St. Pauli. Binnen weniger Tage entsteht eine Erstunterkunft für 1200 Flüchtlinge. Die Stadt gewinnt Zeit für die Suche nach weiteren Flächen.
Um kurz vor 21 Uhr war es so weit: Der erste Bus mit fast 50 Flüchtlingen aus der Harburger Poststraße passierte die Einfahrt der Hamburg Messe am Holstenglacis. Bis zum letzten Moment hatten Helfer in der Halle B 6 Trennwände und Feldbetten aufgestellt. Insgesamt sollen dort 1200 Menschen untergebracht werden.
Es musste alles sehr schnell gehen. Ein kurzes Gespräch, dann stand die Entscheidung. „Ein Handschlag-Agreement war das“, sagt Karsten Broockmann, Sprecher der Hamburg Messe, „wir sind schließlich ein städtisches Unternehmen, und in dieser Ausnahmesituation haben wir gemeinsam mit den Vertretern der Innenbehörde entschieden, unsere Halle B 6 übergangsweise als Erstaufname-Unterkunft zur Verfügung zu stellen.“
Aufbau der Flüchtlingsunterkunft in der Messehalle
Die Halle B 6 ist mit 13.000 Quadratmetern die größte der Messehallen. Erst am 31. Oktober 2015 wird hier wieder eine Messe stattfinden – die „Hanse-Boot“ – „und bis dahin muss selbstverständlich eine andere Lösung gefunden werden“, sagt Broockmann. Derzeit sieht der Notfallplan eine Unterbringung der Flüchtlinge bis Ende September vor, bereits Anfang kommender Woche sollen 1200 Asylbewerber in der Halle B 6 wohnen.
Leitartikel: Flüchtlingspolitik: Puffer helfen nicht
Entlang der Auffahrt zum Halleneingang, genau gegenüber vom Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, haben die Mitarbeiter der Hamburg-Messe in Windeseile einen kerzengeraden Drahtzaun gezogen und mit grünen, blickdichten Nylonnetzen bespannt. Dahinter stehen die ersten 17 Dixi-Klos in Reihe und ein erster Duschcontainer. Das kann nur ein Anfang sein, aber Sanitärcontainer sind derzeit sehr schwer zu ordern.
Gegen 19 Uhr trafen am Donnerstagabend die ersten 1000 Feldbetten ein, die von der Johanniter-Unfallhilfe aus Hannover zur Verfügung gestellt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Mitarbeiter der Hamburg Messe dafür gesorgt, dass alle Hallentüren neue Schlösser bekamen, die von innen nur noch mit ein und demselben Schlüssel zu öffnen sind. „Die Hamburg Messe stellt in dieser Notsituation der Stadt die Messehalle B 6 kostenlos zur Verfügung“, betont Karsten Broockmann, „die tatsächlich anfallenden Verbrauchskosten, etwa für Wasser und Strom, werden von der Stadt bezahlt.“
Das städtische Unternehmen organisiert nach Informationen der Innenbehörde auch einen 24-Stunden-Wachdienst sowie die Versorgung der Flüchtlinge mit Speisen und Getränken durch ein Cateringunternehmen.
Die Unterbringungssituation wird immer dramatischer, das Wort vom „Ausnahmezustand“ wird mittlerweile von professionellen und ehrenamtlichen Helfern offen ausgesprochen. Auch die ersten Bewohner der Halle B 6 hatten die Nacht zum Donnerstag noch in Schulturnhallen und auf den Fluren der Registrierungsstelle an der Harburger Poststraße verbracht. Bereits in den vergangenen Wochen hatten viele Neuankömmlinge in den Verwaltungsräumen der Poststelle übernachten müssen, weil nirgendwo ein Schlafplatz für sie zu finden war.
Hamburg muss wegen bundesgesetzlicher Regeln rund 2,5 Prozent aller in Deutschland Schutz suchenden Menschen aufnehmen. Diese Verpflichtung erfüllt die Verwaltung der Stadt. Im ersten Halbjahr 2015 wurden 5725 Flüchtlinge öffentlich untergebracht. Damit wurden bereits nach nur sechs Monaten die Zahlen des gesamten Vorjahres 2014 erreicht. Zurzeit kommen rund 200 bis 300 Flüchtlinge täglich nach Hamburg.
So sollen in wenigen Tagen auch in der Halle B 6 mehrere Hundert Menschen auf engstem Raum leben. Viereckige, mannshohe Umrandungen aus Drahtzaun, gatterähnlich, die ebenfalls blickdicht verkleidet werden, sind als Trennwände vorhergesehen, um ein kleines bisschen private Atomsphäre in der luftigen Messehalle zu schaffen.
1200 Flüchtlinge ziehen in die Messehallen
Die städtische Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ wird den Betrieb leiten, nachdem der eilige Aufbau abgeschlossen ist. Erst zwei Stunden vor dem Aufbau der Feldbetten erfuhr das Unternehmen, wo und in welchem Umfang die Sanitäranlagen aufgebaut werden würden. „Fördern & Wohnen“ entsendet zunächst 20 Fachleute zu der neuen Erstaufnahme, Sozialpädagogen und Logistiker. Zusätzlich sind studentische Hilfskräfte im Einsatz, die den Flüchtlingen ihren Schlafplatz zeigen, und viele Ehrenamtliche, die zum Teil bereits seit Wochen im Dauereinsatz für Flüchtlinge sind.
Die Innenbehörde will sich mit der Maßnahme Luft bis zum Ende des Sommers verschaffen. „Wir wollen vorausschauend agieren. Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu, dann können wir viele Schulturnhallen nicht mehr nutzen“, sagt Behördensprecher Frank Reschreiter. Derzeit seien bereits rund 2000 Menschen in Zelten untergebracht, die ebenfalls bis zum Herbst durch reguläre Erstaufnahmen abgelöst werden sollen.
Um alle Flüchtlinge bis zum Herbst in Containern unterzubringen, müsse die Stadt deshalb „sehr bald“ mit dem Aufbau von großen, mittelfristig nutzbaren Erstaufnahmen mit 2000 bis 3000 Plätzen beginnen. „Wir stehen vor einer Herausforderung“, sagt Reschreiter. Die Bezirke und die für Hafenflächen zuständige Wirtschaftsbehörde haben noch keinen geeigneten Standort für eine Unterkunft dieser Größe vorgeschlagen. „Die Hilfsbereitschaft von Hamburg Messe und Bundeswehr ist vorbildlich“, sagte Reschreiter. Der Senat hofft, dass nun weitere mögliche Flächen gemeldet werden.