Hamburg. Schulleiterin des Christianeums erläutert, warum es sich noch lohnt, Latein zu lernen – und spricht zudem über ihren schweren Unfall.

Diana Amann ist seit vier Jahren Leiterin des altsprachlichen Christianeums in Othmarschen. Die sechs altsprachlichen Gymnasien (bzw. Gymnasien mit altsprachlichem Zweig) in Hamburg beginnen in Klasse 5 mit Latein als neuer Fremdsprache und bieten Altgriechisch ab Klasse 8 an. Latein kann außerdem an mehreren Gymnasien und Stadtteilschulen als zweite Fremdsprache gewählt werden.

An Ihrer Schule gibt es für die Fünftklässler neben drei Wochenstunden Englisch auch noch fünf Stunden Latein. Das hört sich nach ziemlicher Paukerei an.

Diana Amann: Das mag vor Jahrzehnten so gewesen sein. Aber didaktisch-methodisch hat sich vieles verändert. Die Schüler werden heute viel spielerischer an Latein herangeführt. Lateinlernen macht Spaß – das hören wir immer wieder deutlich. Wir haben gerade wieder vier neue fünfte Klassen gebildet, es ­hätte sogar noch eine weitere geben können. Das ist für mich klarer Beleg für die Beliebtheit und den Erfolg unseres ­Profils.

Es bleibt aber das sture Pauken von Grammatik und Vokabeln, wie das unsereins es aus der eigenen Schulzeit kennt. Daran führt kein Weg vorbei.

Sicherlich gehört das Lernen von Vokabeln und Grammatik zum Erwerb jeder Fremdsprache dazu. Stellen in Ihren Augen Fleiß und Ausdauer heute keine Werte mehr dar, die Sie Ihren Kindern mitgeben würden?

Diana Amann über ihren Unfall

Nicht, wenn Ihnen die Anfangszeit auf dem Gymnasium unnötig erschwert wird.

Die Schülerinnen und Schüler, die mit einer Gymnasialempfehlung ans Chris­tianeum kommen, werden fast ausnahmslos in die Mittelstufe versetzt. Im Klartext: Niemand verlässt das Christianeum wegen Latein. Auch unser Lateinprofil in der Oberstufe wird seit Jahren konstant angewählt. Die Schüler wollen „dabei bleiben“.

Ihre Schule liegt ja auch in einem großbürgerlichen Einzugsgebiet, in dem Latein sozusagen zum guten Ton gehört.

Wir liegen im Hamburger Westen mit den entsprechenden Elternhäusern – keine Frage. Aber wir ­präsentieren uns auch auf Info-Marktplätzen, werben stadtteilübergreifend für unser Profil. Schon immer hatten wir Schülerinnen und Schüler aus vielen verschiedenen Stadtteilen – von Rissen bis St. Pauli, von Lurup bis Finkenwerder.

Aber es bleibt dabei, dass die Schüler eine ­tote Sprache lernen.

Auch wenn man Latein nicht mehr spricht, ist es eine sehr lebendige ­Sprache.

Wie meinen Sie das?

Latein ist die Muttersprache Europas. Es lebt in vielen Begriffen unserer Sprache weiter und ebnet den leichten Zugang zu allen romanischen Sprachen. Erst bei unserem letzten Ehemaligentreffen sagte mir wieder ein früherer Schüler, er habe Spanisch und Portugiesisch schnell und problemlos gelernt, weil er vieles schon aus dem Lateinunterricht kannte.

Nehmen wir mal das Fach Englisch. Schüler neusprachlicher Gymnasien beherrschen es in der Oberstufe doch mindestens genauso gut wie altsprachlich ausgebildete Schüler – und das ganz ohne Latein.

Englisch beginnt bei uns ja auch schon in der fünften Klasse – zunächst mit drei Stunden. Ab der 6. Klasse wird Englisch als vierstündiges Fach unterrichtet. Natürlich sprechen viele Abiturientinnen und Abiturienten neusprachlicher Gymnasien sehr gut Englisch, aber qualitativ ziehen unsere Schüler schnell gleich. Bereits bei den hamburgweiten KERMIT-Testungen in Klasse 8 übertreffen unsere Ergebnisse die der Vergleichsschulen, auch der neusprachlichen Gymnasien.

Wer keinerlei Affinität für Fremdsprachen hat, kann damit also letztlich gut auf Latein verzichten?

Das finde ich überhaupt nicht. Denn Latein – und auch Griechisch – haben einen hohen Nutzwert, der über das Sprachenlernen noch hinausgeht.

Nämlich?

Viele Schülerinnen und Schüler klicken sich doch heute durch den Alltag, so ist es nun mal. Aber durch die Beschäftigung mit Latein und Griechisch erschließt sich ihnen eine für sie neue Welt. Sie konzentrieren sich wieder stärker, die Sprache verstärkt ihren Forscherdrang, die Kreativität, das analytische Denken. Latein schult die Fähigkeit zur Vernetzung und sogar das Gefühl für die eigene Muttersprache. Latein ist auch die Basissprache der Wissenschaft. Untersuchungen zeigen, dass Absolventen altsprachlicher Gymnasien bei Eingangstests an Universitäten besonders gut abschneiden.

Bis dahin ist es ein steiniger Weg. Teenager, die mit Homer höchstens Homer Simpson verbinden, müssen sich im Griechischunterricht Woche für Woche mit einer längst untergegangenen Kultur beschäftigen.

Was heißt denn untergegangen? Diese Kultur lebt doch mit ihren Werten in der unsrigen fort: freiheitliches Denken, Demokratie, Tragen von Verantwortung und Rechtsempfinden haben ihre Wurzeln in der Antike. Die tägliche Ausein­andersetzung mit diesen Werten erzieht unsere Jugendlichen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Das stärkt ihre Persönlichkeit und gibt Orientierung in einer immer komplexer und schnelllebiger werdenden Welt.

Das klingt überzeugend – hat aber letztlich wenig mit dem genussvollen Erlernen einer Sprache zu tun.

Das Großartige ist, dass Latein einen hohen Nutzwert hat – und Griechisch genauso. Aber man kann diese Fächer eben zusätzlich auch als Selbstzweck erfahren – weg vom reinen Nutzen. Das hat viel mit Ästhetik zu tun. Es ist schon etwas Besonderes, Platon auch im Original lesen zu können und ein Gefühl für die Schönheit der Sprache zu entwickeln. Das fasziniert die Schülerinnen und Schüler, der Funke springt über.

In Deutschland gibt es immer weniger Lateinschüler, noch schlechter sieht es mit Altgriechisch aus, das laut einer Studie des Altphilologenverbands bundesweit nur noch rund 13.000 Schüler lernen. Ist mit Altgriechisch bald Schluss an unseren Gymnasien?

Am Christianeum mit Sicherheit nicht.