricht späteren Rückruf.

„Die Klinik St. Georg ist mein neues berufliches Zuhause“, bilanziert der Mediziner. Die Ära in Eppendorf bleibt unvergessen. Seine Sekretärin Eva-Maria Schmitz assistiert ihm seit nunmehr 36 Jahren. Hier wie dort. „Es gibt keinen Grund, mit 65 Jahren in den Ruhestand zu treten“, befand Greten vor seinem beruflichen Wechsel 2004 Richtung Außenalster. Die Asklepios Klinik St. Georg schätzt er als traditionsreiche Einrichtung der Hansestadt, deren nunmehr 200-jährige Geschichte Respekt verdiene.

Die zentrale Lage im Herzen Hamburgs sei ein Segen für die Menschen. „Von jeher sind wir medizinisch ausgezeichnet besetzt“, fügt Professor Greten hinzu. Die Aufteilung der Klinik in verschiedene Häuser, wegen der Infektionsgefahr einst geboten, sei ein optisch charakteristisches Merkmal. Etwa einmal im Monat findet die ärztliche Direktorenkonferenz statt. Präsenz ist für Greten Ehrensache.

Helmut Schmidt und Professor Greten waren alte Bekannte

Frau Schmitz, die treue Sekretärin, kennt das Faible ihres Chefs für Elefanten. Einige dieser Miniaturen stehen in Gretens Arbeitszimmer. „Sie sind keine bösen Tiere, aber groß und kräftig“, sinniert Greten, „und sie haben ein grandioses Gedächtnis.“ Ein Rudel der gesammelten Dickhäuter stammt aus Asien. Einstmals dienten sie als Gewichte für eine Handwaage, mit der Opium portioniert wurde. Es passt ins Bild, dass Heiner Greten früher auf einem lebendigen Elefanten in eine Zirkusmanege ritt. Mitarbeiterinnen, Kollegen und Kinder waren aus dem Häuschen. Hintergrund: Einer seiner Patienten war als Zirkus­direktor aktiv. Als Dank spendierte er eine Sondervorstellung für das Team Greten plus Angehörige. Solche Episoden kann das Ärzteleben schreiben.

Apropos große Tiere. Hier nun der versprochene Schlenker zur Person Helmut Schmidt. Der Politiker und der Arzt kannten sich Jahrzehnte. Man baute auf das „Hamburger Du“. „Heiner“, sagte der Staatsmann zu seinem „Leib­arzt“, blieb ansonsten indes beim Sie.

Eines Tages fuhr eine schwarze Limousine bei Heiner Greten vor, dem Mediziner und Mitstreiter der Freitagsgesellschaft. Mithilfe seines Chauffeurs überreichte Helmut Schmidt ein Kunstwerk des von ihm und seiner Frau hochgeschätzten Malers Klaus Fußmann aus Berlin. Es handelte sich um ein persönliches Dankeschön für einen Freund. In Heiner Gretens Haus in Rotherbaum hat es einen Ehrenplatz inne.