Hamburg. Erste Pflanzen entfernt. Jetzt bietet die Saga Gespräche an. Wie Hamburg ansonsten mit dem NS-Erbe umgeht.
Wohnen wie 1940? Der Abendblatt-Bericht über die umstrittenen Denkmalschutz-Auflagen im Osdorfer Arnimviertel hat jetzt zu einem ersten Ergebnis geführt. Saga-Sprecher Gunnar Gläser kündigte an: „Die Saga GWG wird sich bezüglich der denkmalgerechten Modernisierung des Arnimviertels zeitnah mit dem Amt für Denkmalschutz und Mietervertretern zu einem gemeinsamen Austausch treffen.“ Auch das Denkmalschutzamt signalisiert Gesprächsbereitschaft.
Das Abendblatt hatte über die 1939 erbaute Luftgau-Siedlung berichtet, in der einst NS-Luftwaffenoffiziere lebten. Die Siedlung steht, wie andere frühere NS-Bauten in Hamburg auch, unter Denkmalschutz. Doch hier gehen die Auflagen der Denkmalschützer und der Saga jetzt besonders weit: Die Bewohner dürfen neuerdings nur heimische Pflanzen an „ausgewiesenen Standorten“ anbauen. Das Aufstellen von Trennwänden, Palisaden, Pergolen und Zäunen ist verboten. Gartenhäuser sind tabu. Markisen auch.
Nach Abendblatt-Informationen drohen der Wohnungsgenossenschaft jetzt juristische Auseinandersetzungen. Eine Familie hat auf Anraten des Mietervereins Hamburg am Freitag eine einstweilige Verfügung beim Amtsgericht Blankenese erwirkt, die nun der Saga zugestellt werden soll. Sie soll verhindern, dass der Vermieter in Abwesenheit der Bewohner im Garten unerwünschte Pflanzen einfach beseitigen lässt. Zudem hat die Familie auch Warnschilder am Garten befestigt mit Hinweis auf die einstweilige Verfügung.
Bereits am Donnerstag waren Gärtner angerückt. „Ohne Anmeldung“, wie Bewohnerin Anja Meister versichert. „Ich komme am Donnerstagabend nach Hause, und es ist einfach alles weg“, berichtet die Mutter von zwei Kindern. Jasmin, Zierkirsche, Bambus: Alles, was sie in den vergangenen zwölf Jahren gepflanzt und gehegt hatte, wurde bearbeitet. Viel ist nicht mehr davon übrig. „Hier wurde gerodet“, sagt Meister wütend. Auf Anfrage erklärt Saga-Sprecher Gläser, dass diese Arbeiten nicht in Zusammenhang mit den Denkmalschutzauflagen stünden. Deshalb habe das auch nichts mit der gesetzten Frist zu tun. Warum die Mieter nichts von anderen Arbeiten wussten, kann er nicht sagen. Zudem handle es sich gar nicht um den Mietergarten von Frau Meister. Die ist sprachlos.
Sie bedauert, dass es im einst friedlichen Wohnviertel durch die Modernisierung und die damit einhergehenden Denkmalschutzauflagen so viel Ärger gibt. „Ich verstehe nicht, was es für eine kulturelle Bereicherung darstellen soll, wenn unsere Gärten ausgerechnet wieder aussehen wie 1940“, sagt sie und kritisiert auch die Informationspolitik von der Saga GWG und dem Denkmalschutzamt. „Warum das hier nötig sein soll, hat uns nie jemand erklärt.“
Zahlreiche NS-Bauten prägen Stadtbild
Zahlreiche NS-Bauten prägen bis heute das Bild der Stadt. Dazu gehört der imposante Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld genauso wie das ehemalige KZ Neuengamme, die Norwegersiedlung in Ohlstedt, die Sophienterrasse 14 in Harvestehude, die Schwarzwaldsiedlung in Langenhorn oder die Siedlung Rittmeisterkoppel in Volksdorf. So individuell die NS-Bauten sind, so unterschiedlich verlaufen die Debatten über den Denkmalschutz und die perspektivische Nutzung.
Beispiel Heiligengeistfeld: Dort ließen die Nazis zwei Hochbunker mit Flaktürmen bauen. Während der kleinere Leitturm bereits abgerissen wurde, ist der 1942 gebaute „Flakturm IV“ als monströses Bauwerk auf dem Heiligengeistfeld erhalten geblieben. Es ist jeweils 75 Meter lang und breit sowie 39 Meter hoch. Während der Bombenangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 fanden darin bis zu 25.000 Menschen Schutz. Das NS-Bauwerk, in dem heute verschiedene Unternehmen ihren Sitz haben, wird „Medienbunker“ genannt und steht unter Denkmalschutz. Dennoch gibt es seit 2014 den Plan, das Dach mit Pflanzen und Bäumen zu begrünen. Die Projektplaner betonen, dass ihnen der Denkmalschutz sehr wichtig sei.
Beispiel Sophienterrasse 14. Die „Graue Festung“ (Wilhelm Canaris) diente dem Oberkommando der Wehrmacht von 1937 bis 1945 als größte Außenstelle des Amts Ausland-Abwehr. Ebenfalls hinter den Mauern hatte das Generalkommando des Wehrkreises X der Wehrmacht seinen Sitz. Später residierte hier die Bundeswehr. Jetzt wird der Gebäudekomplex zu Luxuswohnungen umgebaut. Lediglich die Fassade und das Treppenhaus bleiben erhalten. So viel – oder so wenig – Denkmalschutz muss schon sein.
Mehr noch: Vor etwa zwei Jahren musste die Evangelische Stiftung Alsterdorf klären, wie sie mit einem Bild aus der Nazizeit umgehen soll. In der St.-Nicolaus-Kirche, die auf dem Stiftungsgelände steht, prägt ein 1938 erstelltes Kunstwerk die hintere Wand. Es zeigt das Bild eines athletischen Christus am Kreuz, ganz im arischen Stil. Die Idee, die gesamte Rückwand aus der Kirche zu entfernen und an einem „Ort des Gedenkens“ zusammen mit Erläuterungen der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist bislang nicht umgesetzt. Wohl auch deshalb, weil das Denkmalschutzamt das „Fresko“ als geschichtliches Zeugnis erhalten möchte.