Hamburg. Viele öffentliche Gebäude in den Elbvororten sind nicht barrierefrei. Behindertenverband kritisiert Situation als tragisch.

Es sind nur ein paar Stufen, schnell bewältigt und wenig beachtet von denjenigen, die gesund sind. Doch für manche bedeuten sie die Welt. Wer zum Beispiel im Rollstuhl sitzt, den halten diese Treppen davon ab, an einer Veranstaltung und damit letztlich am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dabei garantiert die Uno-Behindertenrechtskonvention Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am politischen und öffentlichen Leben teilhaben zu können. Deutschland hat sich dem verpflichtet. In der Praxis sieht es anders aus. Auch überall in den Elbvororten finden sich zahlreiche Barrieren.

Das aktuelle Beispiel, an dem sich die Diskussion entfacht hat, spielt sich in Blankenese ab. Dorthin hatte die Altonaer Bezirksverwaltung kürzlich eingeladen. In der Aula des Marion Dönhoff Gymnasiums wurde über die zukünftige Gestaltung Sülldorfs diskutiert. Unter anderem war der geplante Neubau eines Musikcampus’ Thema. Es ging aber auch um den Auftakt eines Wohnbauprojekts, das Strahlkraft für ganz Hamburg entwickeln soll – und zwar um die Verdichtung an Hauptverkehrsstraßen. Das zog rund 250 Interessierte an.

„Das ist eine massive Diskriminierung“

Draußen bleiben mussten allerdings gehbehinderte Menschen. Denn die Aula im ersten Stock der Schule verfügt über keinen Fahrstuhl. Die öffentliche Veranstaltung wurde daher ausdrücklich als nichtbarrierefrei deklariert. Alternativen: Fehlanzeige. „Das ist eine massive Diskriminierung“, kritisiert Johannes Köhn als Geschäftsführer der Hamburger Landesgemeinschaft für Menschen mit Behinderung. „Es gibt aber leider jede Menge auch öffentlicher Gebäude, die für Menschen mit Behinderung nicht geeignet sind. Es ist einfach tragisch.“

Aktionsplan

Oft handele es sich seiner Erfahrung nach um Gedankenlosigkeit, dass Infoveranstaltungen in nicht barrierefreien Räumen stattfinden. Das Problembewusstsein fehle. „Menschen mit Behinderung sind zudem keine sehr militante Gruppe. Ihnen fehlt oft schlicht die Energie, sich gegen die Ungerechtigkeit aufzulehnen, weil sie mit ihren alltäglichen Problemen stark belastet sind.“

Aufwand zu groß?

Gabriele Guberan bestätigt das. Die Othmarschenerin ist querschnittsgelähmt. Es ist 17 Jahre her, dass sie am Frühstückstisch über extrem starke Kopfschmerzen klagte und sich ins Bett legte. Sie stand nie wieder auf. Die 62-Jährige ist tough und hat gelernt, sich mit ihrer Krankheit zu arrangieren. Doch sie sagt: „Bevor ich Veranstaltungen besuche oder irgendwo hin muss, wo ich mich nicht auskenne, rufe ich dort vorher an.“ Sie erkundige sich dann genau nach der Barrierefreiheit. „Wenn es die nicht gibt, bleibe ich zu Hause. Das ist mir einfach zu aufwendig.“

Laut Bezirksverwaltung stand für die Infoveranstaltung kein barrierefreier Raum im Hamburger Westen zur Verfügung, der groß genug gewesen wäre. Allerdings meldeten sich einige Schulen, bei denen angefragt worden war, gar nicht zurück. Zudem wurde nach Abendblatt-Information eine barrierefreie Option verworfen, weil der Aufwand, die Stühle und Tische in dem sonst als Schulmensa genutzten Raum umzustellen, als zu groß gesehen wurde.

Es braucht Taten

Für FDP-Fraktionschefin Katarina Blume ein Unding. Sie kritisiert, dass ein Teil der Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, und das nicht zum ersten Mal. „Wir bestrafen diejenigen, die ohnehin aufgrund ihrer Situation besonders belastet sind. Dabei sollten wir in Altona Vorbild sein und zeigen, dass Teilhabe eine Selbstverständlichkeit ist“, sagt Blume. Die FDP hat daher einen Antrag vorbereitet, der in der kommenden Bezirksversammlung am 25. Januar behandelt werden soll. Darin fordern die Liberalen vom Bezirk, dass alle öffentlichen Veranstaltungen ausnahmslos in barrierefreien Räumlichkeiten abzuhalten sind, dass dafür die Kooperation mit Schulen verbessert und den Politikern darüber Bericht erstattet wird.

Ein Zeichen. Doch es braucht vielmehr Taten. Auf die warten Betroffene andernorts seit Jahren. Beispiel Rissen: Der einzige Weg zur größten Versammlungsstätte des Stadtteils führt über eine steile Treppe. Auch hier hielt der Bezirk schon Infoveranstaltungen etwa zur Flüchtlingsthematik ab. Zudem wird die Schulaula Iserbarg von der Volksbühne regelmäßig bespielt.

Garten-Verhandlungen sollen Ende haben

Zu den Theateraufführungen in niederdeutscher Sprache kommen viele Senioren. Wer eine Gehbehinderung hat, hat keine Chance, die Stücke zu sehen. „Jemanden die Treppe hochzutragen, schaffen wir einfach nicht“, so Theatervereinschef Thorsten Junge. Er macht sich zusammen mit der Schulleitung schon lange für einen Fahrstuhl stark. Pläne liegen in der Schublade, Platz wäre vorhanden, sogar Sponsoren hatte Junge aufgetan, passiert ist leider nichts.

Hoffnung zeichnet sich indes in einem anderen Dauerproblem ab. Seit Jahren ist im Blankeneser Amtsgericht für Menschen mit Behinderung an der Tür Schluss. Es fehlt ein Fahrstuhl. Gerichtschef Torsten Bartels musste deshalb schon Verhandlungen im Garten führen. Bislang scheiterte das Umbauprojekt an dem nicht geklärten Mietverhältnis zwischen Stadt und Hauseigentümer.

Laut Bartels wurde nun endlich eine Einigung erzielt, der Mietvertrag über das Jahr 2021 hinaus verlängert. Aufgrund dessen werde der Vermieter wohl 2018 einen Fahrstuhl einbauen. Schwierigkeiten könnte es allerdings noch aufgrund von Brand- und Denkmalschutz geben. Bartel gibt sich trotzdem optimistisch und hofft: „Wir sind trotzdem alle guten Mutes, dass wir bald nicht mehr im Garten verhandeln müssen.“