Hamburg. Die Hamburger Clubs kämpfen mehr ums Überleben denn je – in Zeiten von Mietwahnsinn, Behörden-Auflagen und Kiosk-Schwemme.
Die beste Ausgehstadt der Welt ist: Hamburg. Das ergab zumindest eine Umfrage des Reiseportals „Hostelworld“, das die Hansestadt im Dezember 2017 vor Berlin, New York, Paris oder London sah. Mag die Relevanz dieser Umfrage fragwürdig sein, so sind die über 100 Hamburger Live-Musikclubs und ungezählten Musikkneipen, Diskotheken und Tanzkaschemmen doch ein einzigartiges Pfund, mit dem die Stadt sich gern präsentiert. Jährlich 20.000 Musikveranstaltungen, so schätzt es das Hamburger Clubkombinat, locken Einwohner und Touristen vor die Tür. Die Frage ist: wie lange noch?
Es rumort in der Hamburger Clubkultur, in der Gastronomie- und Veranstalterszene. In Blogs und Magazinen, in den sozialen Netzwerken und an den Tresen zwischen Nobistor und Millerntor. Es geht – mal wieder – ein Gespenst um: das „Clubsterben“. Es ist ein Wort, das stets in den Archiven aufspürbar ist, wann immer ein Hamburger Club seine Pforten schließen musste. Star-Club und Onkel Pö, Front, Unit, Powerhouse, Heinz Karmers Tanzcafé – hier wurden Beatles, Hamburg ‘75, Techno, Hip-Hop und Hamburger Schule geboren, aber die Spuren sind kaum mehr auffindbar. Madhouse, Weltbühne, Click, Echochamber, Phonodrome – alle perdu.
Nostalgische Folklore statt Subkultur
Die Clubszene war schon immer eine Drehtür. Gab ein Club auf, zog der nächste ein. Pudel, Mojo, Kir, Knust, Molotow oder Freundlich + Kompetent packten Umzugskisten. Musiktrends kamen und gingen, so weit, so normal. Die Reeperbahn, einst verlumpte Ludensuhle, entwickelt sich aber mittlerweile zum Theater-Musical-Musik-Amüsierviertel mit nostalgischer Milieu-Folklore und Touristenführungen zu jedem erdenklichen Motto. Broadway trifft Ballermann. Bleibt also alles anders?
Kommentar: Friedhofsruhe auf dem Kiez?
Die Rahmenbedingungen, um einen Musikclub zu betreiben, sind in Hamburg noch schwieriger geworden. Verrückt und schlaflos musste man schon immer sein, um einen Club zu eröffnen. Aber es reicht nicht mehr, wie seinerzeit eine Anlage und zehn Kisten Pils in eine Ranzbude zu stellen und es Pudel Club oder Heinz Karmers zu nennen.
Der Umsatz an der Bar bezahlt das Programm des Clubs
Ein aktuelles Szenario: Wer heute nicht ausgebildeter Veranstaltungskaufmann, Betriebswirt und Gastronom in Personalunion ist, wer sich nicht professionell mit Brand- und Lärmschutz, Mindestlohn, Krankenkasse, Künstlersozialkasse, Parkplatzabgabe, GEMA, Schanklizenzen, Sanitär, Steuern und Buchhaltung, Miet-, Arbeits- und Gewerberecht auseinandersetzt, wird schnell scheitern. Aber wenn die Basis steht, der Papierkrieg beendet und alle Verträge abgeschlossen, Technik und Baumaßnahmen bezahlt und beendet sind, kann es losgehen.
Dann stehen zwei, drei Abende in der Woche zur Verfügung, um die Anfangsinvestitionen, die laufenden Kosten und die Miete wieder einzuspielen. Die Gäste, die bereit waren, ein paar Euro Eintritt für den jungen Singer/Songwriter zu zahlen, sitzen an der Bar und starren auf ihre 800-Euro-Handys. Getränke bestellen sie nicht, der Durst wurde im Discounter und am Kiosk gestillt. Der Junggesellenabschied, der am Türsteher scheitert („Keine Fremdgetränke!“), „cornert“ – sprich: säuft und pinkelt – an der Ecke bis zum Morgengrauen. Ein Einkauf bei der im benachbarten Hauseingang lungernden Dealerbande gibt der Privatparty notfalls noch Zunder. Das kürzlich aus dem Umland ins „lebendige Szeneviertel“ (Maklersprech) zugezogene Pärchen findet, dass das doch etwas lauter ist als bei der Wohnungsbesichtigung an einem Montag, und schreibt eine Beschwerde. Sie landet im Briefkasten des Clubbetreibers.
Macht ein Club dicht, startet der nächste – zu härteren Bedingungen
Nur ein fiktives Fallbeispiel, das viele wirkliche Probleme vereint. Musikbühnen und Clubs sollen uns eine gute Zeit bieten, Nachwuchs heranbilden, Touristen anlocken, das Image der Stadt polieren, den Steuersäckel füllen und Arbeitsplätze schaffen – und das am besten leise und zum Selbstkostenpreis. Das wird in den Zeiten des demografischen Wandels, des sich ändernden Konsumverhaltens, des Immobilienbooms immer schwieriger.
Macht ein Club dicht, zieht der nächste ein – mit erhöhten Mietpreisen. Wird ein Gebäude inklusive Club abgerissen, entsteht dafür ein Wohnhaus, eine Endoklinik, ein Hotel oder ein Bürokomplex. Und falls doch Platz für Gastronomie oder Kultur im Neubau ist, sind die Mieten noch exorbitanter. Stattdessen eröffnet vielleicht der nächste von jetzt über 50 Kiosken rund um St. Pauli. Die brauchen kein professionelles Personal, kein Programm, kein Konzept, keine Auflagen, kein Publikum, keine sanitären Anlagen, sondern nur sieben Tage in der Woche rund um die Uhr günstig abzuverkaufen. Bier und Schnaps, Tabak und Schokoriegel, nie war die „Nahversorgung“ auf St. Pauli so gut. „Trinkhalle“ nennt man das im Ruhrgebiet. Und so schnell, wie die „Ballerbuden“ aus dem Boden schießen, verschwinden zuerst die altmodischen Gardinenkneipen, dann die Clubs.
Lärmbeschwerden führen vermehrt zu Schließungen
Es wird leiser in der Stadt. Der Kleine Donner, ein Kellerclub am quirligen Schulterblatt, musste im November 2017 nach Lärmbeschwerden schließen. Jahrzehntealte Institutionen wie das Logo oder die Prinzenbar haben ebenso mit einer sinkenden Toleranzschwelle von Zugezogenen und Hotelgästen zu kämpfen wie neue Clubs. Das extrem angesagte Moloch im Oberhafenquartier kann die Kosten nicht stemmen, um die Lärmschutzverordnung zu erfüllen, und schließt an diesem Wochenende. Tausende wollen noch ein letztes Mal von Freitag bis Sonntag wach bleiben. Nicht mal das Stellwerk, zwischen den Gleisen im Harburger Bahnhof gelegen, bleibt von Beschwerden verschont.
Aber noch kreist die Drehtür. Cobra Bar, Hasenschaukel, Kraniche bei den Elbbrücken, Music Club Live, Villa Nova, Kurhotel, Klubsen, Golem und Home Of Burlesque strichen die Segel. Dafür öffneten Gaga, Chains, Nochtwache, Beat Boutique, Unterm Strich, Moin und – vor wenigen Tagen im ehemaligen Golem – das Fitzgerald. Was aber, wenn die Sternbrücke saniert wird – wo ziehen Waagenbau, Fundbureau und Astra Stube hin? Wo gibt es bezahlbare Räume und Freiräume, die günstig gelegen sind? Welcher Investor und welcher Stadtplaner denkt beim Anrühren des nächsten Betongolds auch an Kultureinrichtungen? Sind Ideen wie Gebiets- und Bestandsschutz von Kultureinrichtungen umsetzbar – und vereinbar mit immer mehr Menschen auf immer weniger Raum in der Großstadt?
Die Entwicklung ist schneller als die Politik
Die Stadt Hamburg engagiert sich mittlerweile mit dem Live Concert Account, der Clubstiftung und den Club Awards; Förderung, Vernetzung und Kommunikation untereinander ist deutlich verbessert als noch vor 20 Jahren. Aber die aktuelle Entwicklung ist schneller als die Politik. Dabei betreffen die Probleme, mit denen Clubs kämpfen, auch die Hamburger, die vielleicht vor 40 Jahren ‘ne Rentnerband im Onkel Pö gesehen haben, aber ansonsten nicht mehr um die Häuser ziehen. Mietpreisexplosion, bauliche Verdichtung, kulturelle Verödung und soziale Rücksichtslosigkeit gehen alle an, nicht nur in den Szenevierteln, nicht nur in Hamburg. Aber das merkt man erst in einer Zukunft, in der es keine Clubs und kein Reeperbahn Festival mehr gibt. Die Musik spielt dann vielleicht noch in der Elbphilharmonie. Vielleicht kommt man bis dahin ja besser an Karten.