Hamburg. Tina Benecke führt nicht nur den Juwelier Sönnichsen, sie hat auch die Aufwertung des Neuen Walls maßgeblich vorangetrieben.
Natürlich hat sie sich auf dieses Gespräch vorbereitet. Alles andere wäre ungewöhnlich. „Mein Vater ist ein pingeliger Perfektionist“, sagt Tina Benecke. „Und meine Mutter ist eine perfekte Kreative.“ Das leibliche Ergebnis ist eine Tochter, die von sich selbst sagt, sie sei ein Perfektionist gepaart mit Steinbock. Bei Erika Berger, der Fachfrau für Horoskope, ist zu lesen: Die Steinbock-Frau ist sehr berufsbezogen. Es kann vorkommen, dass sie ihr Familienleben dem Beruf opfert.
Nun ist allein die Tatsache, dass eine 43-jährige attraktive Frau solo ist, noch kein Grund, in ihr einen Workaholic zu vermuten. Und doch ist im Kern dieser schnellen Internetrecherche ein Quäntchen Wahrheit enthalten. Tina Benecke, Inhaberin des traditionsreichen Juweliergeschäfts Sönnichsen, bedient zumindest auf den ersten Blick das Klischee der erfolgreichen Businessfrau.
Äußerlich sowieso. Der graue Hosenanzug schimmert dezent, das Halstuch im floralen Muster ist der gewollte Farbtupfer, je ein auffälliger Ring an den feingliedrigen Händen mit den rot lackierten Nägeln verraten die Individualistin und die flachen Ballerinas an den Füßen die Gedanken zur Körpergröße. Benecke ist beeindruckende 1,83 Meter lang. „Früher hatte ich damit ein Problem“, sagt sie. „Heute fühle ich mich in meinem Körper wohl.“ Einen kleineren jungen Mann zu küssen hat sie schon als Teenager wohlweislich vermieden. „Man soll sich auch als Paar auf Augenhöhe begegnen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Den meisten Stammkunden und vor allem -kundinnen des Geschäfts, das in diesem Jahr 85-jähriges Bestehen feiert, ist es ohnehin egal, dass die hochgewachsene Geschäftsfrau zu ihnen hinunterschauen muss. Für sie ist die Tochter von Rolf, 75, und Bärbel, 72, Benecke irgendwie immer noch die kleine Tina. Denn auch das Ladengeschäft war Teil des Zuhauses für das Kind des Unternehmer-Ehepaares, das sich einst an der Fachschule für Uhrmacher in Königstein kennengelernt hatte und dann jahrzehntelang gemeinsam jenes Juweliergeschäft betrieb, das Georg Benecke vom 1930 verstorbenen Konrad Sönnichsen gekauft hatte. Und weil es ein eingeführter Name war, beschlossen die Beneckes, den Namen Sönnichsen beizubehalten. Er war der Mann hinter den Kulissen, sie die Frau an der Verkaufsfront und Ideengeberin. „Von ihr habe ich mir vieles abgeguckt“, sagt die Tochter.
Vor der Tür der Kindertagesstätte St. Petri und später dann vor der Schule stand deshalb oft eine Mitarbeiterin der Eltern und holte das Mädchen ab. Irgendwann war sie als Erwachsene erstmals wieder dort oben auf dem Dachspielplatz und traf unerwartet ihre ehemalige Kindergärtnerin, die Leiterin. „Guten Tag, Frau Benzin“, hat sie lachend gesagt. Die Antwort erfolgte prompt: „Und das ist die Tina.“ Benecke lacht beim Erzählen dieser Anekdote. Denn die Kindergärtnerin hieß in Wahrheit Benthien. „Benzin war nur ihr Spitzname, weil sie so streng war.“
Dass Tina Benecke einmal die Nachfolge im Juweliergeschäft antreten würde, danach sah es trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Nähe zur Arbeit der Eltern lange nicht aus. Abgrenzung war ihr damals wichtig. Nach dem Abitur machte sie beim Otto-Versand eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau. Parallel dazu studierte sie an der Fernuniversität in Hagen Betriebswirtschaftslehre. Diese Kombination war in Hamburg etwas Besonderes, die Selektion für die Teilnahme an dem Programm entsprechend hart. Am Ende blieben 50 Kandidaten übrig, von denen sechs genommen wurden. Sie gehörte dazu.
Als Jugendliche lernte sie Ballett und Geige, spielte Handball und Tennis
Und obwohl nach Auslandsaufenthalten nun eine Karriere in einem Großunternehmen möglich gewesen wäre, nagte etwas im Inneren der jungen Frau, was sie sich bis heute nicht richtig erklären kann. Als Folge bat sie ihre Eltern, ein Jahr bei ihnen im Geschäft „reinriechen zu dürfen“. Danach war allen Beteiligten klar: Die potenzielle Nachfolgerin war gefunden. Damit ergab sich eine neue Beziehungssituation im Hause Benecke. „Wir haben gelernt, uns geschäftlich und privat zu mögen und zu akzeptieren.“
Fortan wurde sie von den Mitarbeiterinnen der Stammkundschaft stolz als „und das ist meine Junior-Chefin“ vorgestellt. Parallel dazu engagierte sie sich ehrenamtlich im Viertel, so wie es vor ihr schon die Großmutter und dann der Vater getan hatte. Sie wurde ebenfalls Mitglied in der Interessengemeinschaft Neuer Wall, stieg in den Vorstand auf und befeuerte mit Elan und Lust an Neuem die Bildung des ersten innerstädtischen Business Improvement Districts (BID). Die Idee, nicht nur ehrenamtlich, sondern auch durch finanzielles Engagement von Grundeigentümern und Geschäftsleuten öffentlichen Raum zu modernisieren, ging auf. Heute ist der Neue Wall mit den international bekannten Marken im Herzen der City Anziehungspunkt für betuchte Touristen aus aller Welt.
Auch im City Management engagierte sie sich jahrelang. Bis zum vergangenen Jahr war sie dort als Vorstandsmitglied tätig. An dieser Stelle stockt der Gesprächsfluss. Die Frage lautete: Und, warum haben Sie aufgehört? Benecke schweigt. Guckt weg. Beginnt einen Satz. Stoppt wieder. Offensichtlich handelt es sich um eine problematische Entscheidung. Dann die Erklärung: „Mir wurde alles zu viel.“
Dazu muss man wissen: Tina Benecke ist eine Frau, die diszipliniert und fokussiert an ihren Schwächen gearbeitet hat. Ballett ist gut für die Haltung. Also nahm sie Unterricht – von der Mutter sanft geschubst. Mannschaftssport ist gut fürs Sozialverhalten und den Umgang mit Siegen und Niederlagen. Sie spielte Handball in Eimsbüttel. Später kam Tennis dazu. Eine Einzelsportart, in der es gilt, die eigenen Stärken auszuspielen und Schwächen des Gegners auszunutzen. Auch Geige spielen lernte sie und sang im Chor. Musik ist förderlich für die Verknüpfungen im Gehirn. „Hochbegabte können eine Sache tausendprozentig, ich versuche viele Dinge hundertprozentig zu machen“, sagt sie. Natürlich hat Benecke diese vielfältigen Freizeitaktivitäten als Kind und Jugendliche nicht ausgeübt, um ein perfekter Mensch zu werden. Aber sie hat daraus viel gelernt und reflektiert. Ihre Antworten kommen grundsätzlich erst nach einer Denkpause. Wenn nötig, wird noch schnell ein Telefonat geführt, um Informationen zu verifizieren. Mit viel Fantasie sieht man den kleinen Zensor auf ihrer Schulter sitzen und ihr ins Ohr flüstern. Es fällt ihr schwer zuzugeben, dass es eine Phase in ihrem Leben gab, in der sie ihre Grenzen nicht nur erkennen, sondern ihnen auch Tribut zollen musste.
„Also der Reihe nach.“ Ein kleiner Seufzer. Doch dann folgt die Geschichte. 2011 hatten sich die Eltern nach und nach zurückgezogen und das Geschäft an die Tochter übergeben. Vorausgegangen war ein behutsamer Prozess, in dem alle Beteiligten aufeinander Rücksicht nahmen. Die Eltern, indem sie versuchten, von dem zu lassen, was Jahrzehnte ihr Lebensinhalt gewesen war. Und die Tochter, indem sie ihre Ungeduld zügelte, endlich allein loslegen zu können. Am Ende gelang der Abnablungsprozess ziemlich reibungsfrei.
Den Traum von einer Dependance auf Sylt musste sie wieder aufgeben
In dieser Phase beschloss Tina Benecke, dass es nun auch für die dritte Generation Zeit sei, einen Meilenstein in der Familiengeschichte zu setzen. Die Senioren hatten in den 80er-Jahren mit dem ersten Platinstudio in Norddeutschland ein ungewöhnliches Material im Schmuckdesign für sich und ihre Kundschaft entdeckt. „Es ist das reinste Metall, kühl und schwer“, sagt die Juwelier-Fachfrau Benecke. Vor allem aber entspricht es mit seinem Understatement, einfacher Stahl zu sein, genau der Philosophie hanseatischer Attitüde. „Nur man selbst weiß wirklich um den Wert dieses Schmucks.“
Als Betriebswirtin wollte Benecke aber etwas anderes. Sie plante ein zweites Geschäft auf Sylt, wo ein Großteil ihrer Kunden ein zweites Zuhause hat. Im Mai 2013 eröffnete sie in einem liebevoll restaurierten Erdgeschoss die Sönnichsen-Dependance in Keitum. Fortan bestand ihr Leben aus vier Tagen Arbeit in Hamburg und drei Tagen Arbeit auf Sylt. „Ich habe mir damit einen Traum als Unternehmerin erfüllt und es auch genossen“, sagt sie. Doch irgendwann zerrten zu viele Ansprüche an ihr und ihrem 24-Stunden-Tag. Das Pendeln zwischen Altona und Keitum mit dem Zug, die Kunden, die hier wie dort stets nach der Chefin fragten, und natürlich musste auch die Vorstandsarbeit in den Gremien in Hamburg weitergehen. Sie zog die Notbremse, gab Sylt auf. „Das schwierigste war, sich von meinem Traum zu trennen“, sagt sie. „Inzwischen sehe ich es als Stärke, auch das geschafft zu haben.“ Wertvoll war zudem die eigentlich selbstverständliche Erkenntnis, nicht an zwei Orten gleichzeitig 100 Prozent geben zu können. „Wo ich nicht war, fehlte ich.“ Persönlich hat ihr der Verlust des Traumes aber noch etwas anderes gebracht: Zeit für ein Privatleben. „Ich lerne gerade, auch mal nichts zu tun“, sagt sie. Und was heißt das? „Ab und zu ausschlafen ...“