Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs über die Voraussetzungen einer Großen Koalition. Einer möglichen Großen Koalition müsse gegenseitige Akzeptanz vorausgehen.
Hamburg. Zu Beginn der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD am heutigen Freitag in Berlin hat der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs (SPD), seine Partei erneut zu Selbstbewusstsein aufgerufen. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt sagt der Bundestagsabgeordnete aus Hamburg-Mitte, dass einer möglichen Großen Koalition gegenseitige Akzeptanz vorausgehen müsse.
Hamburger Abendblatt: Herr Kahrs, Sie haben sich wiederholt gegen eine Große Koalition ausgesprochen: Wollen Sie, will die SPD nicht regieren?
Johannes Kahrs: Natürlich will die SPD regieren, und ich will das auch. Aber die Frage ist, wenn jemand so deutlich wie die Union gewinnt, ob man dann für die fehlenden fünf Stimmen eine Große Koalition braucht oder ob es aus demokratietheoretischem Grund nicht schlauer wäre, Schwarz-Grün auszuprobieren. Bei Schwarz-Grün gäbe es einen großen und einen kleinen Partner. Bei der Großen Koalition gäbe es zwei Volksparteien, die auf Augenhöhe miteinander verhandeln müssten. Das Kräfteverhältnis, auch um Themen durchzusetzen, ist bei Schwarz-Grün also ein anderes als bei der Großen Koalition. Die Grünen sind der preiswertere Partner.
Sicherlich, bei einer Großen Koalition gäbe es auf die Sitze bezogen eine sehr kleine Opposition. Doch wird stets darauf verwiesen, dass ein derartiges Bündnis für die Herausforderungen unseres Landes besser und auch die Unterstützung durch den Bundesrat gesichert wäre.
Kahrs: Eine Große Koalition kann funktionieren, das kann die SPD selbstbewusst angehen. Wir haben in der letzten Großen Koalition einen Großteil der Arbeit geleistet. Nur muss sich die Union eben vorher überlegen, ob sie mit dem kleinen Partner koalieren möchte oder mit einer Volkspartei. Letzteres ergäbe zwar eine große Mehrheit und auch eine große Verantwortung. Aber dann haben wir als SPD auch den Anspruch, als Volkspartei behandelt zu werden. Wenn die Union den Kanzler stellt, dann stellen wir den Finanzminister. Es geht nicht um Posten, sondern darum, dass der Finanzminister eine besondere Funktion hat. Er hat ein Vetorecht gegenüber der Kanzlerin. Er ist herausgehoben. Und wir haben alle erlebt, wie Wolfgang Schäuble Guido Westerwelle hat abblitzen lassen nach der letzten Bundestagswahl.
Nun starten am Freitag zunächst einmal die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD: Auf welche „Ergebnisse“ dürfen die Bürger im Optimalfall da schon hoffen?
Kahrs: Beide Partner müssen ein Gefühl dafür bekommen, was der jeweils andere bereit ist zu geben. Es geht um grundsätzliche Fragen. Bei der letzten Koalition war der Eindruck entstanden, dass die CDU auf der einen und die FDP auf der anderen Seite bemüht waren, dem jeweils anderen nichts zu gönnen. Es war eine Koalition des Verhinderns der gegenseitigen Vorstellungen. Bei der nun beginnenden Sondierung kann man darauf hinweisen, dass jede Partei ihre wesentlichen Punkte hat und durchsetzen möchte. Dann gönnt man dem anderen seine Themen. Es geht um das gegenseitige Akzeptieren dieser Themen. Das geht nur, indem man dann verhandelt. Die Frage ist, ob diese Bereitschaft existiert, anzuerkennen, dass beide Seiten Interessen haben, die ihre jeweiligen Mitglieder oder Delegierten überzeugen müssen.
Sie sprechen sich dafür aus, dass Ihre Partei selbstbewusst in die Gespräche geht, die gleiche Anzahl an Ministerien fordern soll: Ist das bei 41,5 Prozent für die Union und 25,7 Prozent für die SPD nicht ein wenig zu selbstbewusst?
Kahrs: Wenn die Union mit der SPD koalieren möchte, dann muss die Union zur Kenntnis nehmen, dass die SPD ihre Mitglieder befragen will. Das führt dazu, dass wir unsere Mitglieder überzeugen müssen. Wir müssen Argumente dafür liefern, das Wagnis Große Koalition eingehen zu wollen – was sich bei der letzten Großen Koalition nicht für uns ausgezahlt hat. Und Augenhöhe heißt in Sachen Ministerposten für die SPD nun mal, den Finanzminister zu stellen, sonst können wir das vergessen. Der Finanzminister ist neben der Kanzlerin der Gestalter. Wenn man den nicht hat, hat man ein Strukturproblem in einer Koalition. Natürlich sind wir nicht so stark wie die Union, aber die Union hat auch keine absolute Mehrheit.
Ihr Parteifreund, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig, hat davor gewarnt, mit zu hohen Erwartungen in die Sondierungsgespräche zu gehen. Fühlen Sie sich davon angesprochen?
Kahrs: Mir geht es nicht darum, dass ich in eine Große Koalition gehen will, deswegen fühle ich mich nicht angesprochen. Ich glaube nun mal, dass sich die Union die Variante Schwarz-Grün überlegen sollte. Mir geht es darum, dass man vorher klarmacht, dass die SPD nicht so günstig zu haben ist wie die Grünen. Das sollte die Union fairerweise wissen, bevor sie sich auf Verhandlungen mit uns einlässt.
Käme es zu Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD, bei welchen Themen gäbe es für die SPD Spielraum, bei welchen auf keinen Fall?
Kahrs: Wir haben wesentliche Punkte, denn wir müssen unsere Mitglieder überzeugen. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, die Abschaffung von Leiharbeit und die Gleichstellung der Lebenspartnerschaften. Auch sind uns die doppelte Staatsbürgerschaft und die Mietpreisbremse wichtig, das Betreuungsgeld hingegen muss weg. Wir müssen aber akzeptieren, dass es auch für die Union wesentliche Punkte gibt, die sie durchsetzen möchte. Wir müssen uns also entscheiden, ob wir jeden dieser Punkte so aufdröseln, das er kaum wiederzuerkennen ist. Oder wir akzeptieren die Punkte des jeweils anderen ganz. Dafür müsste die SPD in anderen Bereichen Zugeständnisse machen. Am Ende wird man sich wie immer einigen müssen. Beide Seiten sollten sich so einigen, dass sie ihre Themen noch wiedererkennen. Etwas anderes führt weder zu einer Akzeptanz in der Bevölkerung noch unter den Parteimitgliedern.
Seien es nun Verhandlungen zwischen Union und SPD oder Union und Grünen: Kann es sich Deutschland leisten, monatelang in Verhandlungen zu stecken – möglicherweise bis Januar, wie es SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte?
Kahrs: Vielleicht muss es nicht Januar werden. Aber wir haben noch vor Augen, was bei schnellen Koalitionsverhandlungen herauskommt. Die letzten vier Jahre sind ein abschreckendes Beispiel für einen schluderigen Vertrag gewesen. Es folgte ein Stillstand, bei dem sich die Koalitionäre als Gurkentruppe bezeichneten. Das kann es nicht sein. Wir müssen es gründlich machen. Dafür muss allerdings eine Vereinbarung herauskommen, die als Garant für vier Jahre steht und nicht gleich wieder zu Verhakungen führt. Vernünftige Sondierungen ermöglichen vernünftige Verhandlungen. Das kann zu einem Ergebnis führen, mit dem die Mitglieder oder die Delegierten leben können.