Ein Streitgespräch über die Zukunft der Esso-Häuser an der Reeperbahn. Die Fronten sind trotz vieler Zusagen durch den Investor weiter verhärtet.
Hamburg. Sie gehören architektonisch nicht zu den Höhepunkten der Stadt – zumindest das ist unbestritten. Dennoch tobt seit Jahren ein Kampf um die Zukunft des Häuser-Ensembles an der Reeperbahn, durch die Nähe einer Tankstelle als Esso-Häuser bekannt. Der Eigentümer, die Bayerische Hausbau, will die Blocks abreißen und neue Wohnungen bauen, in die auch die jetzigen Mieter zu unveränderten Konditionen einziehen können. Eine Initiative zum Erhalt der Esso-Häuser befürchtet aber zudem, dass die Mieten im Umfeld durch eine Aufwertung des Viertels steigen könnten. Über dieses Spannungsfeld diskutierten auf Einladung des Hamburger Abendblatts Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter Mitte, Bernhard Taubenberger, Bayerische Hausbau und Geschäftsführer der Projektgesellschaft Spielbudenplatz, Ted Gaier, Sprecher der Initiative für den Erhalt der Esso-Häuser, und die Bewohnerin Nabila Attar miteinander. Es moderierten Stephan Steinlein und Ulrich Gaßdorf.
Hamburger Abendblatt: Werden die Esso-Häuser in einem Jahr noch stehen?
Bernhard Taubenberger: Nach allem was wir wissen, werden die Häuser in einem Jahr nicht mehr bewohnt sein. Ob sie noch stehen oder nicht, kann ich heute nicht abschätzen.
Nabila Attar: Bei dem Druck, den der Bezirk und die Bayerische Hausbau gerade zeitlich aufbauen, ist es sehr gut möglich, dass die Häuser in einem Jahr nicht mehr stehen. Uns wird damit die Möglichkeit genommen, andere Optionen mit ausreichender Zeit prüfen zu können.
Andy Grote: In einem Jahr werden die Häuser nicht mehr bewohnt, aber auch nicht abgebrochen sein.
Was passiert mit den jetzigen Mietern in den Gebäuden?
Taubenberger: Es gibt für jede Mieterin und jeden Mieter ein Rückkehrrecht, völlig unabhängig von dem, was dort entstehen wird. Wird der Drittel-Mix essenziell aufgeweicht, dann muss man diese Zusage noch mal prüfen. Ansonsten zur gleichen Bruttoquadratmeter-Miete.
Attar: Sie halten bereits seit vier Jahren an den gleichen Neubauplänen fest, bei denen Sie auf sehr viel Gegenwind gestoßen sind und haben keine Konsequenzen daraus gezogen. Obwohl die Häuser zum 1. Juli 2014 nicht mehr bewohnbar sein sollen, wissen wir aktuell immer noch nicht, wann, wo und wie es Ersatzwohnungen geben wird. Wir haben keine rechtskräftigen Zusagen. Es ist ein totaler Schlamassel, bei dem kein Mieter durchsteigen kann. Vor einem Jahr ging es noch um Ersatzwohnungen auf St. Pauli. Auf der letzten Mieterversammlung wurde den Leuten gesagt, es werden nun niemandem mehr Ersatzwohnungen auf St.Pauli versprochen, egal mit welchem Vertrag. Es heißt vonseiten der Bayerischen Hochbau nur, man werde sich bemühen, vor allem für die Mieter mit unbefristeten Verträgen Ersatzwohnungen im Viertel zur Verfügung zu stellen. Das Einzige, was konkret ist, ist die Tatsache, dass der Investor an seinen Rahmenbedingungen festhalten wird.
Taubenberger: Wir werden die Zusagen, die wir gegeben haben, einhalten. Wir werden das zeitnah verschriftlichen. Ich kann leider noch nicht sagen, mit welchen Akteuren wir für die Ersatzwohnungen auf dem Hamburger Wohnungsmarkt zusammenarbeiten werden. Ich werde in einigen Wochen sagen können, wer das ist. Wir sind leider nicht Eigentümer von Hunderten von leeren Wohnungen auf St. Pauli und sind auf das angewiesen, was es gibt.
Wie wird sich der Kiez durch den Neubau verändern? Wird die Gentrifizierung, also die künstliche Aufwertung des Viertels, dadurch gefördert?
Grote: Die Gentrifizierung in diesem Teil von St. Pauli wird entweder neutral bleiben oder gedämpft. Entscheidender Faktor sind die öffentlich geförderten Wohnungen. Damit schaffen wir in einem Umfang Sozialwohnungen, wie wir das an keiner anderen Stelle auf St. Pauli mehr hinkriegen werden in den nächsten Jahrzehnten. Auch die frei finanzierten Wohnungen werden durch ihre kleinen Grundrisse – wie jetzt auch – bezahlbar sein. Es wird somit einen größeren Anteil bezahlbarer Wohnungen geben als bisher – und das gesichert auf Jahrzehnte. Die Eigentumswohnungen sind das Einzige, bei dem man sagen kann „dadurch verändert sich die soziale Mischung nachteilig“. Das ist eine legitime Diskussion. Wir können aber nicht jedes alte Haus für alle Zeiten so erhalten. Wenn man die Sanierungskosten maximal auf die Miete umschlagen würde, da dies die einzige Refinanzierungsmöglichkeit wäre, wären das wahrscheinlich die teuersten Wohnungen, die es auf St. Pauli gibt.
Attar: Wir sind ja nicht grundsätzlich gegen Wandel. Erhalt um jeden Preis ist nicht unser wichtigstes Anliegen. Uns geht es aber darum, dass – wenn man schon von einem Neubauvorhaben spricht – alle Möglichkeiten geprüft werden müssen, um einen größtmöglichen Nutzen für den Stadtteil zu erzielen. Die Interessen des Investors können nicht vor denen des Viertels stehen, da ja auch aus dem Gutachten hervorgeht, dass der Zustand der Häuser auf mangelnde Instandhaltung seitens der Eigentümer zurückzuführen ist. Ich weiß von Eigentumswohnungen im Niebuhr-(Hoch-)Haus an der Reeperbahn, die kleiner als 50 Quadratmeter sind und momentan zu 1400 Euro Miete angeboten werden.
Gaier: Das steht uns bevor – und ich kann das dann bald auf meinem Mietspiegel finden.
Grote: Das stimmt. Aber ich muss auch erkennen, dass jeder Investor nur bauen wird, wenn er das wirtschaftlich kann. Dafür brauchen wir einen gewissen Anteil an Eigentumswohnungen. Anders ist es häufig nicht machbar.
Was wünscht sich die Initiative vom Investor für die Zukunft der Häuser?
Gaier: Da wir hier eine soziale Erhaltungsverordnung haben, die ja angeblich das Milieu schützen soll, lassen sie doch die Auswirkungen der Pläne von der Bayerischen Hausbau von Soziologen untersuchen. Ich schätze, da wird dann ein anderes Bild dabei rauskommen als das, das Herr Grote gerade gezeichnet hat. Und wenn es ihnen wirklich um die Bedürfnisse des Stadtteils geht Herr Taubenberger, machen Sie doch bitte ein soziales Projekt, machen sie ein „Low Profit Ding“. Das können Sie sich leisten. Hier braucht niemand neue Eigentumswohnungen. Ich glaube, Sie haben sich verkalkuliert, weil Sie dachten, dass wird so durchgewinkt, wie Sie es aus München gewohnt sind. Hier auf St. Pauli haben Sie eine ganz andere Klientel. Die Tanke ist beispielsweise Teil eines sozialen Netzwerkes, eine Begegnungsstätte, und das schmeißen sie einfach alles weg.
Grote: Man weiß nie, ob das Neue genau die gleichen Funktionen hat wie das Alte. Vielleicht übernimmt es aber andere Funktionen, die genauso wertvoll sind für den Stadtteil. Warum können nicht Qualitäten, die uns auf St. Pauli wichtig sind, auch in einem neuen Projekt abgebildet werden? Vielleicht ist es aus einer Perspektive in 10 bis 20 Jahren sogar wertvoller.
Attar: Das liegt an der Art, wie Sie die ganze Sache aufziehen. Sie sprechen von Bürgerbeteiligung und Rückkehrrechten. Aber Sie machen immer wieder deutlich, dass Sie allein an der Rückkehr des Molotow Interesse haben.
Gaier: Sie machen da eine Auslese und sagen, was Sie für relevant halten und was nicht.
Grote: Ja, das stimmt. Das Molotow hat eine andere kulturelle Bedeutung als ein Devil & Heaven (Anm. d. Red.: ein Sex-Shop). Ich bezweifle, dass so ein Laden in genau der gleichen Form nachgebaut werden muss, wie er vorher existierte. Da machen wir Unterschiede. Das Molotow ist der einzige Laden, von dem klar ist, dass er keine Marktmiete bezahlen kann. Deshalb muss es besonders geschützt werden. Alle anderen sind relativ gut zahlende Mieter.
Attar: Dies ist eine grundsätzliche Frage und nicht nach dem jeweiligen kulturellen Beitrag aufzudröseln. Die Bayerische Hausbau als Eigentümer ist verantwortlich für den schwierigen Zustand der Esso-Häuser. Es ist ein minimaler Anstand, Ersatz zu schaffen für das, was die Leute verlieren.
Gaier: Auf diese Weise wird ein anderes St. Pauli entstehen. Das soll begriffen werden. Das Autohotel zum Beispiel mit seinem 70er-Jahre-Charme fliegt halt raus.
Grote: Wir haben heute schon eine hohe Fluktuation in den Esso-Häusern. In den letzten vier Jahren sind 60 bis 70 Prozent der Leute wieder ausgezogen. Es gibt also einen permanenten Austausch. Jeden Tag werden auf St. Pauli auch zehn Gewerbeflächen vermietet und zehn gekündigt. An jedem Tag verändert sich etwas. Man kann also nicht sagen, diese Zusammensetzung muss für die nächsten zehn Jahre so bleiben.
Taubenberger: Es gibt ein Rückkehrrecht für die Gewerbetreibenden, die einen Mietvertrag mit uns haben. Zu gleichen Konditionen können wir das jedoch nicht zusagen, da wir beispielsweise nicht wissen, welche Ausstattung die Gewerbetreibenden haben wollen.
Ein Kritikpunkt ist immer wieder, die Eigentümer hätten nicht genügend für die Instandhaltung getan. Stimmt das?
Grote: Die alten Eigentümer haben über Jahrzehnte nicht ausreichend instand gehalten. Der jetzige Eigentümer hatte aber zum Zeitpunkt des Kaufs die Absicht, das Gebäude abzureißen. Man macht dann nicht für viele Millionen eine Grundinstandsetzung.
Taubenberger: Wir haben das instand gehalten, was instand zu halten war. Was wir nicht gemacht haben – ganz offen – sind grundlegende Sanierungsmaßnahmen. Wir waren nicht davon überzeugt, dass die Häuser wirtschaftlich und technisch sanierungsfähig seien. Für den ehemaligen Eigentümer spreche ich nicht.
Grote: Ich kann die Frustration an dieser Stelle total verstehen. Das Problem haben wir an ganz vielen Stellen auf St. Pauli. Wir haben kein rechtliches Instrument als Stadt, um Eigentümer zu einer fachgerechten Sanierung zu zwingen.
Attar: Das ist eine schreckliche Nachricht für die Bürger.
Grote: Wir können nur da Einschreiten, wo es Sicherheitsmängel gibt. Wir haben leider keinen Gebäude-TÜV. Wenn ich noch Abgeordneter wäre, fände ich das eine reizvolle Initiative.
Gaier: Es ist ein ziemlicher Hammer, dass es angeblich keine Handhabe gibt, denjenigen zu bestrafen, der es zu verschulden hat. Es gibt eine moralische Pflicht, erst mal den Mietern gerecht zu werden und zu ermitteln was die Mieter eigentlich wollen.
Grote: Aber was könnte man denn den langfristigen Mietern Besseres tun, als die aktuelle Lösung? Sie bekommen eine neue Wohnung zu alten Konditionen. Selbst im Fall einer Sanierung müssten sie ausziehen. Mehr kann man ihnen doch gar nicht anbieten. Das haben wir noch in keinem anderen privaten Projekt vorher gehabt, dass wie in einem Sanierungsgebiet mit diesem Sozialplan der Ein- und Auszug geregelt werden kann.
Gaier: Lassen die doch mal empirisch klären was die Bedürfnisse der Mieter sind. Von allen, mit denen wir reden, hören wir, dass sie nicht weg- oder möglichst schnell wieder zurückwollen. Sie haben Jahre lang mit ihrer Miete ihren Instandhaltungsanteil bezahlt. Die Leute haben das Gefühl, dass ihr Geld verpulvert wurde – mit dem Resultat, dass sie jetzt ausziehen müssen.
Grote: Das verstehe ich. Ich kann den Leuten jedoch nicht sagen, bleibt in einem Haus, für das in einem Jahr kein Bauprüfer der Welt mehr die Gewährleistung der Sicherheit übernimmt. Was wecke ich für Erwartungen wenn ich frage, wollt ihr hierbleiben, wenn es gar nicht geht.
Gaier: Man müsste sich trotzdem erst mal anhören, was die Menschen aus dem Stadtteil wollen. Wenn wir hier jetzt mit zwei Leuten sitzen, ist das doch eigentlich nur eine Farce. Sie sind doch der Chef.
Grote: Vonseiten der Politik ist sehr viel Energie in das Projekt reingeflossen. 100.000 Euro für ein Gutachten ausgeben, das haben wir vorher noch nie gemacht. Wir haben die Ergebnisse in verschieden Runden diskutiert. Und wir werden weitere Runden haben.
Attar: Das waren aber keine Diskussionen. Sie haben Ihre Ergebnisse vorgestellt, das ist keine Bürgerbeteiligung.
Grote: Ich kann aber auch nicht außerhalb der Realität diskutieren.
Attar: Das Gutachten ist seit zwei Monaten bekannt, seitdem bauen sie Zeitdruck auf, dass die Häuser nicht mal mehr ein Jahr bewohnt werden können.
Grote: Es geht um Sicherheit und Baustatik. Das suchen wir uns nicht aus.
Attar: Sie sprechen einerseits davon, dass wir weniger als ein Jahr haben, andererseits haben sie vor zwei Monaten runde Tische angekündigt – bisher ist noch nichts in diese Richtung gegangen. Es gibt nichts Konkretes.
Grote: Es war wichtig, das Gutachten zu diskutieren und öffentlich vorzustellen. Ich bin von der Initiative um Zeit gebeten worden, um das Gutachten auszuwerten. Auch die Initiative musste sich angucken, was sie davon zu halten hat. Insofern haben wir verabredet, bis nach der Sommerpause zu warten. Jetzt haben wir die Veranstaltung gemacht.
Gaier: Das Problem ist, alternative Denkformen sind da nicht vorgesehen, wenn man mit der Behauptung von Wirtschaftlichkeit alles erschlägt. Wie wär es denn mit einer ergebnisoffenen Ausschreibung , die auch Möglichkeiten wie Sanierung, teilweiser Abriss, Neubebauung und so weiter zulässt? Wenn Sie uns mit einer über den Daumen gepeilten Rechnung kommen und sagen, das kostet etwa 23 Millionen Euro, dann ist das nicht seriös. Aber eigentlich haben sie sich die Bälle ja schon zugespielt. Die Verhandlungsmasse zwischen ihnen beiden ist doch schon seit drei Jahren sichtbar. Am Schluss sitzen wir wieder am Katzentisch. Sie sollten die Leute fragen, was sie wollen.
Wir sprechen mit vielen Akteuren auf St. Pauli, auch wenn wir nicht alle erreichen. Tun Sie bitte nicht so, als wenn Sie allein wüssten, was St. Pauli ist. Für mich ist das Gutachten eine massive Zäsur, die deutlich wuchtiger ausgefallen ist, als alle es erwartet haben. Sie erwecken den Eindruck, als wenn es Optionen gäbe, die es definitiv nicht mehr gibt. Damit lassen Sie Hoffnungen entstehen, die in Enttäuschungen enden, welche die Politik und wir wieder auffangen müssen. Das finde ich nicht in Ordnung. Wir werden keinem runden Tisch mehr beiwohnen, der über Dinge diskutiert, die schlicht nicht möglich sind – wie einen Teilabriss. Wir beteiligen uns gerne an jedem runden Tisch, um über das zu diskutieren, was dort entstehen kann. Nur rückwärtsgewandte Gespräche nützen nichts.
Was erwarten Sie vom Bezirk?
Attar: Der Bezirk ist dem Gemeinwohl verpflichtet.
Grote: So ist es. Und diese Verantwortung werden wir auch wahrnehmen.