Hamburg. Erst muss eine Kinopremiere abgebrochen werden, dann randalieren hunderte Jugendliche in der Innenstadt – was dahinter stecken könnte.
Kurze Videos mit fataler Wirkung: Gleich zweimal innerhalb weniger Tage haben Social-Media-Trends für eher ungewöhnliche Großeinsätze der Polizei Hamburg gesorgt. Ein nur wenige Sekunden langer Aufruf eines Modelabels auf der Videoplattform TikTok sorgte am Sonnabend für stundenlange Randale aufgebrachter Jugendlicher in der City.
Bereits am Donnerstagabend musste die Premierenvorstellung des Box-Films "Creed III" abgebrochen werden, nachdem Kinogäste eine Massenschlägerei im Saal meldeten. In diesem Fall soll der Auslöser ein Trend auf TikTok gewesen sein: Jugendliche filmen sich dabei, wie sie Filmvorstellungen des US-Films – einem Spin-off der bekannten Rocky-Reihe – in Kinos stören.
TikTok: Steckt eine Challenge hinter Filmabbrüchen?
Auch andere deutsche Städte hat der Trend erreicht: Am Wochenende war es unter anderem in Essen und Bremen zu Ausschreitungen gekommen. In beiden Fällen wurden die Vorstellungen abgebrochen. In Frankreich kam es sogar zu Festnahmen, nachdem Kinobesucher und die Polizei aneinandergeraten waren.
Ein Sprecher von Cinemaxx bestätigt auf Abendblatt-Anfrage, dass es am Sonnabend in Essen erneut zu einem "Zwischenfall" während einer Vorstellung gekommen sei. Daraufhin habe man die Polizei alarmiert. Aufgrund von laufenden Ermittlungen will man sich bei Cinemaxx aber nicht weiter zu diesem und dem Vorfall in Hamburg äußern. Auch zum vermeintlichen TikTok-Trend gibt es kein Statement.
In einem Homburger Kino waren die Probleme laut Medienberichten so gravierend, dass der Betreiber den Film aus dem Programm genommen hat. Bundesweit gibt es in Kinos während Vorstellungen des Films "Creed III" Probleme mit Ausschreitungen. Kinofans raten bereits auf Internetportalen vom Besuch des Films ab.
Jugendliche sorgen im Kino gezielt für Chaos
Es ist nicht das erste Mal, dass ein TikTok-Trend in Kinos für Chaos sorgt. Im vergangenen Jahr bescherten die "Gentleminions" Kinobesuchern und -betreibern Frust. Denn anders als ihr Name es vermuten lässt, benahmen sich die Jugendlichen im Anzug ganz und gar nicht wie Gentlemen.
Die Gruppen, die sich teilweise auch über Social Media zum gemeinsamen Kinobesuch des Kinderfilms „Minions – Auf der Suche nach dem Miniboss“ verabredeten, hinterließen verwüstete Kinosäle. Angefangen hatte der Trend mit dem Video eines 18-jährigen Australiers, der zufällig im Anzug ins Kino ging. Und warum das alles? Um kurze Filmbeiträge auf TikTok zu veröffentlichen.
Creed III: Wie Experten den neuen Trend einschätzen
Während die Polizei in Essen im Zusammenhang mit "Creed III" bereits Anzeichen für eine sich anbahnende Challenge – also ein sich weit verbreitender Trend, der möglichst viele Nutzer zur Nachahmung animieren soll – sieht, sind andere Experten bislang noch zurückhaltend. Für eine typische Challenge fehle dem Thema ein Hashtag und ein typischer Sound, sagt Marcus Bösch, Wissenschaftler an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. „Ohne die verbreitet sich ein Thema bei TikTok nicht.“
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Auch Robert de Lubomirz-Treter von der Landesanstalt für Medien NRW hält die Verbreitung in dem Netzwerk noch für zu niedrig. Durch den Mechanismus des Videoportals könnte aber ein Trend daraus werden, sagt er. In den Kommentaren zu den Clips aus den Kinosälen gebe es gerade auffällig viele rassistische Äußerungen, die den Widerspruch anderer Nutzer erzeugten. „Das sorgt für Interaktion und damit für Traffic und spült das Thema bei noch mehr Menschen auf die Displays.“
Durch diese Prominenz könnte sich das Thema weiter hochschaukeln. „Viele Nutzer wollen ja eine möglichst hohe Zahl an Aufrufen bekommen, denn dann ist man wer. Um eine hohe Zahl an Aufrufen zu bekommen, kann man ein ohnehin schon prominentes Thema aufgreifen, muss aber noch ein bisschen weitergehen als die anderen“, erklärt der Medienexperte. Bei den Kino-Randalen gebe es jedenfalls einige Zutaten, die einen kommenden Trend begünstigen könnten. „Zerstörung, sich gegen die Erwachsenen auflehnen, Risiken und Grenzen testen – da ist schon einiges dabei, was Heranwachsende reizen kann.“
TikTok: Zwillinge bei mutmaßlichem Videodreh von Zug erfasst
Dass ein Online-Videodreh sogar im Wortsinn fatale Folgen haben kann, zeigt der Fall der Zwillinge aus Allermöhe. Im Januar erfasste ein Regionalzug die Schwestern, die sich auf den Gleisen nahe des Bahnhofs Allermöhe aufhielten. Eine der beiden 18-Jährigen überlebte die Aktion nicht.
Im Anschluss leitete die Bundespolizei ein Verfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr ein. Der Verdacht: Die beiden Mädchen befanden sich auf den Gleisen für einen Videodreh – ebenfalls für die Plattform TikTok. Auf einem sichergestellten Handy fanden sich Bildaufnahmen von Zügen, die das unter anderem nahelegen.