Hamburg. Skandal um 1939 erbaute Luftgau-Siedlung: Denkmalschutzamt verlangt Rodung „nicht heimischer Pflanzen“ und Spielgeräte-Abbau.
Es ist ein kleines Gartenparadies, das sich die Wienkes geschaffen haben. Seit 14 Jahren lebt die Familie in einem Mehrfamilienhaus im Arnimviertel in Osdorf. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Jan Wienke. Denn zu ihrer Erdgeschosswohnung gehört auch ein großer Vorgarten, der sich um das Haus herum erstreckt. Dort haben sie Bäume und Büsche gepflanzt, Beete angelegt und in Absprache mit dem Hauseigentümer eine Schaukel und ein Spielhäuschen für die fünf Kinder aufgestellt. Doch all das soll weg. Wienkes verstoßen wie fast alle Nachbarn gegen die neue Gartenverordnung.
Die neun Punkte umfassende Grünregelung des Eigentümers flatterte der Familie zusammen mit einer Zeichnung und einem Schreiben ins Haus. Die Zeichnung ist nötig, weil nur noch an „ausgewiesenen Standorten“ gepflanzt werden darf. Ansonsten hat Rasen vorzuherrschen. In dem Schreiben der Saga GWG als Eigentümer der Wohnsiedlung gibt’s weitere Anweisungen für die Mieter. Das Aufstellen von Trennwänden, Palisaden, Pergolen und Zäunen ist verboten. Gartenhäuser sind tabu. Markisen auch. „Die Hecken entlang des Fußweges sind in Hainbuche anzupflanzen.“ Die „einheitliche Schnitthöhe“ hat 1,40 Meter zu betragen. Um das „einheitliche Bild“ sicherzustellen, wurde eine Fremdfirma mit der Heckenpflege beauftragt.
Kommentar: Peinlicher Denkmalschutz
Die Vorgaben müssten strikt eingehalten werden, Ausnahmen gebe es keine, heißt es in dem Schreiben deutlich. Zudem wurde den Mietern bis zu diesem Freitag Zeit gegeben, ihr Eigentum – also alle unerwünschten Pflanzen, Möbel etc. – fortzuschaffen. Eine Haftung für nicht rechtzeitig entfernte Bäume und Hecken werde nicht übernommen.
Ursprünglich Siedlung für Luftwaffenoffiziere
Was die plötzliche Gartendiktatur im friedlichen Arnimviertel auslöste? Aufgrund einer Modernisierung der Gebäude und der Schaffung von 68 zusätzlichen Wohnungen im Dachgeschoss wurde das Denkmalschutzamt aktiv. Denn die von 1939 an entstandene Siedlung für Luftwaffenoffiziere des Architekten und NSDAP-Mitglieds Rudolf Klophaus gilt als erkanntes Denkmal. Deshalb mussten sämtliche Umbaumaßnahmen mit dem Amt abgestimmt werden. „Die Denkmalschutzauflagen beziehen sich dabei nicht nur auf die Gebäude, sodass der ursprüngliche Charakter der Siedlung auch in den Außenanlagen wieder herausgearbeitet werden muss“, erläutert Gunnar Gläser als Sprecher der Saga GWG. Die bestehenden Auflagen seien das Ergebnis „umfangreicher und konstruktiver Abstimmungen“ mit der zuständigen Behörde.
Die Wienkes und viele ihrer Nachbarn sind entsetzt. Es geht ihnen dabei nicht nur um die vielen Regeln und deren strikte Umsetzung, sondern auch den historischen Hintergrund für die Gartenaktion. „Wir wollen nicht leben wie 1940“, sagt Jan Wienke. Und seine Frau Nathalie ergänzt: „Diese Zeit war einfach furchtbar. Dass wir hier ein Denkmal für die Nazizeit pflegen sollen, ist nicht einzusehen. Wir wollen nicht braun leben.“
Mieter kritisieren fehlende Informationspolitik
Die Familie fühlt sich jetzt schon an alte Zeiten erinnert, berichtet von Kontrollgängen des Vermieters, kritisiert eine fehlende Informations- und Kommunikationspolitik. Statt eine Mieterversammlung abzuhalten, um Verständnis zu werben und an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten, seien sie nur per Brief über die Absichten informiert worden – inklusive der Drohung, alles fortzuschaffen, was den Vorstellungen nicht entspreche.
Saga-Sprecher Gläser hält dagegen: „Vorab wurden alle Mieter persönlich aufgesucht und Sprechstunden im Quartier angeboten.“ Eine gemeinsame Mieterversammlung habe es nicht gegeben, weil die Saga auf individuelle Kommunikation setze. Zu den Bedenken der Mieter, „braun“ leben zu müssen, entgegnet er: „Die Verwendung heimischer Pflanzenarten und Regelungen zur Ausgestaltung von Freiflächen sind üblich und nachvollziehbar. Dieser Gestaltungsrahmen bietet eine Orientierung für Mieter, die Gartenflächen bewirtschaften.“
Die Hamburger Kulturbehörde verweist darauf, dass in diesem Fall versucht worden sei, einen guten Kompromiss zwischen historischem Erscheinungsbild und heutigen Bedürfnissen zu finden. „Daher wird zum Beispiel aus Schallschutzgründen in den Randbereichen der Siedlung auf die historische Höhe der Hecken verzichtet, und es können angepflanzte besondere Einzelbäume stehen bleiben“, sagt Sprecher Enno Isermann.
Mieterbund empfiehlt den Gang zum Gericht
Das tröstet die Wienkes und viele ihrer ebenfalls erbosten Nachbarn nicht. Sie haben sich Hilfe beim Mieterverein Hamburg geholt. „Ich habe schon viel erlebt, aber so etwas noch nicht“, sagt Rechtsberater Rolf Bosse. Ihn ärgert vor allem der Ton, den die Saga gegenüber ihren Mietern anschlägt. Die Drohung, alles was nicht ins Konzept passt, notfalls aus den Gärten zu entfernen, bezeichnet Bosse als Selbstjustiz. „Das entbehrt jeder rechtlichen Grundlage.“ Auch wenn die Saga Eigentümer sei, handele es sich noch um die Gärten der Mieter – Dinge dürften nicht einfach entfernt werden.
Den Verweis auf den Denkmalschutz will Bosse so nicht anerkennen. „Es gibt durchaus Beispiele, wo an denkmalgeschützte Häuser Balkone oder Wintergärten gebaut wurden mit dem Hinweis auf zeitgemäßes Wohnen“, so der Rechtsberater. Wo ein Wille sei, gebe es auch einen Weg. Bosse will den Wienkes raten, beim Amtsgericht eine einstweilige Verfügung zu erwirken – falls die Saga nicht doch noch einlenkt.