Hamburg. Autonomes Zentrum will sich mit Umbau radikal öffnen. Die Szene ist allerdings skeptisch, ob der Wandel von Dauer ist.
Die Fenster erinnern an Schießscharten, nur dürres Licht fällt herein. Amelie Behrens*, 52, wischt mit einer Hand durch die staubige Luft und zeigt auf Zeichnungen an den Wänden. „Viel mehr Platz, neue Ideen, weniger Geheimmief“, sagt die Autonome. „Wenn alles fertig ist, werden einige Münder offenstehen.“ Auf Pappkarten ist der ganze Plan haarklein beschrieben: der Aufbruch der besetzten Roten Flora in eine neue Ära.
Bis Ende August soll sich die linksautonome Trutzburg am Schulterblatt zum Stadtteil öffnen wie nie zuvor. Vor der Stahltür ohne Klinke röhrt ein Sandstrahler, im Inneren blitzen schon die neuen Armaturen der “Volksküche“ hinter Kupferlampen, auf den Toiletten haben Autonome ein Einhorn und Regenbögen aus Mosaik gelegt. Mehr als 300.000 Euro allein an Material stecken die Rotfloristen in die Renovierung von Fassade und Innenleben, die auch eine kleine Revolution ist.
Die Flora habe sich verändert, nicht immer zum Guten, sagt Behrens. Sie gehörte vor 25 Jahren zu den Erstbesetzern, für den Umbau ist sie nach Jahren zurückgekehrt. Ihre einst lockige Mähne trägt sie mittlerweile kurz geschnitten. Wenn sich das Stadtteilzentrum jetzt öffne, jeder bald seinen Kaffee bei Autonomen trinken könne, gehe es auch um das „große Ganze“, die Zukunft eines alten Traums. Für die Stadt geht es um die Frage, ob sich die Flora, üblicherweise Kulisse von ritualisierten Krawallnächten, tatsächlich in einen Ort verwandeln kann, wo man Klönschnack betreibt und demnächst sogar das „Phantom der Oper“ aufgeführt wird.
Die Anwohner kommen im Anzug zur Besichtigung, Radikale sind skeptisch
Im „Subraum“ im ersten Stock der Roten Flora, steht die Aktivistin Anna Müller* und klebt gelbes Klebeband auf Ausstellungstafeln. Immer mittwochsabends dürfen jetzt Anwohner aus dem Viertel zum Rundgang durch die Geschichte des einstigen Varieté-Theaters kommen, oft tragen sie Anzüge, passend zu ihren Bürojobs. Sie stellen viele Fragen. „Da ist eine große Neugier, eine Welt kennenzulernen, die vorher kaum greifbar war“, sagt Müller, eine blonde Frau mit wachen Augen.
Auf persönlicher Ebene klappe der Austausch „schon ganz gut“, sagt Henning Brauer vom Stadtteilbeirat Sternschanze. Die Autonomen haben den sanften Druck des Viertels zu spüren bekommen und erfahren, dass sie zwar untrennbar zur „Schanze“ gehören, aber sich nicht jeden Unsinn erlauben können. Wenn Vermummte am Abend des Schanzenfestes Unrat am Schulterblatt in Brand steckten, stiefelten betagte Damen zum Tatort und schlugen die Flammen eigenhändig aus. „Ein ehrlicher Nachbar kann besser sein als große Politik“, sagt Henning Brauer. „Beide Seiten haben sich gerieben und angenähert“.
Inzwischen berichten Geschäftsleute von Autonomen, die beseelt sind vom Aufbruch, in ihren Geschäften nach Vinyl-Platten stöbern und am Tresen über die Baufortschritte berichten. Doch sie erleben noch immer auch Gestalten, die in das besetzte Kulturzentrum wortlos ein- und ausgehen wie in ein Raumschiff, das zufällig in einer feindlichen Umgebung gelandet ist.
In Internetforen, in denen Linksradikale sonst leidenschaftlich diskutieren, werden die neuen Töne aus der Flora beschwiegen. „Man wartet erstmal ab, was sich da entwickelt“, sagt ein Mitglied einer radikalmarxistischen Gruppe dem Abendblatt. Die Rote Flora habe zuletzt nur für die Medien eine große Rolle gespielt, besitze in der Szene eher nostalgischen Wert. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die abknicken und handzahm werden. Eher, dass das dicke Ende noch kommt.“
Im Inneren der Flora stehen Pinnwände und Flipcharts in den langförmigen Räumen in den Obergeschossen, in denen künftig Widerstand gemacht werden soll – das Plenum, das Exekutivkomitee der Rotfloristen, dazu insgesamt drei Besprechungsräume. „Auch hier gibt es in Zukunft deutlich mehr Offenheit statt Abschottung“, sagt Behrens, ein enger Dialog von mehr als 100 Aktivisten statt Endlosdiskussionen in Splittergruppen.
Wenn man ehrlich sei, sagen Besetzer, hätten in jüngerer Vergangenheit kaum noch fähige Aktivisten in der Flora mitgemischt. „Es konnte so nicht weitergehen“, sagt ein Besetzer. Wer Amelie Behrens fragt, warum sie sich jahrelang lieber in anderen linken Bündnissen engagierte, erntet ein knappes „wegen meiner Kinder“. Dann bricht doch aus ihr heraus: Die Flora habe bei Jugendlichen häufig nur „für Party am Wochenende und einmal im Jahr Druck ablassen“ gestanden.
Für die Zeit nach dem Umbau wünscht sich die Mehrheit des Plenums mehr pragmatische Aktivisten, beispielsweise aus der „Recht auf Stadt“-Bewegung und der Fanszene des FC St. Pauli. „Viele Gruppen haben in der jüngeren Vergangenheit gute Erfolge erzielt, und die Rote Flora war immer ein vielfältiger Ort“, sagt Anna Müller. Hinter ihr stehen im „Subraum“ auf einer Tafel mehr als zwei Dutzend Namensvorschläge für die neue „Volksküche“, neben „Ratte Machiato“ leuchten begeistert geschwungene Häkchen. Mit lockeren Gesprächen über Familie und Hobbys, so hoffen die Besetzer, ließen sich auch Spitzel der Staatsbehörden künftig früher erkennen. Der Verfassungsschutz behält den Sinneswandel der Rotfloristen eng im Blick. Auf Abendblatt-Nachfrage bleibt die Behörde bei der Einschätzung, dass das Zentrum weiterhin „der Anlaufpunkt für gewaltbereite Linksextremisten in Hamburg“ sei.
Ob der Weg richtig ist, darüber wird in der Flora kontrovers diskutiert
Ob der eingeschlagene Weg richtig sei, werde in der Flora auch intern „weiter sehr kontrovers diskutiert“, sagt Amelie Behrens. Dass das ehemalige Theater sich nun im Stadtbesitz befindet, halte den moderaten Kräften im Moment aber den Rücken frei.
Am 15. August, vor Abschluss des großen Umbaus, wird Christoph Faulhaber seinen Moment haben. Der Regisseur hat die Rote Flora mit einer überdimensionierten Plane verhüllt. Wenn der Vorhang fällt, soll seine Inszenierung des „Phantom der Oper“ den Beginn der neuen Zeit besiegeln.
Faulhaber trägt einen Dreitagebart, dazu eine Nickelbrille, und tänzelt stets etwas gedankenverloren durch die Rote Flora. Seine Inszenierung werde sicherlich Teile des Musical-Klassikers beinhalten, sagt er. „Wir haben Darsteller, aber noch keinen richtigen Plan“. Bei den Wandergesellen steigt die Spannung, die Szene will wissen, ob die Flora damit zum Anfang zurückkehrt, als das Zentrum besetzt wurde, um das „Phantom“-Musical zu verhindern.
„Die Ankündigung ist kein Werbegag“, sagt Anna Müller, „das wird ein schöner Höhepunkt des Umbaus“. Sie macht Pause und schiebt den Nachsatz verschwörerisch hinterher. „Bei der Aufführung wird sicher alles gespielt – aber nicht das Phantom, wie Sie es kennen.“