Hamburg. Fazit drei Jahre nach Bau- und Gartenausstellung: Die Elbinsel ist attraktiver geworden. Aber nicht alle Vorhaben wurden umgesetzt.
Pop-up-Läden, diese temporären Szenegeschäfte, die ebenso schnell verschwinden, wie sie aufgetaucht waren, würde man eher in Ottensen vermuten. Dass es sie mittlerweile auch in Wilhelmsburg gibt, zeigt, wie „hip“ die Elbinsel mittlerweile ist. Ein weiteres Beispiel dafür ist der Veringkanal, an dessen Ufern Kultur-Hotspots die alten Industriebetriebe verdrängt haben.
Die Internationale Bauausstellung IBA Hamburg konnte an den Rahmenbedingungen, unter denen Wilhelmsburg seit Jahrzehnten leidet, wenig ändern. Hafen- und Ölindustrie, Schwerlastverkehr, eine Bahnschneise mitten im Stadtteil und eine einkommensschwache Bevölkerung mit hohem Migrationsanteil prägen die Elbinsel noch immer. Doch die IBA und auch die Gartenschau igs haben dem einst verrufenen Stadtteil ein neues Image gegeben und ihn attraktiver gemacht: für bildungsbewusste Paare und junge Familien, Kreative und Studenten – und natürlich für die Alt-Wilhelmsburger, die davon profitieren.
Neue Lokale an Fähr- und Veringstraße
1208 neue, teils experimentelle Wohnungen wurden gebaut, 516 Bestandswohnungen modernisiert und rund 100.000 Quadratmeter Fläche für lokales Gewerbe geschaffen. Entstanden sind auch acht Bildungs- und vier Sporteinrichtungen, drei neue Kitas, zwei Seniorenheime, ein Studentenwohnheim und zusätzlich zum Inselpark 74 Hektar Grün- und Freiflächen.
An Fähr- und Veringstraße etwa haben sich nach dem Ladensterben 2014 neue Lokale angesiedelt. Im ehemaligen Café Mittenmang am Stübenplatz haben die afghanischen Brüder Haschmat, Massieh und Esmat Abdul, die seit zwölf Jahren auf der Elbinsel leben, das Restaurant Flutlicht eröffnet. Das Speisen- und Getränkeangebot orientiert sich an einer Umfrage, die sie zuvor im Stadtteil durchgeführt haben. Ein Stück weiter, in der früheren Boutique Wilhelmine, verkaufen Susan und Schokria Abdul im kürzlich eröffneten Bistro „Schwester Kumpir“ mit großem Erfolg Waffeln und Ofenkartoffeln.
Mehr Bürgerbeteiligung
„Wir haben mit einem Pop-up-Festival dazu beigetragen, dass eine nachhaltige Entwicklung der lokalen Wirtschaft in Gang kommt“, sagt Marco Antonio Reyes Loredo, Kopf der Kreativgesellschaft Hirn und Wanst und Mitbetreiber der kürzlich eröffneten „Kaffeeklappe“ an der Veringstraße. Dass das Festival ebenso erfolgreich war wie seinerzeit der Protest gegen die Verlagerung des Opernfundus an den Veringkanal oder das Wirken des Beteiligungs-Forums Perspektiven Elbinseln rechnet Loredo der IBA und der Internationalen Gartenschau igs an. „Mit den Ausstellungen ist das Bewusstsein für die Bedeutung von Bürgerbeteiligung in Senat und Verwaltung angekommen.“ Der Inselpark etwa, der auf dem igs-Gelände entstanden ist, wurde in enger Kooperation mit Wilhelmsburger Initiativen geplant. Neben der weitläufigen Grünanlage gibt es dort mit den Kletter-, Schwimm- und Basketballhallen sowie einer großen Open-Air-Skatebahn attraktive Sportangebote, die überregional bekannt sind.
„Die IBA hat in der Bürgerbeteiligung als Katalysator gewirkt“, sagt auch Bettina Kiehn, die das Bürgerhaus Wilhelmsburg leitet. Dass die Bewohner der Elbinsel Einfluss nehmen, hat sich jüngst bei den Planungen eines Neubauquartiers an der Dratelnstraße gezeigt. Es wird von der Nachfolgegesellschaft IBA Hamburg GmbH entwickelt, die für die Stadt große Wohn- und Gewerbegebiete entwickelt. Die Projekte profitierten von den Erfahrungen, die mit Bürgerbeteiligung gemacht wurden, so Kiehn. „Alle Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens wurden in die Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs übernommen.“ Die Bürger forderten etwa, dass die 1200 Wohnungen des neuen Quartiers für verschiedene Kulturen, Generationen und Lebensformen geeignet und vor allem bezahlbar seien müssen.
Weniger Schulabbrecher in Wilhemsburg
Für Uli Hellweg, den früheren Geschäftsführer der IBA Hamburg, gehört zu den Erfolgen der Internationalen Bauausstellung vor allem die gelungene Bildungsoffensive. „Wir haben wichtige Veränderungen angeschoben. So ist die Quote der Schulabbrecher in Wilhelmsburg seit der IBA von 28 auf acht Prozent gesunken, gleichzeitig hat sich die Zahl der dual Auszubildenden verdreifacht“, sagt er. Das Bildungszentrum Tor zur Welt, das zwei Grundschulen, ein Gymnasium, Eltern- und Volkshochschule, Sporteinrichtungen, ein Café und ein Theater beherberge, sei nicht nur ein Vorzeigeprojekt. „Es ist eine Art Community-Center, das die Gemeinschaft zusammenhält und auch von den neu hinzugezogenen Familien gut angenommen wird“, so Hellweg.
Ebru Monelletta etwa, die mit ihrem Mann Luca 2013 in eines der innovativen Häuser der Neuen Mitte Wilhelmsburg gezogen ist, war mit ihren Kindern oft in der Elternschule des Bildungszentrums. Dort hat sie Kontakte zu anderen Müttern geknüpft, an Eltern-Kind-Kursen und Ausflügen teilgenommen. Denn in dem Quartier am Inselpark gab es anfangs kaum Familien und keinen Spielplatz, wo man sich hätte treffen können. Mittlerweile sind neue Familien zugezogen und Geschwisterkinder auf die Welt gekommen. „Wir sind eine große Inselpark-Gemeinschaft geworden und fühlen uns im Stadtteil sehr wohl“, sagt Ebru Monelletta.
Klimakonzept noch nicht durchgesetzt
Doch die IBA hat nicht nur Erfolgsgeschichten geschrieben. So konnte das Klimakonzept „Erneuerbares Wilhelmsburg“ bis heute nicht vollständig umgesetzt werden. Das wurmt den früheren Geschäftsführer. „Es handelt sich dabei ausgerechnet um ein Projekt aus dem Programm ,Stadt im Klimawandel’, mit dem wir international Furore gemacht haben“, sagt Uli Hellweg. Auch der von den Wilhelmsburgern erwartete IBA-Deal mit den geruchsintensiven Nordischen Ölwerken ist gescheitert. Diese speisen zwar ihre Abwärme in das von der IBA initiierte Wilhelmsburger Energienetzwerk ein, haben aber für die Vergütung bislang keine bessere Filteranlage gekauft.
„Die Philosophie der IBA wurde in vielen Bereichen unterlaufen“, kritisiert Stadtforscher Dieter Läpple. Das gelte auch für das Verkehrskonzept, mit dem sich die IBA nicht habe gegen die Hafenwirtschaft durchsetzen können. „Für den Verkehrsbereich gab es eindeutig formulierte Ziele“, sagt Läpple. „Insbesondere die Wilhelmsburger Mitte sollte von stadtteilfremdem, vor allem von hafenbezogenem Schwerlastverkehr, entlastet werden.“ Ausgerechnet in dem Vorzeigequartier ist das nicht gelungen. Der Lärm der vorbeiführenden Neuenfelder Straße wird vom Neubau der Stadtentwicklungsbehörde reflektiert. Hier könnten nur Flüsterasphalt und Tempo 30 helfen. „Gerade weil Wilhelmsburg als attraktives urbanes Zentrum ausgebaut werden soll, ist es wichtig, das Erbe der IBA gut weiterzuentwickeln“, so Läpple.