Hamburg. Villa des Dichterpaares Richard und Ida Dehmel wurde aufwendig saniert. Wohnbereich im ersten Stock wird vermietet.
„Stopp“, sagt Carolin Vogel. Die Projektleiterin der Hermann Reemtsma Stiftung nimmt noch schnell für das Foto eine Mottenfalle vom Schrank. Sie ist leer. Ein gutes Zeichen. Dem Gebäude soll zwar der Charme alter Tage anhaften, aber in den vergangenen Monaten wurde einiges in die Modernisierung des Objekts investiert. Nach zwei Jahren Bauzeit und zwei Millionen Euro, die in die aufwendige Rundumerneuerung der Blankeneser Villa flossen, erstrahlt sie nun in neuem Glanz. Um genau zu sein, in Ocker. Diesen Farbton haben die Experten als alten Anstrich herausgearbeitet.
Überhaupt wurde hier mit viel Liebe fürs Detail das Wohnhaus eines besonderen Künstlerpaares wieder hergerichtet. Einst lebten und arbeiteten in dem Elbvorort der Literat Richard und seine Frau Ida Dehmel in der für sie eigens nach ihren künstlerischen Vorstellungen errichteten Villa. 1912 bezogen sie ihr Haus in der damaligen Westerstraße, die heute zu Ehren des Dichters Richard-Dehmel-Straße heißt.
Heute, mehr als 70 Jahre später, sieht es aus, als hätten die Dehmels ihr Haus niemals verlassen – wie der erste Rundgang durch die fast fertig sanierte Villa offenbart. In der Ecke der Wohnung im Erdgeschoss mit Blick auf die Terrasse und den angelegten Garten steht der Schreibtisch des Dichters, der Stuhl ist beiseitegeschoben, als wäre er nur kurz aus dem Haus.
Über die Jahrzehnte hinweg konnten zahlreiche Möbel, die nun aufwendig restauriert wurden, sowie Lampen und einige persönlichen Gegenstände gerettet werden. So zieren die Wände Papiertapeten, die teilweise noch als Originale erhalten werden konnten. Sie wurden vorsichtig restauriert und teilweise durch neue Teile ersetzt. Der Besucher muss schon genau hinsehen, um den Übergang im blumigen Muster im Wohnbereich zu finden, die vom befreundeten Grafiker Emil Orlik stammen könnte.
Dass es den Dehmels finanziell nicht immer gut ging und sie überhaupt nur in der Blankeneser Villa dank großzügiger Freunde und Gönner leben konnten, davon erzählen diese Tapeten. So wurden die Stellen hinter den Möbeln einfach ausgespart. „Sie hatten eben nicht viel Geld“, sagt Vogel. Auch das wurde erhalten.
Dabei gelten die Dehmels, die heute etwas in Vergessenheit geraten sind, als Wegbereiter der Moderne. Sie versammelten in ihrem Haus Künstler und Vordenker ihrer Zeit. 50.000 erhaltene Briefe zeugen von den Freundschaften zu Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Richard Strauss, Max Liebermann oder Detlef von Liliencron. Ida Dehmel begründete mit ihrem umfangreichen Briefarchiv – das heute in der Hamburger Staatsbibliothek zu finden ist – eine wichtige zeitdokumentarische Sammlung. Zudem initiierte sie den Verband Gedok, der sich als ältestes und europaweit größtes Netzwerk für Künstlerinnen aller Gattungen bezeichnet.
Zum ersten Mal öffnen sich die Türen Mitte September
Das Erbe der Dehmels zu erhalten und es der Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen ist Ziel der Dehmel- Stiftung. Sie wurde aus den Reihen der Hermann Reemtsma Stiftung gegründet. Carolin Vogel ist nun in beiden Stiftungen aktiv. 2013 wurden die Verträge geschlossen, und das Haus aus dem Vermögen des verstorbenen Unternehmers Claus Großner ging in den Besitz der neu gegründeten Stiftung über, die sich zur Sanierung verpflichtete.
„Als wir das hier übernommen haben, war das eine Tropfsteinhöhle“, erinnert sich Vogel. Von der Decke in der Erdgeschosswohnung hing die Tapete in Fetzen. Ein Wasserschaden war schuld daran. Die Heizungen waren geplatzt. Der Inhalt hatte sich über den Parkettboden verteilt. In den vergangenen Monaten arbeiteten 45 Handwerker daran, die Spuren des Verfalls zu beseitigen. Der Dachstuhl wurde komplett erneuert, die Fassade ausgebessert und neu gestrichen. Die Haustechnik musste erneuert werden. Dass die Dehmels sich die Blankeneser Villa an sich nicht leisten konnten, zeigte auch die Substanz des Hauses. An der wurde gespart, was heute große, auch finanzielle Herausforderungen bedeutet. „Nicht alle Wände im Keller hatten Fundament“, sagt Architekt Alk Friedrichsen, der bereits einige Villen in den Elbvororten wieder in altem Glanz erstrahlen ließ und auch bei diesem Projekt federführend mitwirkte. Die Fassade sei fast nur durch eine dünne Putzschicht zusammengehalten worden.
„Es gab an vielen Ecken böse Überraschungen“, so Projektleiterin Vogel. Aber es gab auch gute. Unter anderem konnte im Keller eine noch völlig erhaltene Tapetenrolle entdeckt werden, die die Rekonstruktion der Wandgestaltung im Esszimmer erst möglich machte. Vor einigen Tagen besuchten Nachkommen der Familie Dehmels Blankenese, um sich das Haus anzusehen. Ein schöner Moment für die Mühen, so Vogel. Durch den Kontakt zur Verwandtschaft und die Forschungsarbeit Vogels tauchten auf dem Dachboden eines Hauses in Italien zudem alte Kasperlepuppen auf, die nun ihren Weg zurück ins alarmanlagengesicherte Haus gefunden haben.
Zum ersten Mal öffnen sich die Türen für Besucher Mitte September. Der Wohnbereich im ersten Stock und unter dem Dach werden wie zu Dehmels Zeiten vermietet. Mit den Einnahmen sowie Spendern soll sich das neue Kulturhaus Blankeneses finanzieren.
Erdgeschoss, Keller und Garten des Richard-Dehmel-Hauses sind am Sa und So, 17. und 18. September, von 12 bis 18 Uhr erstmals zu besichtigen. Der Eintritt ist frei