Hamburg. Zwischen der ersten Idee am Sonnabend und der ersten Note am Donnerstag in der Elbphilharmonie lagen nur 100 Stunden.
Zehn Jahre dauerte es, die Elbphilharmonie fertigzustellen. Lässt sich dann ein Konzert im Großen Saal in 100 Stunden organisieren? Ausgeschlossen, werden alle Experten sagen. Und haben damit im Normalfall recht. Aber weil nicht normal war, was am Wochenende in Hamburg passierte, und niemals normal werden darf, musste diese Stadt das Gegenteil beweisen: Von der Idee bis zur ersten Note in 100 Stunden – vielleicht schafft auch das nur Hamburg.
Eigentlich wollte der renommierte Pianist Sebastian Knauer nur seinen Frust von der Seele schreiben über die Gewaltexzesse der G20-Gegner. „Solltest Du meine Stimme brauchen, ich äußere mich gerne und sehr offen. Vielleicht eine Art offener Brief“, simste der Hamburger am Sonnabend an ein Mitglied der Chefredaktion. Stimmen, gerade offene, sind dieser Tage nötiger denn je. Aber Aufsätze und Kommentare waren schon viele geschrieben, also wuchs eine Idee. Das Solo aus der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven, das am vergangenen Freitag erklang, als Aufforderung: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere. Freude!“
Wo kurz zuvor noch Trump und Putin saßen, sollen nun die Polizisten sitzen
An dem Ort, wo kurz zuvor noch Donald Trump, Angela Merkel, Wladimir Putin und Emmanuel Macron saßen, sollten die Männer und Frauen sitzen, die den Gipfel schützen mussten – und bedroht, beschimpft und bepöbelt wurden. So ging die SMS an Sebastian Knauer: „Wie wäre denn ein Elphi-Konzert für Polizisten und Opfer? Du am Flügel?“ Die Antwort kam sofort: „Yes!!! Vom Abendblatt präsentiert ... wollen wir mal telefonieren?“ Zwei weitere SMS und das Wunder von Hamburg nahm seinen Lauf. Kultursenator Carsten Brosda meldete sich noch am Sonntag und setzte den Termin. Infrage kam nur der 13. Juli, der erste Tag der Schließzeit. Danach wären die Mitarbeiter im Urlaub und es begännen Reparaturarbeiten. „Wäre das für das Abendblatt überhaupt so kurzfristig machbar?“, lautete die Frage an alle.
„Respekt“: Ein Konzert zum Dank an die Polizei
Es ist, dank der Hilfe vieler Hamburger. Jochen Margedant, Projektleiter Elbphilharmonie, übernahm, und viele Kollegen im Konzerthaus verlängerten ihr arbeitsreiches Jahr um einen Tag und halfen. Margedant organisierte als Mitglied des Vorstands der Stiftung Elbphilharmonie großzügige Spenden, die Abendblatt-Kollegen aus der Abteilung Marketing und Events planten. Und mehrere Hamburger meldeten sich: „Ich möchte nicht genannt werden, aber spende gern 5000 Euro“, hieß es zum Beispiel.
Das Konzert heißt "Respekt!", ein Appell an die Gesellschaft
Sebastian Knauer holte andere Musiker ins Boot, den Luxemburger Pascal Schumacher und ein extra für diesen Abend zusammengestelltes Orchester. Musiker des Zürcher Kammerorchesters und Mitglieder der Symphoniker Hamburg haben sich spontan zusammengeschlossen, um für die gute Sache aufzutreten. Das Konzert heißt „Respekt!“ Respekt für den Einsatz der Beamten, aber auch der Appell an die Gesellschaft, Respekt zu üben.
Auch für die Kosten des Orchesters sprangen Sponsoren ein: Das Westin spendiert die Hotelzimmer, die Berenberg Bank übernimmt die Reisekosten, Hansa-Taxi spontan die Fahrtkosten der Zürcher. Weitere großzügige Spenden gingen ein. Das ist Hamburg.
Eine Botschaft von Hamburg an die Welt: Wir können auch anders
Ein wohlklingendes Wunder. Den Abend eröffnet um 20 Uhr ein Werk von Samuel Scheidt („Galliard Battaglia“), danach folgen zwei Stücke von Johann Sebastian Bach, „Air“ aus der 3. Orchestersuite D-Dur und das Klavierkonzert d-Moll. Nach der Pause erklingt der deutsch-iranische Komponist Arash Safaian mit „Über Bach“, vier Konzerte für Klavier, Vibrafon und Streicher.
Und über die Musik sendet Hamburg eine Botschaft in die Welt: Wir können auch anders. Respekt!