205 Hektar Grün mitten in der Stadt – mit viel Platz und dem Tutenberg. „Geradezu verwunschen“, meint Grünamtschef Hajo Schaefer. In diesem Jahr wird der Altonaer Volkspark 100 Jahre alt.
Schon der Weg ist eine Überraschung. Mit elegantem Schwung führt er wie durch einen grünen Tunnel. Links und rechts dichtes Laubgehölz, dann über grün verwachsene Stufen eine Treppe hinauf. Am Ende öffnet sich der Himmel. „Früher hatte man von hier freien Blick über Hamburg“, sagt Hajo Schaefer. Der Leiter der Abteilung Stadtgrün im Bezirk Altona steht auf einem steineren Sockel oben auf dem Hügel, macht mit seinem Arm eine Geste über die hohen Bäumen rundum. Der Tutenberg, 46,4 Meter hoch, ist einer der markantesten Orte im Altonaer Volkspark und zählt zu Schaefers Lieblingsplätzen.
Eigentlich sollte hier ein Ehrenmal für die Soldaten des 1. Weltkriegs entstehen, es blieb unvollendet. „Für mich hat die Anlage etwas Mystisches“, sagt der Mann vom Amt. „Ein massives Bauwerk, das sich nicht von allein erklärt, aber wunderbar das Ende einer schönen Wegachse darstellt.“
Viele Hamburger waren noch nie da
Meistens ist man hier allein. Der Altonaer Volkspark ist zwar mit 205 Hektar der größte öffentliche Park der Stadt. Er hat eine eigene Autobahnabfahrt und das HSV-Station in unmittelbarer Nachbarschaft, trotzdem waren viele Hamburger noch nie da. Ganz anders als im Stadtpark in Winterhude, mit dem er in diesem Jahr 100-jähriges Doppeljubiläum feiert, gibt es in dem Bahrenfelder Pendant immer reichlich Freiraum. Das hat mit der Lage zu tun – breite Straßen, Autobahn und Bahngleise umschließen das Stadtgrün. Aber auch mit dem eher herben Charme, anarchisch und ein bisschen wild.
Höchste Zeit für eine Entdeckungstour. „Es ist nicht spektakulär, aber doch wunderschön“, sagt Grünamtschef Schaefer, der nicht nur qua Amt so etwas ist wie Mister Volkspark, sondern ein echter Fan mit Sendungsbewusstsein. „Geradezu verwunschen“ sei der Park an vielen Stellen, so der 54-Jährige. Und gesteht mit einem Lächeln, auch er habe sich schon verlaufen auf dem verzweigten Wegenetz, Gesamtlänge 22 Kilometer. „So etwas gibt es nicht oft mitten in der Stadt.“
Licht und Luft. Die Geschichte des Altonaer Volksparks beginnt 1875. Einige Privatleute waren mit der Forderung an den Magistrat des damals selbstständigen Altona herangetreten, an der Peripherie der wachsenden Stadt mit dicht besiedelten Straßenzügen und qualmenden Industrieanlagen frei zugängliche Naturflächen zu schaffen – quasi als Gesundheitsfürsorge für die Bürger. 1913 beschlossen die Ratsherren, einen Park zu errichten, zunächst unter dem Namen Kaiser-Wilhelm-Park. Als Gartenbaudirektor wurde Johannes Ferdinand Tutenberg (1874–1956) berufen. Er passte die Gestaltung an die natürlichen Gegebenheiten des hügeligen Geländes an und entwickelte, unbeeindruckt von der monarchischen Vorbestimmung, das Konzept eines Wald- und Nutzparks. Ein Park fürs Volk. Flächen für Spiel, Sport, Erholung, Bildung statt gartenkünstlerischer Repräsentation und architektonisch ausgeklügelten Gesetzmäßigkeiten, ähnlich wie im Stadtpark im benachbarten Hamburg. Im September 1914, nach der großen Altonaer Gartenbauausstellung, begannen 1000 „Notstandsarbeiter“ mit dem Bau.
Hajo Schaefer steht jetzt am Eingang an der August-Kirch-Straße vor dem großen Findling, der an einen der Väter des Volksparks erinnert. Senator Sylvester hatte 1903 das Flurstück „Bahrenfelder Tannen“ erworben, eine verrufene Gegend und Dorado der Selbstmörder, das zur Keimzelle des Parks wurde. „Es war eine große Leistung, dass in schwierigen Zeiten der Bevölkerung eine so großartige Fläche zur Verfügung gestellt wurde“, sagt der Mister Volkspark der Jetzt-Zeit. „Das hat Symbolkraft.“ Der Volkspark zählt bis heute zu den bedeutenden Zeugnissen der Reformgartenbewegung.
Zum Jubiläumsjahr bekommt der Park eine Frischzellenkur
In gerader Linie führt der Weg direkt auf die große Spielwiese, das historische Herz des denkmalgeschützten Parks. Umsäumt von 200 Linden waren sie als erster Teil im März 1915 fertiggestellt worden. „Es ist ideal zum Spazierengehen“, sagen Fritz und Gesche Herberger, die an diesem Frühsommernachmittag hier ihre Runde starten. Der Wald lockt sie, ganz im Sinne Tutenbergs suchen sie die Natur in der Stadt. Auf dem Spielplatz toben einige Kinder, Jogger sind unterwegs und Gassi-Geher wie Annett Kania. „Obwohl ich ganz in der Nähe wohne, kannte ich den Park kaum“, sagt sie. Erst seit sie einen Hund hat, kommt sie regelmäßig.
„Der Volkspark leidet heute darunter, dass er nur wenige Freiflächen hat“, sagt Grünamtschef Schaefer. Über dem Rundweg um die Wiese flattert ein Transparent „Hundert Jahre – Tausend Möglichkeiten“. Zum Jubiläumsjahr bekommt der Park eine Frischzellenkur. 1,5 Millionen Euro hat der Senat dafür zur Verfügung gestellt. Sieben Kilometer Parkwege werden erneuert, die Erkennbarkeit an den Eingangsbereichen an der Luruper Hauptstraße neben der Trabrennbahn, an der Stadionstraße, an Tutenbergachse und Dahliengarten sowie am Farnhornweg wird verbessert, und die veralteten Informationstafeln werden gegen ein modernes Hinweissystem ausgetauscht. Der Pinguinbrunnen aus dem Schulgarten ist bei einem Bildhauer zur Restaurierung. Im September soll alles fertig sein. „Wir wollen nachhaltigen Nutzen, kein Feuerwerk für ein Jahr“, sagt Schaefer, der seit 1994 in verschiedenen Funktionen für die Altonaer Grünanlagen zuständig ist.
Der Grünplaner, der als Gärtner angefangen hat, weiß, wovon er spricht. Ein ständiger Spagat sei es, bei immer knapper werdenden Mitteln einen Park dieser Größe und Bedeutung zu bewirtschaften und zu entwickeln. Das gilt auch für den 25 Hektar großen Schulgarten, der als zweiter Teil des Volksparks fertiggestellt wurde. Hajo Schaefer steht in dem kleinen Pavillon in der Mitte. Ganz friedlich ist es hier, seit vor einigen Jahren die Schießanlage stillgelegt wurde. Man hört Vögel zwitschern, auf einem Rasenstück sitzt eine Mutter mit kleinem Kind. „Schauen Sie mal diese Sichtachse“, begeistert sich Schaefer. „Ist das nicht wunderbar?“ Daran entlang reihen sich Stauden-Beete mit Pfingstrosen, Frauenmantel und Rosen. Es riecht nach Lavendel. Ganz am Anfang war hier der Dahliengarten, bis er 1932 an den jetzigen Ort ausgelagert wurde und inzwischen 200.000 Besucher im Jahr anzieht.
Früher gärtnerten hier Schulkinder
„Ich liebe den Schulgarten, weil wir hier die Chance haben, zu zeigen, dass wir Gärtner sind“, sagt Parkverwalter Schaefer. Früher kamen die Kinder aus den benachbarten Schulen, um hier zu lernen und auch um zu arbeiten. Es gibt ungewöhnliche Bäume, wie die solitäre Araukaria aus Südamerika, die fast wie eine Statue aussieht. Auch sieben Muster-Schrebergärten ließ Gartenbaudirektor Tutenberg anlegen. An diesem Tag wühlt Nicole Nebel hier in der Erde, jätet Unkraut zwischen Dill, Salat und Fenchel. Sie kommt aus Ottensen und ist Mitglied des Urban-Gardening-Projekts, das das private Tutenberg-Institut seit gut zwei Jahren im Volkspark betreibt. „Es ist ein guter Ausgleich“, sagt sie.
Nicht weit davon entfernt steht ein Holzhaus, als Schaugartenhaus gebaut und dann lange als Bauhof genutzt. Von Mitte Juli an wird dort eine Ausstellung zum Volkspark-Jubiläum gezeigt, mit Unterstützung des Hamburg Museums. Auch eine Broschüre zur Geschichte soll dann erscheinen. Gartenbaudirektor Tutenberg wird darin eine wichtige Rolle spielen. Der Park war seine Lebensaufgabe, beständig entwickelte er ihn bis 1933 weiter. Der Altonaer Friedhof kam dazu, eine Schule und ein Kinderheim wurden integriert. 1925 wurde der Vorläufer der heutigen Arena gebaut, für 50.000 Zuschauer. In den folgenden Jahren entstanden Planschbecken, Schwimmbad, ein künstlicher Paddelsee. Auch wenn es diese Einrichtungen schon lange nicht mehr gibt, machen sie die Idee des Volkspark-Pioniers deutlich. „Der Nutzwert großer Parkflächen liegt in der körperlichen Inbesitznahme“, hat er einmal gesagt. Der Volkspark wurde zudem wichtiger Baustein des Altonaer Grüngürtelkonzepts.
Claudia Müller und Svenia Schnitter wissen davon nichts. Sie sitzen am Spielplatz auf der großen Wiese, ein Stück weiter buddeln ihre Kinder im Sand. „Grundsätzlich ist es nett hier“, sagen die Freundinnen aus Ottensen und Blankenese. Aber so ganz überzeugt sind sie nicht, für sie bietet der Park zu wenig. „Klempau’s Biergarten“ an der Milchhalle gegenüber ist eines der wenigen gastronomischen Angebote in dem Stadtgrün, das sieben Prozent der gesamten Parkflächen der Hansestadt ausmacht.
„Die Zeit ist schnelllebig, die Arbeit verdichtet, die Belastungskrankheiten nehmen zu, aus meiner Sicht braucht es Ruheräume und Orte zum Kraftschöpfen. Und dafür ist der Volkspark ideal“, hält der Altonaer Grünamtschef Schaefer dagegen – ganz in der Tradition Tutenbergs. Das heißt aber nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. „Wir müssen den Volkspark nach vorn denken“, hat er beim Blick vom Tutenberg sinniert und Richtung Osten gezeigt. Hinter der zugewachsenen Blickachse führt heute die Autobahn im großen Bogen um die Parkanlage. Seine Hoffnung ist die geplante Überdeckelung. „Dann“, sagt er, „kommt das Volk auch wieder an den Park ran.“