Hamburg. 2000 Polizisten sind der Einladung des Abendblatts in die Elbphilharmonie gefolgt. Innenminister de Maizière begrüßte die Gäste.
Als Falk S. (34), Oberkommissar im PK 44 in Wilhelmsburg am vergangenen Freitagabend zum Schutz der illustren G 20-Gipfelgäste abkommandiert war, die in Hamburgs neuem Wahrzeichen zu Abend speisten und Beethovens 9. Symphonie lauschten, trug er eine 22 Kilogramm schwere Ausrüstung. Sie setzte sich zusammen aus flammenabweisender Unterwäsche, Sicherheitsschuhen, Arm- und Beinprotektoren, Körperpanzer und Genitalschutz, verstärkten Handschuhen und einen Helm; dazu kamen eine Pistole, Handschellen, der Schlagstock und ein Funkgerät. Er erinnerte an einen „Robocop“, doch im realen Leben biete auch die Rüstung keine hundertprozentige Sicherheit, sagt er, 476 Kollegen seien ja auch in Ausübung ihres Dienstes am Gipfelwochenende verletzt worden.
Sechs Tage nach dem Einsatz ist er schon wieder hier. Aber diesmal als Konzertbesucher, gemeinsam mit seiner Frau Linda. Er trägt einen grauen Anzug, das ist nicht nur bequemer, sondern jetzt sieht man, wer in den martialisch anmutenden Uniformen gesteckt hat; ganz normale Menschen, die nun erwartungsfroh per Rolltreppe zur Plaza des Konzertgebäudes hinauffahren. „So kommen wir zum ersten Mal in die Elbphilharmonie“, sagt Falk S. Aber er weiß, dass der Preis fürs Ticket hoch ist. „Die enormen Strapazen, physisch wie psychisch, wird man so schnell nicht wieder erleben. Dieser Einsatz wird vermutlich immer präsent bleiben“, sagt sein Kollege Michael Mannigel (34), Hamburger Polizeikommissar, während des Gipfels eingesetzt bei der Alarmbereitschaft.
"Die Aktion ist extrem gut angekommen", sagt eine Polizeisprecherin
„Wir haben die 2000 Tickets nach Angaben der Einsatzleiter verteilt – also möglichst wenig Leute aus der Teppichetage“, sagt Polizeisprecherin Christiane Leven. „Die Aktion ist extrem gut angekommen, aber viele Kolleginnen und Kollegen sind natürlich auch traurig, dass sie heute Abend nicht dabei sein können.“
„Es ist sehr selten geworden, dass mal jemand ‚Danke‘ sagt – in so einer Form, habe ich das aber noch nicht annähernd erlebt“, sagt Henrik Fildebrandt (27), Polizeimeister bei der Polizei Hamburg. Er hat seine Mutter mitgenommen. Sabine Kiehn (52) hat beim Einsatz ihres Sohnes stundenlang die Bilder aus der Schanze im Fernsehen verfolgt und auf Nachrichten gewartet. „Ist das mein Sohn da unter dem Helm? Es war, als ob ich ihn in den Krieg geschickt hatte.“ Eine Mutter denkt so.
Diese Beamten sind drei von eingeladenen 1000 Polizistinnen und Polizisten (von insgesamt mehr als 20.000 Beamten aus ganz Deutschland und den Nachbarländern), die während des gewaltsamen Ausnahmezustands, der die Inhalte des vergangenen G20-Gipfels überlagerte, im wahrsten Sinne des Wortes die Rübe hingehalten haben.
"Freitagnacht habe ich gedacht: Die wollen uns da doch nicht etwa reinschicken?"
Aber so sehen sie in echt aus, die vermeintlichen „Bastards“. Tatsächlich sind es bloß Menschen mit Ecken und Kanten und bestimmt auch mit der einen oder anderen Schwäche; Menschen, die sich für den heutigen Besuch in der Elbphilharmonie schick gemacht haben; einige Ältere tragen die Ausgehuniform; viele Polizistinnen sind kniefrei auf High-Heels. Eltern sind darunter oder Singles, FC St.Pauli-Fans oder Anhänger des HSV, Vegetarier, Hetero- und Homosexuelle, Umweltschützer, Gewerkschafter, Christen, Muslime und Atheisten – was auch immer. Vor allem aber sind es mündige Bürgerinnen und Bürger, die keineswegs mit allem einverstanden sind, „was die da oben“ beschließen: „Freitagnacht habe ich in der Schanze gedacht: Die wollen uns da doch nicht etwa reinschicken?“, sagt ein Polizeimeister, den am Schulterblatt ein Stein in die Kniekehle getroffen hatte. Es gehe schon wieder, sagt er lächelnd, die Hautabschürfungen schmerzten mehr.
An diesem Abend wird es für alle Anwesenden jedoch nur was auf die Ohren geben – auf Initiative des Hamburger Pianisten Sebastian Knauer, der in Rekordzeit weitere Künstlerkollegen zur Teilnahme an diesem spontanen Konzert animieren konnte: den Luxemburgischen Jazzer Pascal Schumacher sowie Musiker des Zürcher Kammerorchesters und der Symphoniker Hamburg. Alle treten ohne Gage auf, und fordern „Respekt!“.
„Respekt“: Ein Konzert zum Dank an die Polizei
Es ist die Charaktereigenschaft, die während des G20-Gipfels total auf der Strecke blieb. Man könnte also auch vom Versuch einer musikalischen Wiedergutmachung sprechen – von einer Solidaritätsbekundung nach Noten. Um 20 Uhr erlöschen die Lichter im Großen Saal. Das Gemurmel ebbt ab, das Konzert beginnt mit einem Werk des deutschen Komponisten Samuel Scheidt (1587–1654). Es trägt bezeichnenderweise den Titel „La Battaglia“ – „Die Schlacht“, gefolgt von einem der bekanntesten Werke Johann Sebastian Bachs, „Air“ aus der dritten Orchestersuite. Danach begrüßt Lars Haider, Chefredakteur des gastgebenden Hamburger Abendblatts, die Gäste: „Sie haben für die Freie und Hansestadt Hamburg, für Freiheit und Demokratie ihre Köpfe hingehalten. Heute aber gehört die Elbphilharmonie der Hamburger Polizei – und das ist einfach nur großartig.“
Der Innenminister hatte für das Konzert seine Reisepläne geändert
Als zweiter Redner nimmt der Erste Bürgermeister das Mikrofon in die Hand. Er bescheinigt allen Polizisten einen „heldenhaften Einsatz, aus vollem Herzen“. Und deshalb habe der Gipfel ja auch geklappt, „wenn auch leider nicht ganz so wie vorausgesehen“, sagt Olaf Scholz, bevor Innenminister Thomas de Maizière das Wort ergreift: Er bestellt die Grüße und den Dank der gesamten Bundesregierung – auch für „die Missachtung der europäischen Arbeitsrichtlinien. Die Angehörigen bangen immer mit. Heute sind Sie die Staatsgäste – und bitte fühlen Sie sich auch so!“ Der Innenminister hatte eigens für diesen Abend seine Reisepläne geändert und war direkt aus Paris gekommen.
Die Ansprachen an diesem Abend sind bewusst kurzgehalten, doch der Applaus der Konzertgäste klingt lange nach – auch für den Ersten Bürgermeiter. Dankesworte tun natürlich immer gut, aber es ist ja so viel gesagt worden in den letzten Tagen, im Grunde alles, und Musik kann nun mal das limbische System im Gehirn, das für Gefühl zuständig ist, intensiver anregen, als es die Sprache vermag. Musik löst automatisch Emotionen aus, sie kann angenehme Gänsehaut beim Zuhörer verursachen und nicht zuletzt auch Balsam für die Seele sein.
Wie verarbeitet ein Mensch solch extreme Erlebnisse und Erfahrungen? Kann das Klavierkonzert in D-Moll von Johann Sebastian Bach dabei hilfreich sein? Oder die einfühlsame Komposition "Über Bach" von Arash Safaian? Dass es während der Krawalle keine Toten gab, war einerseits dem Glück, andererseits eben auch der Besonnenheit der Polizei zu verdanken. Der „Schusswaffengebrauch“ war schließlich freigegeben, aber niemand verlor die Nerven – es wurden nur einige Türschlösser aufgeschossen, mit Spezialmunition.
Das Konzert wird von den Gästen als echte Geste der Dankbarkeit empfunden
In den vergangenen Tagen konnten wir jedoch auch einige Stimmen in den Medien, besonders in den sozialen Netzwerken, vernehmen, die an die extrem gewalttätige Anti-Atomkraft-Demonstration 1981 in Brokdorf erinnerten, an die Proteste gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens im Jahre 1987, als zwei Polizisten von einem Autonomen erschossen wurden oder an die Demo gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt im März 2015 („Blockupy“) mit mehr als 600 Festnahmen und mehreren abgefackelten Einsatzfahrzeugen der Polizei. Auch die alljährlich wiederkehrenden Krawalle am 1. Mai in der Schanze, wurde behauptet, hätten sich von der „Gewalt der jüngsten G20-Randale“ so gut wie gar nicht unterschieden. Falk S. aus Wilhelmsburg schüttelt seinen Kopf: „Die Militanz neben dem Gipfel war deutlich höher.“
Das Solidaritäts-Konzert, das nach einem weiteren Ausflug in die musikalische Welt von Johann Sebastian Bach gegen 22 Uhr ausklingt, wird von den Konzertgästen wirklich als dankbare Geste empfunden; als eins der zahlreichen Signale für die Verbundenheit der Hamburger mit dem ausführenden Organ der Staatsgewalt, die ein wenig abhandengekommen war: Bis vor ein paar Jahren konnten beispielsweise die Beamten der Davidwache am Wochenende auf dem Kiez noch zu zweit auf Streife gehen. Heute rücken sie mit mindestens sechs bis acht Beamten ins Partygetümmel aus – warum wohl? „Weil die Gewaltbereitschaft eklatant gestiegen und die Anerkennung für unseren Polizistenjob gleichzeitig gesunken ist“, sagt Falk S.. Das ist auch ein Grund, warum viele Polizisten ihren ganzen Namen nicht in der Zeitung sehen wollen.
Vielleicht ein Schritt zu mehr gegenseitigem Respekt
Jetzt schämen sich die weltoffenen, liberalen, demokratisch gesinnten Hamburger. Stellvertretend für all die geistigen Brandstifter, die professionellen Demokratieverächter in Schwarz und ihre unpolitischen Mitläufer in Designerklamotten mit Dosenbier in der einen und Pflasterstein in der anderen Hand.
Doch ganz gleich, ob der Applaus von friedlichen Gipfelgegnern kam, als eine erschöpfte Hundertschaft demonstrativ ihre Helme abnahm; ob es Blumensträußchen waren oder eben dieser harmonische Konzertabend in der Elbphilharmonie: Gerade diese schockierenden Ereignisse, die sich am Wochenende auf einigen Straßen Hamburgs abspielten, könnten im Nachhinein vielleicht dazu beitragen, dass wieder mehr Respekt, Anstand und Zusammengehörigkeitsgefühl in den Alltag zurückfinden. Vom Freund und Helfer zum Prügelknaben ist es ja nur ein kleiner Schritt. Vom „Bullen“ zum geprügelten Hund aber auch.