Ob Dengue- oder Hanta-Viren: In Hamburg wird zu tödlichen Erregern aus der ganzen Welt geforscht. Wie ticken Viren und wer leidet daran?
Hamburg. Eine Pappschachtel mit der Aufschrift „Süsse Post Box“ steht auf dem Labortisch von Steffie Bernhöft im Bernhard-Nocht-Institut (BNI) für Tropenmedizin in Hamburg. Doch in dem Karton verbergen sich keine Pralinen – es handelt sich um Blut-, Urin- oder Stuhlproben von Patienten, die sich womöglich auf einer Reise mit Viren oder anderen Erregern angesteckt haben. „Die Firma Süsse Labortechnik stellt die Kartons für biologische Stoffe her“, sagt Bernhöft. Daher also der etwas irreführende Name.
Bernhöfts Arbeitsplatz sieht nach einem ganz normalen Labor aus - mit Reagenzgläsern, Computern, Testgeräten und Pipetten. Doch der Blick aus dem Fenster ist beeindruckend. Die rund 230 Mitarbeiter des BNI überblicken die Landungsbrücken und den Hamburger Hafen. Das Tor zu jener Welt, deren Krankheitserreger die Menschheit in Atem halten können. Forscher vom BNI waren beispielsweise entscheidend an der Diagnostik der Coronaviren beteiligt, die im Jahr 2003 vor allem in Asien die lebensgefährliche Lungenerkrankung Sars auslösten. Oder an der Untersuchung des Usutu-Erregers, der in den vergangenen zwei Jahren ein massenhaftes Amsel-Sterben in Deutschland ausgelöst hat.
„Durchschnittlich 50 bis 60 Proben am Tag erhalten wir aus ganz Deutschland. Damit machen wir verschiedene Tests. Manchmal sind es auch um die 100 Proben“, sagt Bernhöft. Die biologisch-technische Assistentin (BTA) teilt die Körperflüssigkeiten mit Pipetten in verschiedene Röhrchen auf, versieht sie mit einem Barcode und erfasst sie mit einem Scanner wie in einem Supermarkt.
Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Virusdiagnostik am BNI, erläutert: „Die Zahl der Proben pro Tag ist im Vergleich zu anderen Labors wirklich gering.“ Aber für die meisten der untersuchten Viren und anderen Krankheitserreger gebe es keine käuflichen Testsysteme, bei denen die Proben einfach in ein Gerät gestellt würden. Zwar gibt es teure Apparate, mit denen sich etwa das Erbgut von Erregern vervielfältigen lässt. Aber: „Die meistens Tests sind aufwendig, und unsere Mitarbeiter machen viel von Hand.“
Derzeit kommt viel Post von Ärzten an, die bei ihren Patienten eine Ansteckung mit Hantaviren vermuten. „Es gibt verschiedene Typen, die durch die Exkremente von Mäusen übertragen werden. Die Viren können zum Beispiel über Staub am Boden eingeatmet werden, der mit Nagetierkot verunreinigt ist“, sagt Schmidt-Chanasit.
Zuletzt hatten die Viren Schlagzeilen gemacht, weil eine Variante einigen Besuchern des Yosemite-Nationalparks in Kalifornien das Leben gekostet hatte. „Bei diesen Hantaviren handelt es sich um das Sin-Nombre-Virus – „das Virus ohne Namen“ - das bei uns zum Glück nicht vorkommt. Überträger sind vor allem Hirschmäuse“, so der Virologe.
Doch Hantaviren gibt es auch in Deutschland, etwa das Puumala-Virus, Überträger sind Rötelmäuse. In diesem Jahr wurden so viele Puumala-Virus-Infektionen registriert wie noch in keinem Jahr zuvor, unter anderem in Baden-Württemberg. Typische Symptome ähneln einer Grippe mit Muskel- und Gliederschmerzen und Fieber, bei einem Großteil der Betroffenen verläuft die Infektion jedoch unbemerkt.
Im Nachbarlabor spült Schmidt-Chanasit mit einem feinen Schlauch eine Wanne mit zehn Streifen aus. „Das sind Teststreifen für Hantaviren, wir können damit Antikörper nachweisen.“ Auf ihnen befinden sich Bestandteile der Viren (Antigene). Sie werden mit verdünntem Patientenserum beträufelt und mehrfach mit Wasser gespült. Der Virologe stellt die Wanne danach auf ein Gerät, das aussieht wie eine Küchenwaage. Darauf wird die Wanne bis zum nächsten Waschgang sanft hin und her geschaukelt. Nach einigen Stunden ist das Ergebnis da: Ähnlich wie bei einem positiven Schwangerschaftstest tauchen farbige Banden auf, wenn der Patient Antikörper im Blut hat.
Ein Labor weiter untersucht der medizinisch-technische Assistent Marcus Gräber-Gerberding Patientenblut auf Dengue-Antikörper. Die vier unterschiedlichen Dengue-Virustypen werden durch den Stich von Aedes-Mücken übertragen und breiten sich weltweit aus. Die Weltgesundheitsorganisation geht von 100 Millionen Neuinfektionen pro Jahr aus. Symptome sind hohes Fieber mit Kopf- und Gliederschmerzen.
Einen käuflichen Antikörper-Test für Dengue gibt es nicht. Daher arbeitet Gräber-Gerberding mit typischen Objektträgern – kleinen Plättchen, die so ähnlich auch im Biologie-Unterricht verwendet werden. Auf diesen sind zwölf kleine Vertiefungen zu sehen, auf die der er mit Dengueviren infizierte Zellen aufgetropft hat.
„Die Dengueviren stammen aus unserem Bestand, wir haben sie selbst im Labor vermehrt.“ Nun gibt er das verdünnte Serum von Patienten auf den Objektträger. „Wenn sich Antikörper im Blut des Patienten befinden, dann leuchten die Zellen unter einem Fluoreszenzmikroskop grünlich“, erklärt Gräber-Gerberding. Indirekter Immunfluoreszenz-Test nennt sich dieses Verfahren.
Haben Schmidt-Chanasit und Kollegen keine Angst vor Ansteckung? Schmidt-Chanasit verneint. Außerhalb der Sicherheitslabors tragen die BNI-Mitarbeiter weiße Schutzkittel über der Kleidung und lila Handschuhe, die extra reißfest sind. „Kommen wirklich brenzlige Proben, etwa von Patienten mit Verdacht auf Ebola- oder Marburg-Viren, dann werden sie auf dem Notruf-Telefon angekündigt und in silbernen Koffern sofort in ein Sicherheitslabor gebracht“, erklärt Schmidt-Chanasit. Diese Viren lösen sogenannte hämorrhagische Fieber aus, sind lebensgefährlich und hochansteckend.
Im S3-Sicherheitslabor ein Stockwerk höher werden die Proben eine Stunde lang mit Hitze behandelt und möglicherweise vorhandene Krankheitserreger so „inaktiviert“. „Dadurch können wir die Viren oder Antikörper immer noch nachweisen, aber es kann sich niemand mehr anstecken.“
Wer Schmidt-Chanasit durch das Gebäude folgt und nicht richtig aufpasst, findet den Weg nicht zurück – so verschachtelt sind die vielen Gänge und Treppenhäuser des roten Klinkerbaus. Das Gebäude ist eine Melange aus Alt und Neu. Großzügige, moderne Treppenfluchten in dem Neubau, gelbliche Flure mit engeren Treppen in dem alten Teil.
Für den gebürtigen Berliner Schmidt-Chanasit ist das Gebäude nicht nur der Arbeitsplatz, sondern auch sein Zuhause: Im obersten Stock bewohnt er unter der Woche ein kleines Appartement. Er pendelt regelmäßig nach Berlin, wo seine Familie wohnt.
Ursprünglich entstand das heutige Gebäude des BNI vor rund 100 Jahren. Während des Zweiten Weltkrieges wurde es zerstört und danach wieder aufgebaut. Bis 2006 beherbergte das Haus auch Krankenstationen, in denen Patienten mit HIV/Aids, Malaria und anderen tropischen Erkrankungen behandelt wurden. Im BNI gibt es heute noch eine Ambulanz, in der sich Reisende beispielsweise in Sachen Impfungen beraten lassen.
Zuletzt kam ein Neubau mit Laboren hinzu, die zu den sichersten der Welt gehören. Diese Sicherheitsstufe wird mit „S4“ abgekürzt. „Dort forschen wir beispielsweise an lebenden Viren“, sagt Schmidt-Chanasit. Außerdem gibt es ein „Insektarium“, in dem mit Viren infizierte Mücken untersucht werden. Die Räumlichkeiten sind mit mehreren Schleusen und einer speziellen Luftversorgung gesichert, die Wissenschaftler arbeiten in Schutzanzügen.
Diagnostik-Leiter Schmidt-Chanasit sitzt in einem kleinen, komplett dunklen Kämmerchen vor dem Mikroskop, um die Objektträger mit dem Antikörper-Test auf Dengue anzugucken. „Wir haben das Vier-Augen-Prinzip. Es überprüfen immer zwei Wissenschaftler die Tests“, sagt er. „Wollen Sie mal schauen?“ Ein Blick ins Mikroskop zeigt: Ein Teil der Zellen leuchtet grün. Der Test ist positiv.