„Green Gym“ heißt das kostenlose Training für alle, die lieber im Dreck wühlen als Gewichte zu stemmen. Sport und Parkpflege werden sinnvoll miteinander verknüpft. Bezirk Mitte fördert das Projekt.

Hamburg. Jetzt alle tief einatmen, die Arme nach oben und schön lang strecken. „Lockermachen“, heißt es für die Gruppe. Vor dem Gärtnern kommt die Gymnastik. Das ist Pflicht.

Zwischen den Spätblühern wirken die Hobbysportler in Alltagskleidung wie Vertriebene aus dem Fitnesstempel. Vor Blümchenbeeten werden Beine gedehnt, Rümpfe gekreist, Muskeln entspannt. Die Schachspieler von nebenan wundern sich schon gar nicht mehr. Sie sind die Aerobicrunde im Park inzwischen gewohnt. Das obligatorische Aufwärmprogramm kennen sie bereits. Sie wissen: Erst danach pflügen die Sportgärtner durch die Beete.

Fünf sportlich ambitionierte Hobbygärtner haben sich an diesem Dienstagnachmittag in einer Ecke des Öjendorfer Parks getroffen. Aus einem Brennnesselfeld haben sie Rabatte und Hochbeete mit Kräutern wachsen lassen. Davor haben sie im Kreis Aufstellung genommen. „Green Gym“ nennt sich ihre Mission, eine Art Fitnessgärtnern. Und ein neues Angebot für Menschen, die lieber in der Natur ihren Körper auf Trab halten als in der Muckibude. Die lieber im Dreck wühlen, als Gewichte auf der Hantelbank zu stemmen. Die lieber nicht merken, dass sie gerade Sport machen. Und die nebenbei auch noch einen Park pflegen. Seit einem Jahr übt die kleine Gruppe in Billstedt ihren Gartensport aus.

In Großbritannien gibt es diese Blüte des Urban-Gardenings schon seit den späten 1990er-Jahren. Sport und Parkpflege wurden sinnvoll miteinander verknüpft, der englische Wohlfahrtsverband The Conservation Volunteers (TCV) zählt im Vereinigten Königreich inzwischen mehr als 100Projekte mit mehr als 10.000 Aktiven. Ein kostenloses Angebot, von geschulten Trainern angeleitet.

Auch im Öjendorfer Park ist das Projekt kostenlos, Linda Varszegi agiert als Trainerin. Eine Agraringenieurin in Jogginghose, die durch ihre Ausbildung sowohl Ahnung vom Jäten, Grubbern und Pflanzen hat, aber auch sportlich genug ist, um das gymnastische Aufwärmprogramm fachkundig zu betreuen. „Gerade in der Startphase solcher Projekte ist Anleitung noch wichtig“, sagt sie. „Ziel ist aber, dass Teilnehmer später selbst den dreistündigen Kurs leiten können“, sagt sie. Grundwissen in Gärtnerei helfe zwar. Aber da dem Konzept kein Leistungsgedanke zugrunde liegt, könne das im Prinzip jeder schnell lernen. Und was die Gartenarbeit betrifft: Wer regelmäßig kommt, weiß, was beim letzten Mal auf den Beeten liegen geblieben ist. Irgendetwas gibt es immer zu tun.

Das Programm für die Treffen der Green-Gym-Gruppe ist eigentlich immer gleich: Eine Viertelstunde Aufwärmen, eine Stunde Gartenarbeit, dann eine kleine Pause, wieder eine Stunde im Gartenarbeit und zum Abschluss das „Cool down“, der sportlich bewegte Ausklang in der Gruppe. Also wieder dehnen, lockern, kreisen, entspannen. Insgesamt drei Stunden dauert eine Trainingseinheit. Ob es diese Routine ist, das selbst wählbare Tempo oder die soziale Komponente der regelmäßigen Treffen – die Motivation der Hamburger ist unterschiedlich.

Henning Sanftleben etwa bastelt gerade an einem Insektenhotel, hämmert, sägt und passt an. Er vergleicht die wöchentlichen Einheiten mit einem Ausflug ans Meer: „Man ist mal drei Stunden völlig raus aus dem Stadtgefühl, in der Natur, hat diese sinnliche Erfahrung.“ Die Beschränkung aufs Wesentliche – das gebe es im Alltag nur noch selten. „Wenn ich hier bin, dauert es nicht lange, und ein Erholungseffekt stellt sich ein.“ Für ihn sei Green Gym die Rückbesinnung der Stadtmenschen auf die Natur. Und nebenbei verbrenne er natürlich noch ein paar Kalorien, vergleichbar mit einer lockeren Joggingeinheit.

Eine wissenschaftliche Untersuchung von 52 Projekten in Großbritannien legt tatsächlich den Schluss nahe, dass Gartenarbeit fit macht. Sowohl körperlich als auch psychisch. Green Gym trainiere Muskeln und Kondition in Maßen. Insbesondere bei vormals untrainierten Personen würden rasch gewünschte Effekte erzielt. Je nach persönlichem Arbeitstempo. Zudem mache sich der ausgleichende Charakter der Gartenarbeit auch in einer Art Seelenfrieden bemerkbar. Hinterher ruhe man mehr in sich als vorher.

Vor allem sportlich motiviert geht Susanne Broos die Sache an: „Ich habe einen Schreibtischjob und möchte mich auspowern“, sagt die Fachredakteurin. Heute etwa hat sie sich der Unkrautvernichtung verschrieben. Mit viel Ehrgeiz rupft sie ein paar Brennnesseln aus der Erde. „Widerspenstiges Zeug!“, sagt sie. Und klingt doch glücklich. Schweiß steht auf ihrer Stirn, Susanne Broos nimmt die Gartenarbeit ernst. Nach drei Stunden hat sie das Gefühl, ihrer Physis einiges abverlangt zu haben. „Außerdem habe ich mich total gefreut, dass es so was Alternatives, fast schon Szeniges hier in Billstedt gibt.“ Es sei ja nicht gerade ein Szeneviertel wie Altona oder Eimsbüttel.

Wenn es nach dem Initiator des Ganzen, Norbert Nähr, geht, ist die Idee ohnehin ausbaufähig. Lurup, Neuwiedenthal, Altona, Eimsbüttel, Winterhude – dem Geschäftsführer von Heilende Stadt wäre alles recht. Hauptsache, die Idee findet weiter Anklang. Warum sollte es in Großbritannien klappen und hier nicht? Zumal die klamme Stadt allerorten an der Grünpflege spart. „Hier finden Leute Kontakt, die sonst vielleicht isoliert blieben. Tun etwas für ihre Gesundheit. Und der Park sieht auch etwas gepflegter aus.“ Die blühenden Beete neben dem begehbaren Schachfeld wären jedenfalls nicht entstanden, gebe es die grüne Gymnastikgruppe nicht.

Für zwei Jahre unterstützt der Bezirk Mitte das Projekt mit bescheidenen Mitteln. Spaten, Gießkanne, Schubkarre und kleine Schuppen wurden gestellt, insgesamt 20.000 Euro stellen auch die Aufwandsentschädigung für die Organisatoren sicher. Den Rest erledigten die Fitnessgärtner selbst.

Und es gibt jedes Mal wieder etwas zu tun.