Er hatte zunächst den Vater im Verdacht, das Kind umgebracht zu haben. Der Ermittlungsrichter im Fall Yagmur gesteht offen seine erste Fehleinschätzung.
Hamburg. Er redete nicht lange drumherum: „Ich bin auf sie reingefallen“, sagte Herr H. am Mittwoch vorm Landgericht im Prozess um den gewaltsamen Tod der kleinen Yagmur. Mit „sie“ meinte der Zeuge Melek Y., der vorgeworfen wird, ihre dreijährige Tochter getötet zu haben. Der Vater Hüseyin Y. soll tatenlos zugesehen haben, wie seine Frau das Kind misshandelte.
H., ein Ermittlungsrichter, vernahm Yagmurs Eltern einen Tag nach dem Tod des Mädchens am 18. Dezember 2013. Er verdächtigte jedoch zunächst den Vater, das Kind gewaltsam umgebracht zu haben. „Ich kann mich an keinen Fall erinnern, bei dem sich meine Beurteilung so gedreht hat“, räumte der 55-Jährige ein.
Dabei ist H. alles andere als unerfahren – seit mehr als 20 Jahren übt er seinen Beruf aus. Am Anfang habe er sich sogar vorstellen können, Melek Y. eventuell vor der Untersuchungshaft zu verschonen. „Bei der ersten Vernehmung hatte ich den Eindruck, eine Frau vor mir zu haben, die ihr Kind durch die Gewalt ihres Mannes verloren hat“, sagte der Richter. Sie sei nicht unschuldig gewesen, habe aber wie ein Opfer gewirkt. Erst in den folgenden drei Vernehmungen zeichnete sich ein anderes Bild, der Fall nahm eine Wendung.
„Im Laufe der Vernehmungen ist Melek Y. immer mehr ins Detail gegangen, hat von Abtreibungen und einem schlagenden Ehemann erzählt, der sie vergewaltigt hat“, sagte der Zeuge. Im Nachhinein habe ihre Aussage sehr durchdacht gewirkt. In den letzten beiden Vernehmungen im März habe Yagmur kaum eine Rolle gespielt. „Ihr war wichtig, die Verdächtigungen gegen ihren Mann zu spezifizieren.“ Melek Y. habe sich immer mehr in die Enge gedrängt gefühlt.
„Es gab auch keine Zeugen, die zu ihren Gunsten ausgesagt haben“, sagte der Ermittlungsrichter. Wesentlich zurückhaltender habe sich Hüseyin Y. bei seinen Vernehmungen geäußert. „Er wirkte fast apathisch und hat alles abgestritten“, sagte der Zeuge H. Er habe seine Frau sogar noch in Schutz genommen. Herr H. glaubte Yagmurs Vater jedoch nicht, dass er nicht mitbekommen habe, wie seine Frau die Kleine misshandelt habe.
Blaue Flecken und Kratzer, die hatte auch Jessica A. bei Yagmur bemerkt. „Aber Melek hatte immer eine Erklärung“, erinnerte sich die 22-jährige Mutter, eine damalige Freundin von Melek Y., die am Mittwoch ebenfalls als Zeugin aussagte. Einmal habe sie gehört, wie Melek der Kleinen offenbar ins Gesicht schlug, weil diese sich zuvor übergeben hatte. „Aber beweisen konnte ich das nicht“, sagte sie. Zudem sei Melek sehr eifersüchtig auf Yagmur gewesen, weil Hüseyin seine ganze Aufmerksamkeit seiner Tochter schenkte.
„Bei unserem letzten Treffen sah Yagmur nicht gut aus“, erinnerte sich Jessica A. „Sie war blass, hatte Augenringe und Kratzer im Gesicht.“