Hamburg. Durch den Rückzug von Allianz und Commerzbank aus der Innenstadt entstehen gemischte Quartiere. Der Büroanteil sinkt.

Hamburrg wird sich in den nächsten Jahren gravierend verändern. „Das Wohnen in der City wird das Büro verdrängen“, sagt Richard Winter, Niederlassungsleiter des internationalen Gewerbemaklers Jones Lang LaSalle (JLL). Natürlich werde es weiterhin Büros in der Innenstadt geben. Aber zunehmend gibt es eine Vermischung von Wohn- und Bürofläche, wie sich an Projekten auf der „Spiegel“-Insel, dem Springerquartier, den Stadthöfen und dem Allianz-Areal zeige. Schon jetzt sinkt der Anteil verfügbarer Büroflächen in der City kontinuierlich seit 2011, und der Leerstand liegt mit vier Prozent unter dem Durchschnitt der gesamten Stadt.

„Die Nutzungsmischung sowie höhere Bebauungsdichten werden die Stadt prägen“, sagt Winter. In diesem Zusammenhang erwartet er auch eine Renaissance des Wohnhochhauses in der Stadt. Nachdem in der HafenCity bereits Objekte wie der Marco Polo Tower und das Arabica mit 14 Geschossen entstanden sind, werden in den nächsten Jahren weitere Hochhausprojekte realisiert. An der Adenauerallee entsteht ein 17-Geschosser, der 2018 fertiggestellt sein soll. Weitere zwei Hochhäuser sind bis 2020 am Strandkai in der HafenCity geplant.

Neues Leben für das Nikolai-Viertel

Auch Firmen gehen bei der Neubauplanung ihrer Firmenzentralen ganz neue Wege. So realisiert der Makler Engel & Völkers in Zusammenarbeit mit dem Projektentwickler Quantum nicht nur ein neues Firmenquartier in unmittelbarer Nähe zum Unilever-Haus und dem Kreuzfahrtterminal, sondern auch ein weiteres Hochhaus: das Strandhaus mit 15 Geschossen. Dort entstehen 66 exklusive Eigentumswohnungen mit Blick auf Elbe, Hafen oder Stadt. Bis zu 17.500 Euro pro Quadratmeter müssen Käufer dafür investieren.

Richard Winter leitet  die Niederlassung von JLL in Hamburg Foto: JLL
Richard Winter leitet die Niederlassung von JLL in Hamburg Foto: JLL © Karl-Jens Hannewald Jens Hannewald - Photographie | Karl-Jens Hannewald Jens Hannewald - Photographie

Während Hochhäuser in den 1960er-Jahren eher preiswerten Wohnraum schaffen sollten, ist die Renaissance jetzt den einkommensstarken Gruppen vorbehalten. „Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum lässt sich damit kaum erfüllen“, sagt Winter. Denn die Baukosten liegen durch Brandschutz, Aufzugstechnik und einer anspruchsvollen Ausstattung deutlich über dem normalen Wohnungsbau.

„Diese Konzepte werden nicht überall funktionieren“

Ohnehin trifft das Wohnhochhaus nur auf eine geteilte Zustimmung. Nach einer Umfrage bewerten 57 Prozent den Bau neuer Wohnhochhäuser positiv, während dem 43 Prozent negativ gegenüberstehen. Winter sieht die Möglichkeiten für Hochhäuser als begrenzt an. Traditionelle für die Stadt charakteristische Blickbeziehungen können gestört werden. Außerdem kann es Probleme mit Verschattungen geben. „Diese Konzepte werden nicht überall funktionieren“, sagt Winter.

Die Urbanisierung der Stadt, also die Mischung aus Wohnen, Handel, Büro und Hotellerie, ist auch eine Folge von Hamburgs Attraktivität und wirtschaftlicher Leistungskraft. Ob Bevölkerung, Studierende, Erwerbstätige oder Übernachtungen in Hotels: Hamburg verzeichnet in allen Bereichen deutliche Steigerungsraten. Um mehr als 70.000 Menschen ist Hamburg in den vergangenen fünf Jahren auf 1,78 Millionen Einwohner gewachsen. Binnen 20 Jahren könnte die Hansestadt die Zahl von 1,9 Millionen Einwohner erreichen. Seit 1990 hat sich die Zahl der Hotelbetten auf 59.000 verdreifacht. Als Folge gibt es eine starke Konkurrenz der knappen Flächen: Wohnen oder Büros, Gewerbe oder Industrie, Grünland oder Bauland? Um hier zu einer stärkeren Durchmischung zu kommen, sind nach Winters Einschätzung Änderungen in der Baunutzungsverordnung erforderlich, um Klagen zu vermeiden. „Die Regelungen zu den bisherigen Mischgebieten reichen nicht aus, um wirklich urbane Quartiere zu entwickeln“, sagt Winter. Bisher gibt es erst einen Referentenentwurf. Hamburg hat bereits begonnen, neue Stadtquartiere auf ehemaligen Hafen-, Bahn-, Industrie- oder Kasernenflächen zu entwickeln. Beispiele dafür sind die Neue Mitte Altona oder die Röttger Kaserne in Fischbek.

Bauliche Herausforderungen für Tunnel sind groß

Künftige Infrastrukturprojekte der Stadt sollten nach Einschätzung von JLL nicht zu kleinteilig angegangen werden. Winter meint damit den Vorschlag der Handelskammer zur Untertunnelung der Willy-Brandt-Straße. Konkret soll die Straße zwischen Deichtorplatz und Rödingsmarkt in einen Tunnel verlegt werden. Vier der heute sechs Fahrspuren sollen unterirdisch verlaufen, zwei Fahrspuren als oberirdische Erschließungsstraßen auf der Tunneldecke angelegt werden. Einkaufs-, Freizeit- und Kulturangebote in HafenCity und Innenstadt könnten so besser miteinander verknüpft werden. Nach Winters Vorstellung sollte der Tunnel mindestens über Planten un Blomen bis nach Altona-Nord reichen. „Städte mit großen Tunnelprojekten wie München oder Berlin haben dadurch nur gewonnen, auch wenn die baulichen Herausforderungen groß sind“, so Winter. Die Innenstadt werde durch die Urbanisierung gewinnen, „denn den Wohnprojekten folgen Einzelhandel und Gastronomie.“

Strukturprobleme der Finanzbranche lösten den Wandel aus. So haben Allianz und Commerzbank große Büroflächen in der Innenstadt geräumt. Zwar werden am ehemaligen Allianzstandort am Großen Burstah auch wieder Büros entstehen, aber in Kombination mit Wohnen und Einzelhandel (Abendblatt berichtete). „Künftig begnügen sich die Büromieter mit kleineren Flächen“, sagt Winter. Denn auch die Mieten steigen. Im Schnitt müssen fast 20 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden. Tendenz weiter steigend, erwartet Winter.