Inhaber der RED-Gallery sammelt und handelt weltweit die ältesten Kunstwerke, die die Erde hergibt. Porträt eines beseelten Ästheten.
Vier Mann, vier Ecken? Nein, das reicht nicht. Denn dieses Kunstwerk, eine gut drei Quadratmeter große Steinplatte mit eingelassenen Fossilien, etwa 60 Millionen Jahre alt, umschlossen von einer mehr oder weniger stabilen Transportkiste aus Holz, wiegt stramme 675 Kilogramm. Aber die Toreinfahrt muss jetzt freigeräumt werden wegen einer weiteren Lieferung, die für den Nachmittag erwartet wird. Und überhaupt: Im überdachten Hof stapeln sich viele Kisten in allen Größen. So muss jetzt der Gabelstapler ran.
Andreas Guhr, 65, halblange Haare, schlank, wettergegerbte Haut, schwingt sich lässig auf den Sitz. Der Motor des Staplers röhrt. Dann ruckeln die mächtigen Gabelzinken den gewaltigen Trum behutsam und figelinsch binnen weniger Sekunden auf einer Euro-Palette zurecht, dirigiert von den sensiblen Fingern des Künstlers, Galeristen, Mineralogen, Entdeckers und wohl auch Bewahrers. Ziemlich viel also für einen einzelnen Mann.
Große Räume, hohe Decken: Ein Besuch in Guhrs RED-Gallery am Rödingsmarkt ist eine Zeitreise zum Gucken, Anfassen, Staunen. Er kennt natürlich jedes seiner Ausstellungsstücke persönlich, kann erzählen, wo, wann und wie diese „Naturkunst“ gefunden, ausgebuddelt und anschließend professionell und sensibel bearbeitet wurde: hier Fossilien aus dem „Eozän“ (ca. 50 Millionen Jahre alt), da versteinertes Holz aus dem „Trias“ (ca. 220 Millionen Jahre), dort eine bunt gemaserte Steinplatte, in der sich Stromalithen abgelagert haben – die ältesten Spuren irdischen Lebens, etwa zweieinhalb Milliarden Jahre alt.
RED steht für „Rare Earth Decor“ – Fossilien und Mineralien in Museumsqualität, die Guhr aus aller Welt herbeischafft und natürlich auch in alle Welt verkauft. „Anfangs fragten mich einige amerikanische Kunden, ob ‚RED‘ irgendwas mit Kommunismus zu tun habe“, scherzt er, mitten zwischen meterhohen Amethystdrusen, tonnenschweren Schiefer- und Sandsteinplatten mit versteinerten Fischen und Palmwedeln, Mammutzähnen, Sandsteingogotten, Ammoniten und Platten aus versteinertem Holz stehend, die als Skulptur, Wandschmuck oder Tischplatte verwendet werden können. Davor allerdings steht jedoch häufig die Frage aller Fragen im Raum: Ist das eigentlich Kunst?
„Es ist Naturkunst“, sagt Guhr schlicht. Sie findet durch ihre natürliche Schönheit, ihre Ästhetik und Vollkommenheit immer mehr Interesse als hochwertige interiore Objekte. Private Liebhaber, Architekten und Designer zählen zu seinem internationalen Kundenkreis. Er gilt weltweit als der einzige Galerist, der sich auf diese hochästhetischen, natürlichen Materialien spezialisiert hat, die ohne Zweifel nicht nur Hingucker sind, sondern sich auch hervorragend als Ergänzung oder im „Dialog“ mit zeitgenössischer Kunst eignen, die von Menschen erschaffen wurde. So geschehen in einer Ausstellung im Berliner Museum Hamburger Bahnhof, wo sein Lieblingsstück – der „schwarze Arp“ – mit einem großformatigen Baselitz korrespondierte. Dieser mehrere Hunderttausend Jahre alte, durch Wasser und Sedimente natürlich geformte Stein aus Brasilien – er kostet einen sechsstelligen Betrag – verstand sich prima mit einem Objekt von Baselitz. „Das war die am häufigsten fotografierte Installation“, sagt Guhr, nicht ohne Stolz.
Nur einmal gerät sein Redefluss ins Stocken, als er fünf Minuten lang versucht zu erklären, woher seine Begeisterung für mineralische Bodenschätze rührt. Nein, er könne es einfach nicht erklären, gibt er unumwunden zu. „Aber es hat mit drei Jahren angefangen!“ Der Arztsohn aus Harvestehude unternahm schon als Buttje ausgedehnte Streifzüge in die nähere Umgebung von Berkenthin, wo die Eltern eine Kate besaßen, ein Wochenendhaus. „Mit acht Jahren habe ich dann bei uns zu Hause im Keller meine erste Mineralienausstellung organisiert – in der Hauptsache waren das Fossilien und Bernstein vom Brodtener Ufer an der Ostsee.“
Am „schwarzen Arp“ hängt sein Herz, den würde er nur ungern verkaufen
Die Eltern förderten das Hobby ihres Sohnes, der gerne zu spät zum Abendessen nach Hause kam, weil er irgendwo wieder interessante Steine gefunden hatte. Und je älter Andreas Guhr wurde, desto weiter dehnten sich seine Expeditionsradien aus – viele Jahre später sollte ihn sein Interesse an seltenen Mineralien und Fossilien um die ganze Welt führen; anfangs mit dem VW-Bus nach Afghanistan, später in der Economy-Class nach Südamerika. Diese Lust am Reisen, Entdecken und Aufspüren, sagt er, habe er übrigens bis heute konserviert.
Er gründete 1971 eine Mineralienhandlung in Hamburg, rief 1979 die Hamburger Mineralientage ins Leben (sie existieren immer noch), hatte 20 Jahre ein Geschäft am Jungfernstieg und eröffnete 2009 die Galerie. Man könnte also sagen, dass er eine ganze Weile gebraucht hat, um zur Kunst zurückzufinden und um auf diese Weise die vermutlich geniale Symbiose zwischen natürlichen und künstlich geschaffenen Werken zu vollziehen. Die überdies auch recht lukrativ ist. Sein kann. „Ja, ich bin steinreich“, sagt er. Aber es ist als Scherz gemeint. Tatsächlich differieren die Preise, die seine Kunden für die „natürliche Kunst“ berappen müssen, enorm. „Es gibt selbstverständlich auch wunderschöne, erschwingliche Unikate“, sagt er, „aber es gibt auch Stücke, für die sechs,- ja sogar siebenstellige Summen über den Tisch gehen können.“ Aber wenn ein kleiner Junge in die Galerie komme und sich einen hübschen Stein für fünf Euro seines Taschengeldes kauft, mache ihn das glücklich.
Andererseits, so doziert Guhr – wenn auch ohne eine Spur von professoraler Überheblichkeit –, könne man inzwischen zweifelsfrei belegen, dass die Preise auf internationalen Auktionen „nach oben katapultiert wurden“. Diese Kunst der Natur, die zumeist von Paläontologen mit winzigen Sandstrahlern und Kratzinstrumenten jahrelang, aber äußerst behutsam bearbeitet werden muss, tauge also längst auch als renditestarke Kapitalanlage für Liebhaber und Sammler. Aber seinen „schwarzen Arp“ – den er in Gedenken an den berühmten Bildhauer so getauft hat – würde er nur ungern verkaufen. An diesem Stein hängt sein Herz.
Der Grund hierfür ist einleuchtend: Viele Fundstellen – Steinbrüche und Minen – sind inzwischen „abgegrast“, wurden geflutet, zugeschüttet oder aus Unrentabilität geschlossen. „Leider“, seufzt er, „wird es immer schwieriger, schöne Stücke aufzuspüren.“ Und es sei auch schon lange Zeit kein Mondgestein mehr auf die Erde gelangt. Es werde mal wieder Zeit für eine Landung auf dem Erdtrabanten.
Guhr gehört jedoch zu der ziemlich seltenen Spezies Mensch, die trotz ihrer offensichtlichen Besessenheit von einer Sache auch den übrigen Freuden des Lebens gegenüber nicht abgeneigt ist. Ihm liegt viel an gutem Essen, gepflegtem Trinken, an Freundschaften, noch mehr an der „überaus glücklichen Beziehung“ zu seiner Lebensgefährtin Christiane Paulsen – die das Marketing für die RED-Gallery verantwortet – und deren beiden Kindern. Als er das sagt, blitzen seine Augen hinter den Brillengläsern. Es wird deutlich: Guhr war und ist kein Steinzeit-Nerd und wird wohl nie einer werden.
Ein neues Museum mit Skeletten einer ganzen Dino-Familie ist geplant
Seit seinem 15. Lebensjahr spielt er Schlagzeug – „ich wäre auch gerne Musiker geworden“, sagt er und gerät augenblicklich ins Schwärmen von seiner schönen, alten „Ludwig-Schießbude mit der Double-Base-Drum“ –, und nach seinem Abitur studierte er nicht etwa Geologie, sondern Kunst, in Kiel und in Hamburg. Dennoch behauptet er ganz souverän von sich, dass er inzwischen vermutlich das gesamte mineralogische, fossile Wissen der Welt in sich trage. Und so wie er dies sagt, klingt es nicht einmal überheblich.
Dann verabschiedet sich Guhr. Er habe nämlich gerade sehr viel zu tun, sagt er – und lässt sich dann doch dazu überreden, uns wenigstens einen kleinen Teil seiner neuesten Idee zu präsentieren: Er wird in Kürze in der an die Galerie angrenzenden ehemaligen Autogarage besterhaltene Skelette der einzigen bekannten kompletten Dino-Familie der Welt zeigen. Sie wurden vor ein paar Jahren im amerikanischen Bundesstaat Wyoming gefunden. Es ist der Startschuss zu einem verwegenen Plan: zur Gründung eines Mineralien-Museums, das er allerdings nicht so langweilig gestalten wolle wie all die anderen Naturkundemuseen. „Eins ist klar: Ohne Anfassen und Multimedia geht so was heute nicht.“ Die Pläne, sagt Guhr, lägen bereits fix und fertig ausgearbeitet in seiner Schublade, aber der Standort und die Finanzierung seien noch nicht gesichert. „Das kann ich unmöglich alleine stemmen“, sagt er. Zur Not müsse er sich dann eben von dem einen oder anderen Fossil trennen. Auch die Saurierskelette stehen daher zum Verkauf.
Der etwa fünf Meter lange „Stegosaurus“, der jetzt schon in seinem Lager aufgebaut ist und auch ein Teil der Ausstellung werden wird, kostet übrigens nur einen Cent pro Lebensjahr. Dummerweise ist er über 150 Millionen Jahre alt.