Hamburg. Städtische Stiftung soll die besetzte Kita im Münzviertel übernehmen und Ersatzquartier mieten. Künstler Günter Westphal vermittelt.
Das Atelier von Günter Westphal liegt nur rund 300 Meter von der Konfliktzone entfernt. Der 71-Jährige arbeitet unter Deckenkuppeln in dem Ausstellungsraum am Münzplatz, es herrscht kreative Unordnung, auf einer Matratze liegen Entwürfe für eine Pressekonferenz. „Es ist schon erstaunlich, was die Sache für Kreise zieht. Ich hatte schlaflose Nächte in letzter Zeit, als die Polizei ständig da war. Sorge vor einer Eskalation“, sagt Günter Westphal.
Der bildende Künstler ist Drahtzieher einer Hausbesetzung. Als Vorsitzender des Vereins Kunstlabor naher Gegenden (KuNaGe) unterschrieb Westphal den Mietvertrag für 70 Quadratmeter in der Kita auf dem Gelände der ehemaligen Schwerhörigenschule im Münzviertel, die heute bundesweit als Kollektives Zentrum (KoZe) bekannt ist. Westphal fand das Projekt der Besetzer „aufregend“, deshalb lässt er sie gewähren. Es sei ihm um eine Belebung des Quartiers gegangen. Die Stadt habe sich lange wenig um die Gegend am Hauptbahnhof geschert.
Die Lawaetz-Stiftung könnte wie im Schanzenviertel als Träger fungieren
Die Situation ist nach zwei Polizeieinsätzen und wegen des geplanten Baus von 400 Wohnungen auf dem Areal weiter angespannt. Noch vor dem Baubeginn im Frühjahr 2017 soll für die Autonomen laut der für das Grundstück zuständigen Finanzbehörde „Schluss sein“. Doch nach Abendblatt-Informationen wird eine friedliche Lösung wieder wahrscheinlicher. Westphal führt Gespräche mit der Stadt über einen Umzug der Autonomen – in das denkmalgeschützte Schulgebäude gegenüber, das nicht durch einen Neubau ersetzt wird.
Auch Politiker der regierenden SPD können sich eine legale Zukunft für das KoZe auf dem Areal vorstellen: „Ein Teil des historischen Gebäudes auf dem Areal soll als soziokulturelles Zentrum genutzt werden können. Dann wäre es aber sinnvoll, dass zum Beispiel die Lawaetz-Stiftung die Fläche anmietet und die Arbeit der verschiedenen Gruppierungen vor Ort koordiniert“, sagte SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf .
Vorbild wäre die Rote Flora im Schanzenviertel: Dort kaufte die stadteigene Lawaetz-Stiftung die Immobilie auf Geheiß des SPD-Senats und stellte sie den Besetzern zur Verfügung. Der Streit um die Rote Flora konnte damit nach 25 Jahren deutlich entschärft werden. Mit den Autonomen im Münzviertel wurden bislang jedoch keine direkten Gespräche geführt. „Man will partout nicht mehr mit uns reden, wir erwarten auch nichts mehr“, sagte ein KoZe-Sprecher. Grundsätzlich werde man Umzugsangebote prüfen, „wenn alle Rahmenbedingungen stimmen“.
SPD-Politiker Kienscherf sieht noch zwei Hindernisse: Erstens seien Finanzierungsfragen ungeklärt, zweitens stünden noch viele Gespräche mit dem privaten Grundeigentümer an, der das Areal erst vor Kurzem von der Stadt gekauft hatte und das Schulgebäude an die Stiftung vermieten müsste.
Der Projektentwickler HBK hat nach Abendblatt-Informationen eine Absichtserklärung („Letter of Intent“) mit einem Angebot an Westphal geschickt. In diesem wird der KuNaGe angeboten, eine Teilfläche von rund 800 Quadratmetern „zum Selbstausbau eines soziokulturellen Zentrums“ für 2,5 Millionen Euro zu erwerben. Das amüsiert Günter Westphal: „Unser Verein hat 300 Euro auf dem Konto, deshalb können wir diese Offerte leider nicht annehmen.“
Im Winter sollen 400 Obdachlose auf das Gelände ziehen
Drei- bis viermal pro Woche sieht Westphal im KoZe nach dem Rechten, „ich bin da der aufmerksame Opa.“ Der Vereinsvorsitzende versucht während der Gespräche, die Autonomen von Dummheiten abzuhalten. „Es darf weder aus unseren Reihen Provokationen gegenüber der Stadt geben noch umgekehrt“, sagt Westphal. Wie berichtet, haben viele radikalere Gruppen das Zentrum zuletzt verlassen. „Die Resonanz und Aggressivität der Szene ist nicht vergleichbar mit der im Sommer“, sagte Marco Haase, Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz, dem Abendblatt. Dennoch beobachten die Behörden die Aktivität der Besetzer weiterhin: „Das KoZe bleibt für Linksextremisten ein Thema“, sagte Haase.
Von Ende November an müssen sich die Kitabesetzer mit etwa 400 Obdachlosen arrangieren. Entsprechende Container ließ die Sozialbehörde auf dem Hof des Areals aufstellen. „Wir werden uns damit auseinandersetzen – aber nicht um der Stadt zu helfen, sondern den Betroffenen“, sagte der KoZe-Sprecher. Die Autonomen wollen den Verkauf von Alkohol einschränken und ein Frauencafé anbieten. Am Donnerstag wollen weitere Initiativen im Münzviertel zum Notprogramm Stellung nehmen. Es stehe eine Belastung an, sagte Westphal. „Die Stadt bringt die Leute nachts unter, setzt sie dann aber tagsüber auf die Straße und kümmert sich nicht mehr.“
Nach dem Ende des Winters sollen Flüchtlinge in die Container ziehen. Die Autonomen des KoZe wollen sich bis dahin neu ausrichten, Renovierungen durchführen, „ein neues Gesicht zeigen“, wie es heißt. Nach Abendblatt-Informationen will das KoZe den Status der Gemeinnützigkeit beantragen.
Ein Sprecher macht deutlich, dass sich an der Grundhaltung aber wenig ändere: „Wir bleiben ein politisches Zentrum, das ist absolut sicher.“