Hamburg. Dort, wo Esso-Häuser und Kulttankstelle standen, wachsen seit Jahren Gras und Sträucher. Jetzt scheint ein Durchbruch in Sicht.
Auf dem Grundstück hat sich eine Grünfläche entwickelt. Hier wachsen Gras und Sträucher. Paletten und eine leere Kiste Bier sind auf der rund 6100 Quadratmeter großen Fläche am Spielbudenplatz/EckeTaubenstraße auch noch zu finden. Im Dezember 2013 mussten die Bewohner die beiden Esso-Hochhäuser, die 2014 abgerissen wurden, auf behördliche Anweisung hin wegen Einsturzgefahr verlassen. Die legendäre Esso-Tankstelle wurde im Februar 2014 ebenfalls abgebrochen. Passiert ist hier seitdem nichts. Es ist schon etwas surreal, wenn der Blick von hier auf den Wolkenkratzer Tanzende Türme und die Häuser an der Reeperbahn gegenüber mit ihren Leuchtreklamen fällt und man selber auf diesem unbebauten großen Platz steht.
Aber immerhin scheint an diesem Tag die Sonne, der Himmel ist strahlend blau, und Matthias Reuner posiert für den Abendblatt-Fotografen. Der 51-Jährige ist Niederlassungsleiter der Bayerischen Hausbau und die hat das Areal bereits im Mai 2009 von Jürgen Schütze gekauft. Was damals bezahlt wurde? Im Geschäftsbericht der Bayerische Hausbau ist von 16,9 Millionen Euro die Rede. Aber über Geld möchte Reuner nicht sprechen, auch nicht über die Gesamtinvestition für das Projekt, das finanziell über die Jahre aus dem Ruder gelaufen sein dürfte.
Paloma-Viertel: Für die Namensfindung gab es 250 Vorschläge
Vor 13 Jahren also haben die Münchner – das Unternehmen gehört zur Schörghuber Gruppe, zu deren Portfolio auch die Paulaner Brauerei und diverse Hotels wie das The Westin in der Elbphilharmonie zählen – das Filetgrundstück in bester Kiezlage erworben. Von „einem vielschichtigen und sehr komplexen Projekt“ spricht Reuner, der jetzt an einem langen Tisch im Besprechungsraum der Bayerischen-Hausbau-Niederlassung am Zirkusweg auf St. Pauli sitzt. „Wir hatten bei dem Grundstückskauf nicht damit gerechnet, dass das öffentliche Interesse an diesem Projekt so groß ist. Aber wir haben viel zum Thema Bürgerbeteiligung gelernt und hoffen, dass es jetzt bald losgeht“, sagt Reuner.
Nachdem es Vorbehalte gegen das XXL-Bauvorhaben von Initiativen und Anwohnern auf St. Pauli gab, wurde schließlich die PlanBude mit der Bürgerbeteiligung beauftragt, die Jahre in Anspruch nehmen sollte. „Wir hatten am Ende rund 2300 Eingaben von Bürgern zu dem Projekt – und das, was daraus entstanden ist, kann sich sehen lassen.“ Auch für die Namensfindung wurden 250 Vorschläge eingereicht. Eine Jury wählte dann den Namen Paloma-Viertel aus. 186 Wohneinheiten sind geplant. 40 Prozent öffentlich gefördert und 40 Prozent frei finanzierte Mietwohnungen. Dazukommen 20 Prozent Genossenschaftswohnungen. Auch ein Hotel mit 150 Zimmern ist Teil der Projekts. „Das soll ein Themenhotel werden, das zum Kiez passt“, sagt Reuner. Einen Betreiber gibt es allerdings bislang nicht.
Auch das Molotow zieht zurück an seinen alten Platz
Auch ein Paulaner-Brauhaus, weitere Gastronomie, ein Nahversorger und quartiersbezogene Nutzungen – diese Flächen sollen zu deutlich reduzierten Mieten angeboten werden – sind geplant. Der Musikclub Molotow zieht ebenfalls zurück in den Neubau. Öffentlich begehbare Dachflächen und eine Kletterwand sind zudem Teil des Paloma-Viertels. Das steht auch in einem städtebaulichen Vertrag, in dem alles in Bezug auf das Paloma-Viertel geregelt ist und den der Bezirk und die Bayerische Hausbau bereits im Oktober 2018 unterschrieben haben. Im Juni 2021 gab es noch einen Nachtrag. Und im November vergangenen Jahres hat die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte die Vorweggenehmigungsreife für das Bauvorhaben beschlossen.
Seitdem hätte die Bayerische Hausbau ihre Bauanträge einreichen können. Die Prüfung des Bebauungsplans für das Paloma-Viertel durch das Rechtsamt im Bezirk ist weitgehend abgeschlossen, soll in Kürze von Mittes Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD) unterschrieben werden. Aber die Bauanträge der Bayerischen Hausbau liegen noch nicht vor. Doch im Abendblatt-Gespräch kündigt der Statthalter der Bayerischen Hausbau nun einen Meilenstein an. „Wir müssen unsere Bauanträge noch anpassen und werden diese dann im Sommer einreichen. Denn zum Beispiel gibt es seit Kurzem eine Verordnung, dass wir Fotovoltaikanlagen auf den Dächern anbringen müssen, und auch bei dem Brandschutz für die Kletterwand mussten wir nachbessern“, sagt Reuner.
Bis zur Baugenehmigung kann es noch sechs Monate dauern
Wenn der Bauantrag eingereicht ist, dauert es laut Bezirksamtschef Neubauer aber mindestens noch ein halbes Jahr, bis die Baugenehmigung erteilt wird. „Die Komplexität des Vorhabens kann uns im Verfahren noch in die eine oder andere Extrarunde schicken, bis alle Fragen abschließend geklärt sind. Es könnte aber bereits während der Prüfung der Bauanträge eine Teilbaugenehmigung für den Aushub der Baugrube erteilt werden“, so Neubauer. Matthias Reuner hält es für realistisch, „dass wir 2023 mit den Bauarbeiten auf dem Gelände beginnen können. Die Fertigstellung ist dann für 2026 geplant. Aber das ist alles nicht in Stein gemeißelt, wir dachten auch schon 2019, dass wir bauen können.“
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Einen Generalunternehmer für das Bauvorhaben gibt es unterdessen noch nicht. Und Reuner scheint keine besondere Eile zu haben, auch wenn er weiß: „Natürlich sind die Baukosten zurzeit extrem hoch, und wir werden das auch beim Paloma-Viertel finanziell spüren.“ Immer wieder gab es Gerüchte, dass die Bayerische Hausbau sich von dem Grundstück im Vergnügungsviertel trennen möchte.
Bayerische Hausbau hat ein Immobilienportfolio im Wert von 3,2 Milliarden
Auf die Frage, ob die Bayerische Hausbau das Areal wirklich selbst entwickeln wird, sagt Reuner. „Unsere Position ist unverändert, und für das Paloma-Viertel gilt, was für alle anderen Projekte der Bayerischen Hausbau gilt und was wir immer gesagt haben: Wir ziehen alle Optionen in Betracht. Für uns ist klar, dass München und Hamburg die Standorte sind, wo wir als Projektentwickler weiterhin tätig sein wollen.“
Auf der Internetseite der Bayerischen Hausbau ist zu erfahren, das sie ein Immobilienportfolio im Wert von 3,2 Milliarden Euro ihr Eigen nennt. An der Deelböge an der Grenze zwischen den Stadtteilen Alsterdorf und Eppendorf ist die Bayerische Hausbau deutlich weiter. Hier soll demnächst auf einem 12.600 Quadratmeter großen Grundstück der erste Spatenstich für den Büro-Campus Flow sein, mit einer Mietfläche von 23.600 Quadratmetern. Der japanische Medizin-Technik-Konzern Sysmex wird hier mit 850 Mitarbeitern einziehen. Das ist für Ende 2024 geplant. Pläne für die Fläche, die mehrfach den Eigentümer wechselte, gab es schon viele. Das Grundstück lag mehr als 20 Jahre lang brach.
Lars Schütze ist weiterhin auf St. Pauli aktiv
Ortswechsel. In seinem Büro in der zehnten Etage an der Caffamacherreihe empfängt Bezirksamtsleiter Neubauer, der seit Januar als Nachfolger von Falko Droßmann (SPD) im Amt ist, das Abendblatt zum Gespräch. Aus dem gegenüber liegenden Besprechungsraum hier im Bezirksamt hat man den Kiez im Blick. Das Paloma-Viertel sei für St. Pauli von großer Bedeutung, ein Schlüsselprojekt und gehöre zu den wichtigsten Stadtentwicklungsvorhaben in Mitte, sagt Neubauer. Die Mischung des Quartiers mit Wohnungen, Gastronomie, Gewerbe, einem Hotel und Clubs sei sehr attraktiv, ebenso wie die geplanten öffentlich zugänglichen Dachflächen. Neubauer ist sicher: „Durch das Paloma-Viertel wird St. Pauli hier hervorragend im Sinne des Stadtteils weiterentwickelt. Wir haben großes Interesse daran, dass die Bebauung dieser Brachfläche zeitnah und zügig umgesetzt wird. Und natürlich steht so ein prominenter Ort im Fokus der Öffentlichkeit.“ Aber wieso dauert die Umsetzung so lange? „Es hat eine sehr umfangreiche Bürgerbeteiligung gegeben. Die war zeitaufwendig, hat sich aber gelohnt. Die Bezirkspolitik hat grünes Licht für die Bebauung gegeben, jetzt ist die Bayerische Hausbau am Zug.“
Nur wenige Hundert Meter vom Spielbudenplatz entfernt liegt das Hotel Hafen Hamburg. Hier trifft das Abendblatt Lars Schütze zum Gespräch. Die Entscheidung, das Areal 2009 an die Bayerische Hausbau zu verkaufen, die habe sein Vater Jürgen ganz alleine getroffen“, sagt Lars Schütze. Zunächst hatte sein Opa Ernst Ende der 40er-Jahre auf dem Spielbudenplatz eine Tankstelle eröffnet. Als die umziehen musste, eröffnete die Familie die legendäre Esso-Tankstelle an der Taubenstraße/Ecke Spielbudenplatz und baute in den 60er-Jahren die beiden Hochhäuser samt Hotel, Tiefgarage und Gewerbetrakt. Die Tankstelle mit Waschstraße und Shop war legendär. An den Wochenenden mussten dort Sicherheitskräfte an den Türen stehen, um den Ansturm der trinkfreudigen Kiezgänger in Schach zu halten. In zahlreichen TV-Reportagen spielte dieser Ort die Hauptrolle; und häufig war dann auch Lars Schütze zu sehen.
Tankstelle und Wohnhäuser waren auf dem Kiez Teil einer Ära
Sein 1984 gestorbener Großvater hatte das Grundstück, unter dem auch eine Tiefgarage mit 400 Plätzen war, in Erbpacht, von der Stadt erhalten. Und Jürgen Schütze, der 2015 gestorben ist, kaufte es schließlich Mitte der 90er-Jahre von der Stadt. Die Tankstelle wurde am 15. Dezember 2013 geschlossen und im Februar 2014 abgerissen, ebenso wie die beiden Wohnhäuser. „Ich habe dort seit meiner Jugend mitgearbeitet und war seit Mitte der 90er-Jahre fest angestellt“, sagt Lars Schütze. „Natürlich war diese Tankstelle ein großer Bestandteil meines Lebens. Es war nicht einfach zu verkraften, dass diese Ära endete. Ich hätte gerne weitergemacht.“
Der 54-Jährige hält einen Moment inne und sagt dann. „Es schmerzt mich immer noch, wenn ich an dem Baustellenzaun vorbeigehe, hinter dem nichts passiert, außer dass dort das Grünzeug wuchert.“ Da ihn viele Leute mit diesem Areal in Verbindung brächten, werde er häufig gefragt, wann es da endlich losgehe. „Aber darauf habe ich natürlich auch keine Antwort, der Ball liegt bei der Bayerischen Hausbau, und die scheint es leider besonders schwer zu haben.“
Lars Schütze kann die Reeperbahn einfach nicht loslassen
Zunächst hatte sich Schütze, der selbst einige Jahre in den Esso-Hochhäusern gewohnt hat und heute am Stadtrand von Hamburg lebt, überlegt, „dass ich im Paloma-Viertel eine Fläche beziehe und dort einen Esso-Shop mit einer Eventfläche mache. Aber jetzt hat sich das so lange hingezogen, dass das aus meiner Sicht keinen Sinn mehr ergibt.“
Von St. Pauli kommt Lars Schütze aber nicht los. Zum einen ist er Geschäftsführer der familieneigenen Reeperbahn-Garagen GmbH, zu der 200 Stellplätze unterhalb des Spielbudenplatzes gehören, zum anderen ist er seit 2014 einer der Quartiersmanager vom BID (Business Improvement District) „Reeperbahn+“ und soll dafür sorgen, dass die Vergnügungsmeile sich positiv weiterentwickelt. „Ich habe ja mein ganzes Leben auf dem Kiez verbracht. Das ist hier für mich schon so etwas wie Heimat.“ Und wichtig ist Lars Schütze: „Mein Wunsch ist es – und da spreche ich für viele Menschen auf dem Kiez –, dass diese Fläche endlich zu einem lebendigen Ort entwickelt wird. Das wäre ein Gewinn für den gesamten Stadtteil.“
PlanBude hätte nicht mit dem langen Verzug gerechnet
Und was sagt die PlanBude, die in diesem Text bereits erwähnt wurde und seit 2014 im Auftrag des Bezirks die Anliegen der Bewohner im Stadtteil vertritt? Die findet das Projekt zwar „nach wie vor toll“, zeigt sich ob des zeitlichen Fortschritts jedoch nur verhalten optimistisch: „Man muss jetzt erst mal abwarten, bis es wirklich losgeht. Dass wir seit Jahren in Verzug sind, damit hätte wirklich niemand gerechnet“, sagt Co-Geschäftsführer Christoph Schäfer dem Abendblatt.
Über die Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern zeigt sich der Co-Geschäftsführer zufrieden. „Wir sind in einem stetigen Austausch. Alle sind weiterhin am Ball, das Projekt voranzutreiben.“ Auch mit dem Verlauf sei das Büro „grundsätzlich“ zufrieden. Dennoch sei insgesamt zu viel Zeit vergangen, seit die Ergebnisse des Architekten-Wettbewerbs (Anm. d. Red.: Für den städtebaulichen Entwurf wurden NL Architects aus Amsterdam und BeL Sozietät für Architektur aus Köln bereits im Juli 2015 mit dem ersten Preis ausgezeichnet) vorgestellt wurden. Schäfer resümiert. „Für die Reeperbahn ist das nicht gut, auch wenn es während der Corona-Pandemie nicht so aufgefallen ist.“ Doch das Gelände fehle. „Da muss wieder Leben hin, und die Mieterinnen und Mieter müssen zurück.“
Molotow-Betreiber hoff auf einen Umzug ohne Angst
Das betrifft auch den international renommierten Livemusik-Club Molotow, der nach der Räumung des Esso-Areals erst an die Holstenstraße und kurz darauf ans Nobistor zog – und bis heute blieb. Die Betreiber betonten jedoch von Anfang an, wieder zum Spielbudenplatz zurückkehren zu wollen, wo der Club seit 1990 beheimatet war. „Es hat sehr lange gedauert und gab viele Verhandlungen“, sagt Molotow-Betreiber Andi Schmidt dem Abendblatt. „Aber es ist ja am Ende gut ausgegangen, was uns sehr freut.“ So hatten Stadt und Investor wechselseitige Zugeständnisse vereinbart, um die deutlich höheren Mieten für den Musik-Club abzufedern. Darüber hinaus hatte die Bürgerschaft im Dezember 2020 einen Baukostenzuschuss in Höhe von bis zu 1,87 Millionen Euro beschlossen, um die künftigen Mietkosten des Clubs auf einem bezahlbaren Niveau zu halten.
Schmidt hofft nun, dass die zahlreichen Verzögerungen bald ein Ende haben und mit dem Bau begonnen wird. Neben der generellen Freude, wieder zu den Wurzeln zurückzukehren, sei es auch ein beruhigendes Gefühl, in einen Neubau zu ziehen und „keine Angst haben zu müssen, dass dem Club ein Abriss droht“.