Hamburg. Rücksicht auf Sorgen von Eltern. Budni will gefährdete Filialen sichern. Hermes schränkt Paketauslieferung ein.

Die Hamburger Schulbehörde reagiert offenbar auf die Sorgen vieler Eltern vor dem G20-Gipfel im Juli. Auch einige Schulen, die nicht in der Nähe der Sicherheitszone um die Messehallen liegen, haben den Eltern freigestellt, ihre Kinder bei Sicherheitsbedenken zu Hause zu lassen.

So steht in einer Mail des Gymnasiums Hoheluft in Eimsbüttel, dass es den Eltern möglich sei, „einen Freistellungsantrag zu stellen“. Weiter heißt es: „Gehen Sie davon aus, dass wir deutlich wohlwollend prüfen.“ Im Schreiben eines anderen Gymnasiums außerhalb der Sicherheitszone wird den Eltern geraten: „Sie müssen Ihr Kind ... frühzeitig bei den Klassenlehrern oder Tutoren entschuldigen, dürfen aber auch kurzfristig entscheiden und morgens das Sekretariat benachrichtigen.“ Auch den Eltern einer Eimsbütteler Grundschule überlässt die Schulbehörde die Entscheidung, ob sie am Freitag, 7. Juli, ihre Kinder in die Schule schicken oder nicht.

Unterricht findet statt

Grundsätzlich gilt aber: Der Unterricht findet statt. Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde: „Eltern können ihr Kind mit einer Begründung am Tag des Gipfels in der Schule abmelden, wenn dem Schulbesuch unüberwind­bare Hindernisse entgegenstehen.“ Diese müssen im Zusammenhang mit dem Gipfelgeschehen stehen.

Unterdessen reagieren immer mehr Hamburger Firmen auf die besondere Lage beim G20-Treffen. Einigen Bankangestellten in der Innenstadt wurde nach Abendblatt-Informationen empfohlen, in legerer Freizeitkleidung zur Arbeit zu kommen – wohl, um G20- bzw. Kapitalismusgegner nicht unnötig zu provozieren.

Polizei präsentiert Gefangenensammelstelle in Harburg:

Polizei präsentiert Gefangenensammelstelle in Harburg

Der Eingang der für den G20-Gipfel errichteten Gefangenensammelstelle ist  in Hamburg im Stadtteil Neuland mit Stacheldraht umgeben
Der Eingang der für den G20-Gipfel errichteten Gefangenensammelstelle ist in Hamburg im Stadtteil Neuland mit Stacheldraht umgeben © dpa | Axel Heimken
Bei der Sammelstelle handelt es sich um eine temporär betriebene Einrichtung auf dem Gelände eines ehemaligen Großmarktes, im Stadtteil Neuland
Bei der Sammelstelle handelt es sich um eine temporär betriebene Einrichtung auf dem Gelände eines ehemaligen Großmarktes, im Stadtteil Neuland © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
Dort sollen während des G20-Gipfels in Gewahrsam genommene oder vorläufig festgenommene Personen bis zu einer richterlichen Entscheidung verwahrt werden
Dort sollen während des G20-Gipfels in Gewahrsam genommene oder vorläufig festgenommene Personen bis zu einer richterlichen Entscheidung verwahrt werden © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
Türen zu den Zellen stehen in der Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel an der Schlachthofstra§e in Harburg offen
Türen zu den Zellen stehen in der Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel an der Schlachthofstra§e in Harburg offen © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
Die Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel an der Schlachthofstra§e in Harburg
Die Gefangenensammelstelle für den G20-Gipfel an der Schlachthofstra§e in Harburg © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
Arbeitsplätze in der Gefangenensammelstelle
Arbeitsplätze in der Gefangenensammelstelle © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
Die zentrale Gefangenensammelstelle für den G20 Gipfel im ehemaligen Fegro-Markt an der Schlachthofstra§e in Harburg
Die zentrale Gefangenensammelstelle für den G20 Gipfel im ehemaligen Fegro-Markt an der Schlachthofstra§e in Harburg © Andre Zand-Vakili | Andre Zand-Vakili
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Die Drogeriemarkt-Kette Budni teilte mit, Filialen, die in der Nähe von Sicherheitszonen liegen, würden „durch bauliche Maßnahmen geschützt“. Auch zeitweilige Schließungen seien nicht ausgeschlossen.

Aus Sorge vor Verkehrsproblemen gab der Paketdienst Hermes, dessen Zentrale in Langenhorn fern der sensiblen Zonen liegt, den 1200 Beschäftigten die Möglichkeit, beim Gipfel ins Homeoffice zu wechseln. Die Paketauslieferung in der City läuft an beiden Tagen eingeschränkt oder gar nicht.

Der Verlag Gruner + Jahr mit Büros nahe der Elbphilharmonie gewährt den 2000 Beschäftigten am 7. Juli einen Tag bezahlten Sonderurlaub.

PRO & KONTRA

Angst vor dem G20-Gipfel? Mehr Gelassenheit, bitte!

Zugegeben: Keiner weiß, was in den Julitagen beim G20-Gipfel passiert. Keiner kann versprechen, dass alles glatt verläuft. Und ja, natürlich darf man sich Sorgen machen. Man muss es aber nicht. Angekündigte Katastrophen sind bislang stets ausgeblieben, Organisatoren und Polizei scheinen gut vorbereitet. Hamburg erlebt im Juli, was in einer Demokratie möglich sein muss: einen Gipfel von Staatsoberhäuptern und zugleich ein Treffen der Gegner. Für wenige Stunden ist Hamburg das, was die Stadt stets vorgab zu sein: Weltstadt.

Während die Infrastruktur den Gipfel ohne Probleme stemmt, wächst bei vielen Hamburgern die Nervosität, die sich mitunter zur Hysterie steigert. Verstärkt durch autonome Wirrköpfe, aufgeregte Medien sowie Panikräume und Echokammern in sozialen Netzwerken, gerät aus dem Blick, worum es bei dem G20-Gipfel eigentlich geht. Die halbe Stadt diskutiert nur noch, was in Hamburg bald (angeblich) nicht mehr geht.

Eltern fürchten um das Wohl ihrer Kinder und möchten sie nicht zur Schule schicken; Firmen geben G20-frei. Sogar Medienhäuser wie Gruner + Jahr, die man einstmals für Bastionen der Aufklärung hielt, geben ihren Beschäftigten Sonderurlaub. Einer Umfrage des Abendblatts zufolge erwägt ein Drittel der Hamburger gar, zum Gipfel die Stadt zu verlassen. Gelassenheit sieht anders aus. Natürlich bleibt auch bei 20.000 Polizisten ein Restrisiko; aber dieses Restrisiko gilt jeden Tag im Haushalt, im Urlaub, im Straßenverkehr. Vermutlich ist es gefährlicher, sich ins Auto zu setzen und Hamburg den Rücken zu kehren, als einfach hierzubleiben. Selbst der Rote-Flora-Sprecher bremst nun die hochschießenden Emotionen: „Hamburg wird noch stehen.“

Eine aufgeklärte, demokratische Stadt sollte etwas souveräner und gelassener mit dem Gipfel umgehen – unabhängig von der Weltsicht: Die Befürworter des Gipfels dürfen stolze Gastgeber sein und hoffen, dass hier Geschichte gemacht wird und Staatschefs zueinanderfinden; die Gegner dürfen demons­trieren und sich über Zehntausende Gleichgesinnte freuen. Nie war Hamburg so politisch wie in diesen Tagen! Und wir empören uns über Verkehrsbehinderungen, als gäbe es sie nur zu G20?

Unser Leben normal weiterzuleben wäre ein demokratisches Statement. Ist Hamburg eine offene Metropole – oder ein ängstliches Krähwinkel? Matthias Iken


Sorge ist noch lange keine Hysterie

Nicht „Müssen wir uns Sorgen machen?“, sondern „Dürfen wir uns Sorgen machen?“ lautet hier die Frage. Feiner Unterschied. Es geht eben nicht um Panikmache, sondern um den Wunsch nach Respekt. Es ist richtig und vernünftig, wenn Politik, Medien und Polizei über reales Risiko aufklären. Es ist auch richtig und mehr als vernünftig, Angst nicht den Alltag bestimmen zu lassen. Es ist richtig und nötig, für Mut und gelebte Freiheit offensiv zu werben. Es ist aber falsch, das mit einer hochmütigen Anspruchshaltung zu verknüpfen.

„Ist Mutigsein jetzt Bürgerpflicht?“, hat Frank Plasberg in seiner letzten Sendung gefragt. Und wahrscheinlich müsste die Antwort darauf tatsächlich lauten: Ja! Wenn nicht jetzt mutig sein – wann dann? Wenn nicht jetzt der Welt trotzig zeigen, dass wir uns in unserer Freiheit nicht einschränken lassen wollen – wann dann? Aber Mut und Sorge widersprechen sich nicht. Im Gegenteil: Wer mutig ist, ist nicht gleichgültig. Der macht sich Gedanken. Und Sorge ist noch keine Hysterie. Zu behaupten, es sei unsouverän, gar „typisch Hamburger Kleingeist“, wenn man sich sorgt, finde ich – bei diesem Thema – überheblich.

Maike Schiller
leitet das
Kulturressort
Maike Schiller leitet das Kulturressort © Ha | Marcelo Hernandez

Schon immer waren politische Großevents wie G7- oder G20-Gipfel Hochsicherheitsveranstaltungen. Man hatte mit Demonstrationen und militanten Aktionen zu rechnen, es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Gipfel-Gegnern und Polizei. Klar: Je mehr Menschen für ihre Anliegen friedlich protestieren, desto kleiner wird der Anteil jener, die Hass und Zerstörungswut treibt. Dass dieser Gipfel aber in eine Zeit fällt, in der europäische Metropolen zusätzlich regelmäßig Schauplatz von Terrorangriffen werden, die das persönliche Sicherheitsempfinden erschüttern, macht es nicht leichter, eine Bedrohungslage auszublenden.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Dass große Hamburger Unternehmen wie Beiersdorf ihre Mitarbeiter ermutigen, in Homeoffices zu arbeiten, ist weder Panikmache noch Symbol der völligen Preisgabe all unserer Gelassenheit – ebenso wenig wie die Entscheidung einiger, die Innenstadt für ein verlängertes Wochenende zu verlassen. Es ist, denkt man an die zu erwartenden Verkehrsbehinderungen, schlicht Pragmatismus. Von mir aus auch, wenn es denn an dieser Stelle zwingend eine hanseatische Tugend sein soll, norddeutscher Pragmatismus. Maike Schiller