Hamburg. Schulen in sozial belasteten Gebieten sind überproportional betroffen, Stadtteilschulen mehr als Gymnasien. FDP fordert Streuung.
Im Prinzip sind sich alle einig: Die Flüchtlingskinder, die in speziellen Klassen an den Regelschulen unterrichtet werden, sollen möglichst gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt werden. Für die Schulen gilt, was auch für die Flüchtlingsunterkünfte richtig ist: Die Integration und die sich daraus ergebenden Probleme sind eine gemeinsame Aufgabe.
Jetzt stellt sich heraus, dass der hehre Anspruch in der Praxis schwer umzusetzen ist. Aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein ergibt sich, dass Schulen in sozial belasteten Gebieten überproportional stark die Beschulung der Flüchtlingskinder schultern. Von den 202 Basisklassen (BK, vermitteln Grundkenntnisse) und Internationalen Vorbereitungsklassen (bereiten auf einen Schulabschluss vor), in denen rund 2500 geflüchtete Jungen und Mädchen unterrichtet werden, sind 57,9 Prozent an Schulen mit dem Sozialindex KESS 1 oder 2 untergebracht. Der Anteil der KESS 1/2-Schulen macht insgesamt aber nur 27,4 Prozent aller Standorte aus.
FDP-Schulpolitikerin fordert Sozialindex als Kriterium zur Verteilung
In der KESS-Studie (Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern) wurde der Sozialstatus der Eltern unter anderem anhand von Bildungsstand, Einkommen und Herkunft abgefragt. Die Einstufung auf einer Skala von 1 bis 6 (6 bedeutet den höchsten Sozialstatus) wird regelmäßig aktualisiert. Bei den Schulen mit dem sozial stabilsten Umfeld ist das Verhältnis genau umgekehrt: Hier ist der Anteil von Flüchtlingskindern besonders gering. Von den 202 BK- und IVK-Klassen befinden sich nur 13,3 Prozent an Schulen mit dem Sozialstatus KESS 5 oder 6. Deren Anteil an allen 321 staatlichen allgemeinbildenden Schulen liegt allerdings deutlich darüber: bei 38 Prozent.
Bislang werden Basis- und IVK-Klassen nach zwei Kriterien eingerichtet: nach dem verfügbaren Raum an einer Schule und der Länge des Schulwegs. Mit anderen Worten: Wenn die Flüchtlingsunterkünfte eher in sozialen Brennpunkten liegen, sind auch die dortigen Schulen stärker betroffen. Die FDP-Schulpolitikerin von Treuenfels-Frowein fordert jetzt, dass neben der Wohnortnähe und dem Raumangebot der Sozialindex als drittes Kriterium bei der Einrichtung der Klassen einbezogen wird. „Es kann nicht sein, dass einzelne Standorte überfordert werden, während andere Schulen von Flüchtlingen quasi nur aus der Zeitung erfahren“, sagt sie. Einen entsprechenden Antrag bringen die Liberalen in die Bürgerschaft ein. Die Statistik zeigt noch etwas: Wie bei der Inklusion von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf tragen die Stadtteilschulen zur Beschulung von Flüchtlingskindern in erheblich stärkerem Maße als die Gymnasien. Während an Gymnasien 30 Flüchtlingsklassen eingerichtet sind, gibt es fast 100 an Stadtteilschulen.
„Der Schulbehörde ist an einer gleichmäßigen Verteilung über das Stadtgebiet und die Schulformen gelegen“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. Er weist darauf hin, dass der Raum an Gymnasien wegen der hohen und weiter wachsenden Anmeldezahlen begrenzt ist. Zudem sei erwartbar, dass viele Flüchtlingsschüler nach einem einjährigen IVK-Besuch ihre Schullaufbahn ohnehin an einer Stadtteilschule fortsetzen würden. „Insofern kann eine frühzeitige Integration dort sinnvoll sein“, so Albrecht. Im Übrigen hätten viele Grund- und Stadtteilschulen seit vielen Jahren Erfahrung in der Beschulung von Flüchtlingskindern.
Dennoch gelinge es zunehmend, so der Sprecher, die Sonderklassen gleichmäßiger zu verteilen. So sei geplant, 18 weitere Klassen an Gymnasien einzurichten. Auch Standorte in bürgerlichen Stadtteilen wie Sasel, Bergedorf oder Blankenese seien mehr und mehr darunter. Aber gerade bei den Grundschulen mit dem Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ sei die Behörde „auch von der Verteilung der Folgeunterkünfte auf das Stadtgebiet abhängig“.
Kommentar: Reparatur mit Augenmaß
Während der Unterricht der geflüchteten Kinder, die in Folgeunterkünften leben, an den Regelschulen und in kleinen Lerngruppen erfolgt, ist die Lage für Jungen und Mädchen unmittelbar nach der Ankunft in Hamburg völlig anders. Hunderte Kinder, die mit ihren Eltern in einem der 36 Zentralen Erstaufnahmelager (ZEA) leben, haben keinen Schulunterricht – obwohl sie im schulpflichtigen Alter sind. Nach Angaben der Schulbehörde gab es in 16 Einrichtungen (Stand Mitte Februar) keinen Unterricht für die Kinder. Das steht im Widerspruch zu dem selbstgesetzten Ziel des Senats, als einziges Bundesland allen Flüchtlingskindern sofort nach der Ankunft Deutschunterricht zu ermöglichen.
Derzeit gibt es laut Behörde 73 Lerngruppen mit 1169 Schülern in den Erstaufnahmeeinrichtungen. „Wir hoffen, in den nächsten Wochen in Richtung 1500 zu gehen“, hatte Schulsenator Ties Rabe (SPD) erst vor einigen Tagen gesagt. Das sollen dann rund zwei Drittel der Jungen und Mädchen in den Erstaufnahmen sein.
In mehreren Unterkünften läuft laut Albrecht derzeit die Suche nach Räumen und Personal für einen Start noch in diesem Monat. Dazu gehören die ZEAs Graf Baudissin Kaserne (Blomkamp, Altona), Kurdamm (Wilhelmsburg), Osterade (Lohbrügge), Behrmannplatz (Lokstedt) und Wendenstraße (Hamm). An anderen Standorten ist auch in absehbarer Zeit keine Beschulung geplant. Dazu gehören: Kurt-A.-Körber-Chaussee (Bergedorf), Bargkoppelstieg (Meiendorf), Hörgensweg (Eidelstedt). Bei diesen Einrichtungen handele es sich um Notunterkünfte, heißt es zur Begründung.