Hamburg. Bar- und Clubbetreiber und Anwohner protestieren unter dem Motto „Save St. Pauli“ gegen den Wandel in ihrem Viertel.

Die eisigen Temperaturen halten sie nicht ab. Dick eingepackt und unterstützt von einer mehrköpfigen Trommelgruppe ziehen rund 350 Demonstranten unter den Augen von zahlreichen Touristen und Kiezgängern am Samstagabend lautstark über die Hamburger Reeperbahn. Unter dem Motto „Save St. Pauli“ haben sich Clubbetreiber, Wirte und Anwohner zusammengeschlossen, um gegen den zunehmenden Ausschank von Billig-Alkohol an Kiosken im Stadtteil zu demonstrieren. Knapp 60 sind es laut Bezirksamt mittlerweile – die Veranstalter sehen dadurch die „kulturelle Vielfalt“ bedroht.

Schon lange brodelt es im bekanntesten Amüsierviertel Deutschlands. Die Gastronomen klagen über dramatische Umsatzeinbußen. Anwohner sind genervt von der zunehmenden Lautstärke, da sich die Feierwütigen vermehrt auf den Straßen anstatt in den Etablissements aufhalten und zudem in ihre Hauseingänge urinieren würden. „Clubbetreiber haben die Kosten, Kioske den Umsatz“, moniert Mit-Initiator Michel Ruge. „St. Pauli ist außerdem auch Lebensraum“, fügt er hinzu.

Auch Drag-Queen und Barbesitzerin Olivia Jones ist da

Die Demonstranten tragen Schilder mit Aufschriften wie „St. Pauli ist kein Kiosk“ und „Im Kiosk ist die Kultur am Ende“. Auch Drag-Queen und Barbesitzerin Olivia Jones hat sich dem bunten, friedlichen Protestzug angeschlossen, der sich am Hans-Albers-Platz formiert, einmal über die „sündige Meile“ zieht und schließlich mit einer Abschlusskundgebung am Spielbudenplatz endet. Bewusst haben die Veranstalter einen hochfrequentierten Wochenendabend ausgewählt, um ihrem Unmut Luft zu machen. Sie wollen möglichst viele Kiezgänger auf ihr Anliegen aufmerksam machen und sie daran erinnern, „dass Kultur Geld kostet“.

Jürgen Dendt war in den 90er-Jahren Türsteher auf dem Kiez und geht noch regelmäßig auf der Reeperbahn feiern. Er betrachte die Entwicklung des Stadtteils mit großer Sorge und wolle ein Zeichen setzen, sagt er. „So kann es nicht weitergehen“, kritisiert Dendt. Axel Strehlitz, Betreiber des Klubhauses, findet drastische Worte. „Die Kioske haben sich hier wie Kakerlaken vermehrt“, sagt er.

Jeden Monat eine Aktion gegen den Wandel des Stadtteils

Laut Julia Staron von Business Improvement District (BID) „Reeperbahn +“ soll es nun jeden Monat eine Aktion gegen den Wandel des Stadtteils geben. Unter dem Motto „Ganz St. Pauli ist ein Kiosk“ wollen sich am 23. März Club- und Barbetreiber zusammentun und Alkohol über die Fenster verkaufen, ihre Läden und Toiletten jedoch geschlossen halten, berichtet die Quartiersmanagerin. „Und wir schwören euch: wir sind billiger als die Kioske“, gibt sich Staron kämpferisch.

Doch nicht alle St. Paulianer schließen sich der Meinung der Veranstalter an – manche sehen diese sogar als mitverantwortlich für die Entwicklung. Der Fußball-Fanclub „GAS St. Pauli“ rief daher im Vorfeld dazu auf, sich nicht an der Demonstration zu beteiligen. „Die Organisator*innen der Demonstration haben die Leute, die sie nicht mehr vor ihrer Tür haben wollen, selbst ins Viertel geholt“, kritisieren die Mitglieder in einem Statement auf Facebook.