Hamburg. Die Polizei richtet in Harburg eine Gefangenensammelstelle für 400 Menschen ein. Was Festgenommene in dem früheren Großmarkt erwartet.

Der ehemalige Lebensmittelgroßmarkt an der Schlachthofstraße in Harburg ist gesichert wie eine Festung. Dem Zaun ist der berüchtigte Nato-Draht aufgesetzt. Ein Wachmann öffnet das schwere Tor der Hauptzufahrt des ehemaligen Fegro-Markts. Vor der Halle ist eine erste Reihe von zehn Containern aufgebaut. Hier werden die Festgenommenen mit Gefangenentransportern vorgefahren und registriert. In den Containern gibt es 20 Arbeitsplätze zur Identitätsfeststellung.

Dort werden die Festgenommenen auch in das „Verwahrbuch“ eingetragen, das natürlich nicht mehr aus Papier besteht, sondern elektronisch geführt wird. Wer keinen Ausweis dabeihat, wird per Fingerabdruck identifiziert. „Wir können von hier auf die entsprechenden Datenbanken zugreifen und wissen in der Regel sehr schnell, wen wir vor uns haben“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Am Dienstag wurde die Gefangenensammelstelle (kurz: Gesa) für bis zu 400 Menschen offiziell vorgestellt.

Polizisten ohne Dienstpistole

Von den Containern geht es in das „Herzstück“ der Gesa. In der 11.000 Quadratmeter großen Halle sind die Container aufgestellt, in denen sich die Zellen befinden. Es ist ein „waffenloser Bereich“. Auch Polizisten tragen hier keine Dienstpistole und kein Reizstoffsprühgerät. „Es gibt 70 Sammelzellen mit jeweils neun Quadratmetern für fünf Personen und 50 Einzelzellen mit jeweils 3,23 Quadratmeter Platz“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Die Zellen sind klimatisiert. Das Licht ist dimmbar. Es sind schmucklose weiße Räume, in denen lediglich eine Bank steht. Videoüberwachung, so Zill, gebe es in den Zellen nicht. Die Beamten sehen durch Gucklöcher nach den Gefangenen. In jeder Zelle ist auch ein Alarmknopf, mit dem Personal gerufen werden kann.

In der Halle sind auch die Vernehmungsräume der Kripo und der Raum für die „erkennungsdienstliche Behandlung“. Hier werden Fotos von Festgenommenen gemacht und ihre Fingerabdrücke genommen. Vier Arbeitsplätze stehen zur Verfügung. Auch die Staatsanwälte haben hier ihre Zimmer. Zudem gibt es sechs Telefone, über die Gefangene ihren „einen Anruf“ tätigen können, beispielsweise, um einen Anwalt zu kontaktieren. Daneben befinden sich ein Arztzimmer und der Raum für die Einsatz­leitung.

Bis zu acht „Zuführungen“ gleichzeitig sind möglich

Vor der Halle auf dem ehemaligen Parkplatz des Lebensmittelgroßmarkts befinden sich 36 Sanitärcontainer. Außerdem sind dort, auch in zweistöckigen Containern, die Aufenthaltsräume für das Personal. Das Gelände wird auch von außen von Polizeikräften bewacht.

Laut Zill werden Festgesetzte in der Regel zwischen sechs und zehn Stunden in der Gesa bleiben. Vorwürfen, die Gesa entspreche nicht den humanitären Anforderungen, widerspricht er. Zudem hat laut Zill die „Nationale Stelle zur Verhütung von Folter“ den Ausbau der Gesa begleitet. Sie habe der Polizei attestiert, dass die Unterbringung der Festgenommenen dort „angemessen“ durchgeführt werden kann.

Neuer Standort für das Amtsgericht

Direkt neben der Gefangenensammelstelle, aber noch innerhalb des umzäunten Großmarkt-Geländes, erhält auch das Amtsgericht Mitte einen neuen Standort, an dem Entscheidungen über Untersuchungshaft und Polizeigewahrsam getroffen werden. Falls es, wie befürchtet, während des Gipfels zu Demonstrationen mit gewalttätigen Ausschreitungen kommt, sollen dort zügige Verfahren gewährleistet werden. „Amtsgericht Hamburg, Nebenstelle Neuland“ heißt dieser Standort in Harburg, der an den Stadtteil Neuland grenzt.

Die Nebenstelle soll vom 29. Juni bis zum 9. Juli zur Verfügung stehen und damit bereits Tage vor dem Beginn des G20-Gipfels am 7. und 8. Juli. „Wir müssen darauf eingestellt sein, dass schon in der Woche vor dem Gipfel richterliche Entscheidungen getroffen werden müssen“, sagt dazu Gerichtssprecher Kai Wantzen. Um zügige Entscheidungen zu gewährleisten, wird eine 24-Stunden-Präsenz im Schichtbetrieb organisiert.

Entscheidungen über polizeilichen Gewahrsam

Insgesamt werden für die Einrichtung und den Betrieb der Nebenstelle des Amtsgerichts Kosten in Höhe von etwa 750.000 Euro kalkuliert. Hauptverhandlungen in Strafverfahren werden dort nicht verhandelt. Es handelt sich auch nicht um ein Schnellgericht zur Aburteilung von Straftaten im sogenannten beschleunigten Verfahren. An dem Standort wird ausschließlich über polizeilichen Gewahrsam und Untersuchungshaft entschieden. „Mit der Einrichtung eines Standorts neben der Gesa bereiten wir uns auf die besondere Situation während des Gipfels vor“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen.

Jede Freiheitsentziehung bedarf nach dem Grundgesetz einer richterlichen Entscheidung, und jeder Betroffene muss unverzüglich, spätestens am Folgetag, einem Richter vorgeführt werden, der darüber entscheidet, ob der Festgenommene weiter in Gewahrsam bleibt oder freikommt. Normalerweise sind diese amtsgerichtlichen Verfahren im Straf- und Polizeirecht im Strafjustizgebäude in der Hamburger Innenstadt angesiedelt. Da dies in unmittelbarer Nachbarschaft zum Messegelände und damit zum Tagungsort des Gipfels liegt, ist nicht sicher, ob wegen möglicher Sperrungen die Zuführungen dort zu jener Zeit gewährleistet werden können.

Es geht um Verhinderung von Straftaten

„Wir mussten uns außerdem auf die Entscheidung der Polizei einstellen, eine Gefangenensammelstelle in Neuland einzurichten, was bei Zuführungen im Strafjustizgebäude mit längeren Transportwegen und möglicherweise Zeitverzögerungen verbunden wäre“, sagt Wantzen. Mit der Einrichtung des Standorts Neuland würden rasche richterliche Entscheidungen ermöglicht. „Der Aufwand an Vorbereitung und in der Durchführung ist groß, aber nötig, um für effektiven Rechtsschutz zu sorgen. Wir tragen unseren Teil dazu bei, dass kein Freiheitsentzug länger dauert als nötig, und sichern ein rechtsstaatliches Verfahren.“

Anders als bei der Untersuchungshaft geht es bei der polizeilichen Ingewahrsamnahme nicht um die Verfolgung einer bereits begangenen Straftat, sondern um deren Verhinderung. Wer unmittelbar davor steht, eine Straftat oder eine gravierende Ordnungswidrigkeit zu begehen, und nicht anders aufzuhalten ist, kann vorübergehend in Gewahrsam genommen werden. Im Visier der Ermittlungsbehörden sind dabei erfahrungsgemäß „alte Bekannte“, also Menschen, die bereits wiederholt wegen ihrer Gewaltbereitschaft aufgefallen sind.

Arbeitsplätze für Richter, Protokollkräfte und weiter Mitarbeiter

Es muss deutliche Anhaltspunkte dafür geben, dass von dem Betroffenen eine Gefahr ausgeht. Eine vage Ahnung reicht nicht. Geprüft wird immer der Einzelfall. Die Maßnahme darf nur so lange dauern, wie es absolut notwendig ist, um die befürchteten Taten zu verhindern. Die Höchstgrenze liegt laut dem Hamburgischen Gesetz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) bei zehn Tagen. Verhandlungen über die Freiheit entziehenden Maßnahmen sind von Gesetzes wegen nicht öffentlich.

Rechtlich gesehen ist der Standort Neuland eine Nebenstelle des Amtsgerichts Hamburg. In den in Containern eingerichteten Räumlichkeiten befinden sich vollständig ausgestattete Arbeitsplätze für Richter, Protokollkräfte und weitere Mitarbeiter, zudem zwei Arbeitsräume für Staatsanwälte. Auch den Anwälten stehen Räume extra zur Verfügung. Bis zu acht Zuführungen Betroffener können gleichzeitig stattfinden, für die acht Richter und Protokollkräfte sowie drei Geschäftsstellenmitarbeiter im Einsatz wären.

Also Justiz im Zehn-Minuten-Takt? „Es wird definitiv keine Entscheidungen im Akkord geben“, sagt Wantzen. „Jeder Richter wird sich für jeden einzelnen Fall so viel Zeit nehmen, wie es nötig ist.“ Für die Besetzung der achtstündigen Schichten sind laut Wantzen genügend Meldungen aus der Hamburger Richterschaft, von Geschäftsstellenmitarbeitern und Protokollkräften, Rechtspflegern und Justizwachtmeistern eingegangen. Die nicht richterlichen Kräfte werden dabei nach der Hamburgischen Mehrarbeitsvergütungsverordnung vergütet werden. Für Richter stellt sich die Frage einer zusätzlichen Bezahlung nicht. Sie haben, als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit, keine festen Arbeitszeiten – und bekommen deshalb von Gesetzes wegen keine zusätzliche Entlohnung von Mehr- oder Überstunden.