Beim „Parlando Sommersalon“ in der Bucerius Law School spricht der „Nexthamburg“-Gründer Julian Petrin mit Experten über das Thema „Zukunft der Stadt“. Ein Interview über Luftschlösser und Initiativen.
Hamburg An einer der Bürowände haben Gäste ihre Ideen für ein anderes Hamburg notiert. „Duftkugel am Sonntag auf der Reeperbahn“ steht da. Schöne Idee. „Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts.“ Albert Einstein. Aber Stadtentwicklung, wie sie Julian Petrin seit einigen Jahren mit dem Bürger-Ideenforum „Nexthamburg“ organisiert, will mehr als nur relativ sein, sie will sich einmischen. An diesem Sonnabend spricht Petrin mit dem Architekten Volkwin Marg und dem Stadtforscher Dieter Läpple beim „Parlando Sommersalon“ über „Die Zukunft der Stadt“.
Hamburger Abendblatt: Hat das Konzept Stadt überhaupt eine Zukunft? Man könnte sich ja auch ans „Landlust“-Magazin kuscheln und auf die Scholle im Grünen wollen, anstatt mühsam die Stadt-Zukunft zu organisieren.
Julian Petrin: Die Stadt wird unsere Zukunft noch mehr prägen als heute. Der Zuzug hält weiter an, Städte werden weiter wachsen. Was wir mit „Landlust“ erleben, ist die logische Pendelbewegung. Durch die Zumutungen der Stadt entsteht der Wunsch nach Rückzug und Romantik. Aber das sind nur urbane Projektionen von Land. Das ist nicht die Einöde mit fiesem, konservativen Dorfmob, es ist so etwas wie das Chalet auf dem Lande. Ottensen mit Bäumen.
Einige lokale Stadtentwicklungs-Brennpunkte zur Bewertung im Schnelldurchlauf: Neue Mitte Altona?
Petrin: Daumen in der Mitte. Aber es wird etwas werden. Ob der Bahnhof verlegt wird, steht für mich in den Sternen. Meine Prognose: Die Bahn wird sich nach Stuttgart kein zweites Mal unkalkulierbare Mehrkosten antun.
Wilhelmsburg, unser Boomtownchen?
Petrin: Das wird weiter im Gespräch bleiben, mit seinen 50.000 Einwohnern. Vieles dort wird sich auch nicht gentrifizieren. Aber es wird nicht in Gänze das nächste Ottensen werden.
Brauchen wir die Seilbahn über die Elbe?
Petrin: Wir brauchen jedenfalls keine, die nur ein zwei Jahre stehendes Touristenattraktiönchen ist und für 9,50 Euro Menschen zu Musical-Zelten transportiert. Gebraucht wird sie höchstens, falls sie tatsächlich ein Verkehrsmittel ist. Aber die Elbe ist unsere Meeresküste, die überbrückt man nicht mit einer Seilbahn.
Es gibt womöglich genügend Leute in der Stadt, die finden, super, Touristenattraktion genügt doch.
Petrin: Nein, die Stimmung ist gegen stark dagegen, glaube ich. Viele fühlen sich schon jetzt sehr stark touristischen Belangen untergeordnet.
Die ESSO-Häuser: Kiezmuseum, Freiluft-Zoo oder weg damit?
Petrin: Ich meine, man muss versuchen, sie soweit es die Bausubstanz zulässt zu erhalten und so gut es geht in ihrem Geist umzubauen, auch mit der kulturellen Nutzungsvielfalt im Erdgeschoss. Dieser Baukörper ist fantastisch. Da könnte man enorm was draus machen – wenn klar ist, wie gut die Substanz erhaltbar ist. Wenn der Kiez zu einem Touristen- und Wohlfühlzoo wird, ist er tot. Da schneidet sich die Stadt auch ins eigene Fleisch. Man muss nur in die Nachbarschaft schauen: Ich finde ja auch gut, dass es Musicals auf dem Kiez gibt, aber bitte in einem etwas weniger provisorischen Bau, der wie Gütersloh aussieht.
Um mal grundsätzlich zu werden: Was ist von Ihrer Bürger-Ideenplattform Nexthamburg konkret erreicht worden, welch Ideen sind im Rohr verendet?
Petrin: Wir haben eine große Community aufgebaut, im Internet und bei Veranstaltungen. Wir wollen ja auch, dass wir eine Stimme sind in der Stadt. Und wir konnten eine Bürgervision für die Stadt entwickeln, aus der 35 Projekte hervorgegangen sind, an denen wir mit Bürgern jetzt gemeinsam weiterarbeiten. Und was die Bürger erarbeiten, ist durchaus nachgefragt. Die politischen Akteure wollen wissen, was die Bürger gedacht haben und daraus lernen. Wir haben aber noch keine verlässliche Schnittstelle zur Stadt. Mit dem Vorgängersenat hatten wir vereinbart, alle drei Monate als Art Anliegenbeförderer ein Projekt vorzustellen. Das konnten wir erst jetzt umsetzen, mit den Expertenchecks, die nächste Woche beginnen. Stadt zu verändern ist eben nichts, was man von heute auf morgen macht.
Einer dieser hartgesottenen Bürgerschaftsabgeordneten würde Sie für diese Einstellung und das Basteln von Luftschlössern höchstens müde belächeln.
Petrin: Soll er doch. Diese Ebene des gemeinsamen Denkens ist dringend notwendig, es ist eine Fahrlässigkeit, dass eine Stadt wie Hamburg sich kein eigenes Zukunftsforschungslabor leistet. Das wird weltweit gemacht, große Stiftungen und die Wirtschaft unternehmen so etwas überall.
Besonders beliebt können Sie bei der jeweiligen Regierung nicht sein. Denen geht schon die Opposition auf die Nerven, warum soll sie sich auch noch mit Besserwissern, Bedenkenträgern oder Senioren mit zu viel Freizeit abplagen?
Petrin: Das ist genau der große Fehler, der gemacht wird: Alles, was nicht im unmittelbaren politischen Verwertungszusammenhang steht, wird sofort vom Tisch gewischt. Hinter vielen Ideen stehen sehr ernsthafte Anliegen. Man muss den Dingen Raum geben. Aber die Stadt hat schon erkannt, dass wir auch eine Quelle für Erneuerungen sein können.
Ist Stadtplanung in einer Millionenstadt nicht zu komplex, um Amateure damit experimentieren zu lassen?
Petrin: Das Stichwort ist offene Innovation. Man kann vielschichtige Probleme ohne das Wissen derer, die sie ausbaden, kaum noch lösen kann. Man soll nicht glauben, dass Bürger nicht auch Übersichten haben.
Und sobald irgendwo konkret etwas passieren soll, steht sofort eine Initiative da, die protestiert und sagt: Nur über unsere Leichen.
Petrin: Weil diese Projekte ohne das Wissen über Befindlichkeiten vor Ort ausgeheckt werden.
Wie lang kann Hamburg es sich noch leisten, vor allem Hafenstadt zu sein?
Petrin: Wir müssen da viel breiter denken. Der Hafen spielt nach wie vor eine große Rolle, wird aber beileibe nicht so wachsen, wie sich die Wirtschaftsbehörde es sich wünscht. Was passiert eigentlich, wenn sich Warenströme verlagern? Kann der Hafen sich als territorial gedachte Einheit dann noch behaupten? Wir werden wahrscheinlich erleben, dass der Umschlag nicht wieder aus dem Quark kommt. Haben wir dann einen Strukturwandel vor der Nase? In anderen Bereichen sind wir viel zu schwach aufgestellt. Das Feld der Wissensökonomie ist hier völlig unterbelichtet.
Aber wir haben eine Universität hier. Sie gibt nur so gut wie keine Impulse.
Petrin: Hamburg befindet sich in einer Art Selbstzufriedenheits-Sekundenschlaf. Der Hafen hat geboomt, die Stadt ist als „Tatort“-Drehort beliebt. Aber genauer betrachtet, gibt es strukturelle Schwächen. Bei den Forschungsinstituten machen uns selbst Städte wie Nürnberg den Rang streitig.
Wissen rechnet sich eben nicht so einfach wie ein Container.
Petrin: Das stimmt nicht. Die Wertschöpfung aus dem Umschlag dort ist gar nicht so hoch. Warum machen wir das also? Wir verbrauchen in dem Bereich richtig viel Geld, anstatt die Universitäten vernünftig auszustatten. Die Unis sind für mich die Kaimauern von morgen. Doch wie zum Beispiel mit der HafenCity Universität umgegangen wird, mit einer Neugründung, die strahlen soll, das ist ein Trauerspiel.
Bis vor fünf Minuten dachte ich noch, wir würden in einer der tollsten Städte des Universums leben, jetzt bröselt mein Weltbild dramatisch.
Petrin: Hamburg ist ein Markt mit Eigendynamik, bei Life Science und Flugzeugbau sind wir gut dabei. Aber wir müssen aufpassen, dass wir wegen dieser Fixierung auf den Hafen in entscheidenden anderen Bereichen nicht den Anschluss verpassen. Und wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht das neue Düsseldorf werden.
Um Himmels Willen. Das heißt?
Petrin: Ökonomischer Erfolg schlägt alles andere. Das ist das Klischee von Düsseldorf. Der Werbefachmann Sebastian Turner sagte neulich so schön, Hamburg müsse aufpassen, nicht das Blankenese von Berlin zu werden. Dort hat man übrigens ungemein viel in die Wissenschaftslandschaft investiert.
Ist die Hamburger Kreativgesellschaft denn mehr als eine Mitwohnzentrale für Webdesigner?
Petrin: Das muss sich erweisen. Man kann Kreativität aber nicht allein durch eine Kreativgesellschaft befördern, das reicht einfach nicht.
Und wie sieht es mit der Kultur als Stadtentwickler aus?
Petrin: Diese Stadt ist eine Kaufmannsstadt, schon Heine hat beklagt: Huren genug, aber keine Musen. Kunst und Kultur sind hier Ergebnisse von Zufälligkeiten. Kultur ist immer dann gut gewesen, wenn sie sich als Schinken an der Wand im Reeder-Wohnzimmer gut macht. So sieht das Klischee aus. Es muss ein anderes Verständnis für die „weichen“ Standortfaktoren in dieser Stadt her.
Wie oft hat Nexthamburg schon aus dem Rathaus gehört: Vielen Dank für Ihren Tipp, das machen wir jetzt so?
Petrin: Das haben wir so noch nie gehört. Und wir sind uns sicher, dass wir dafür auch Allianzen außerhalb der Politik brauchen. Wer will sich denn schon wie bei einer Bürgeridee wie dem Hafenbasar die Finger an einem Streit mit der Port Authority verbrennen?
Was soll eine vierköpfige Familie mit all diesen Theorie-Debatten, die keine Chance, innerhalb der Stadtgrenzen bezahlbaren Wohnraum zu finden? Die ziehen ins Umland-Exil und versauen sich auch noch die C02-Bilanz als Pendler.
Petrin: Stadt ist nicht Dichte, sondern Nähe, und zwar von Widersprüchen. Wenn man eine Stadt entwickelt, muss man so etwas kultivieren. Man kann das aber nicht verordnen, in der Stadt wird das meiste über Privateigentum gesteuert. Man muss also die Rahmenbedingungen verändern, das Neu denken inspirieren. Das Wohnungsbauprogramm ist zwar sehr ehrgeizig, aber da entstehen dann wieder uniforme Wohnmilieus, die keine Vielfalt zu lassen. Die unter hohem Druck stehende HafenCity beispielsweise war gar nicht in der Lage, sich ihre Nischen zu erlauben. Die braucht es aber. Und der Oberhafen versucht es jetzt, ist im Grunde genommen aber ein Fremdkörper, der immer umzukippen droht, weil der Verwertungsdruck so hoch ist.
Dann ist es kein Zufall, wenn mir beim Thema Internationale Bauausstellung das Bild vom Potemkischen Dorf durch den Hinterkopf spukt?
Petrin: Das finde ich deutlich zu einseitig. Die IBA hat wahnsinnig viel Gutes bewirkt. Was sie allein im Bereich Bildung bewegt hat, ist deutschlandweit vorzeigenswert.
Eine Bauausstellung, die mit Bildungs- Konzepten punktet? Skurril.
Petrin: Die Vorzeigeprojekte der IBA, bis auf das „Tor zur Welt“, sind eben nicht im gebauten Bereich. Im Grunde genommen ist es ein Fluch für die IBA, dass sie noch Bauausstellung heißt. Sie müsste eigentlich Internationale Stadtentwicklungsausstellung heißen.
Hat sich Hamburg in den letzten Jahren als Stadt tatsächlich entwickelt – oder nur verändert?
Petrin: Veränderung ist für mich immer Entwicklung. In Wim Wenders’ „Der amerikanische Freund“ sieht man das Hamburg der späten 70er, das war eine graue, bleierne Stadt. Ein schlafender Riese. Damit verglichen, gab es enorme Veränderungen.
Diskussion: 15.6., 18.30 Uhr, Bucerius Law School, Raum 1.11. „Die Zukunft der Stadt“. Mit Julian Petrin, Dieter Läpple und Volkwin Marg. Infos: www.Nexthamburg.de. Infos zum Sommersalon: www.salon-parlando.de