Blankenese. Im Haus von Richard Dehmel trafen sich Thomas Mann, Max Liebermann und Richard Strauss. Nun wird die Villa aufwendig saniert.
Als Bastion geschäftstüchtiger Pfeffersäcke genoss Hamburg von jeher einen famosen Ruf, als Hochburg schöner Künste weniger. Umso größer ist die Bedeutung einer Komplettrenovierung des Richard-Dehmel-Hauses in Blankenese einzuordnen. Die Fertigstellung des millionenschweren Projekts und die Eröffnung der geschichtsträchtigen Villa sind für den Herbst dieses Jahres geplant. Seit 2014 sind ebenso aufwendige wie kostspielige Sanierungsarbeiten im Gange.
Was nach jahrelangem Leerstand und Verfall nunmehr vor der Vollendung steht, war einst weit über Norddeutschland hinaus berühmt. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Ida versammelte der Literat Richard Dehmel in seinem Haus führende Poeten, Schriftsteller, Maler und Denker seiner Epoche zum feinsinnigen Austausch. In der Villa in der Westerstraße, der heutigen Richard-Dehmel-Straße, fand die kulturelle Bohème ein stilvolles Zuhause. Große Geister wie Thomas Mann, Gerhard Hauptmann, Richard Strauss, Max Liebermann oder Detlef von Liliencron zählten zu den Stammgästen.
„Alles soll so wiederhergestellt werden, wie es vor einem Jahrhundert war“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Carolin Vogel bei einem Ortstermin, „als sei Richard Dehmel nur kurz spazieren gegangen.“ Mit viel Detailliebe und Sachverstand sind Fachleute seit Monaten am Werke. Als Projektleiterin der Hermann Reemtsma Stiftung verantwortet Carolin Vogel die Umsetzung. Unter dem Strich investiert die gemeinnützige Organisation mehr als zwei Millionen Euro. Ziel ist es, ein hanseatisches Vermächtnis von historischem Rang aufleben zu lassen.
Mit Blick auf den Strom lässt sich die Muse küssen
Die Geschichte ist spannend – von Anfang an. Im Alter von 38 Jahren zog es Richard Dehmel an die Elbe. Das maritime Flair in Blankenese, seinerzeit preußischer Vorort der Hansestadt, faszinierte ihn. Mit Blick auf den Strom, so sein Kalkül, ließe sich die Muse küssen. Anfangs wohnte das Ehepaar in einer Etagenwohnung in der Parkstraße 40, heute Am Kiekeberg. Nach Dehmels Geschmack und Vorstellungen ließ der Architekt Walther Baedeker auf eigene Kosten in der Nähe eine Villa errichten – in einer Mischung aus Klassizismus und Jugendstil. Markant waren und sind der winkelförmige Putzbau, das steile Dach sowie eine hohe Terrasse. Ein bisschen könnte Goethes Gartenhaus in Weimar Vorbild gewesen sein. Ostern 1912 bezogen die Dehmels ihr neues, gutbürgerliches Zuhause.
Auch um den Literaten vor Ort zu halten und nicht in andere deutsche Lande abwandern zu lassen, machten es ihm Freunde und Verehrer zum Geschenk. Anlass war der 50. Geburtstag des namhaften Dichters und Schriftstellers am 18. November 1913. Dort gründete Ida Dehmel auch den heute noch aktiven Verband Gedok, das europaweit größte Netzwerk für Künstlerinnen aller Gattungen.
Aus Furcht vor dem Naziterror beging Dehmel Selbstmord
Nach Richards Tod 1920 an den Folgen einer Kriegsverletzung hielt Ida Dehmel den Nimbus des Hauses als Treffpunkt der Künste aufrecht. Aus Furcht vor dem Naziterror beging die Jüdin 1942 Selbstmord. Bis 1992 blieb die Villa im Besitz der Nachfahren, doch fiel der Unterhalt zunehmend schwer. Nach und nach wurde die Hälfte des gut 2500 Quadratmeter umfassenden Grundstücks verkauft und ein Teil des Gebäudes vermietet. Vor knapp einem Vierteljahrhundert kaufte schließlich der schillernde Unternehmer Claus Großner die Immobilie in bester Lage. Auch mangels Masse investierte er praktisch nichts in den Unterhalt, sodass der bauliche Zustand immer maroder wurde.
Im Gegensatz zu Großners vor zwei Jahren abgerissener weißer Villa an der Elbchaussee 359 jedoch blieb das Haus an der heutigen Richard-Dehmel-Straße Höhe Blankeneser Landstraße stehen. Auch wenn das Haus jahrelang leerstand, vor sich hin rottete und aus Schutz vor Vandalismus verbarrikadiert war, blieb das Inventar als Gesamtkunstwerk erhalten. Mit enormen Anstrengungen, an denen Grossners Testamentsvollstrecker Klaus Landry entscheidend beteiligt war, wurde der Erhalt eines Kleinods Hamburger Kulturgeschichte gesichert. Die Federführung hat die zu diesem Zweck am 18. Dezember 2013 – dem 150. Geburtstag Richard Dehmels – gegründete Dehmelhaus Stiftung inne.
Nicht nur das Gebäude, sondern auch die Einrichtung steht unter Denkmalschutz
Als deren stellvertretende Vorsitzende fungiert Projektleiterin Carolin Vogel. Von ihr beauftragte Fachleute haben alle Hände voll zu tun, die heruntergekommene, von Grund auf marode Villa zu renovieren. Das gesamte Mobiliar, insgesamt fast 300 Einzel-stücke, wurde ausgelagert und aufgearbeitet. Ein großer Teppich kam in die Hände einer Textilrestauratorin. Eine Spezialfirma aus Essen zog die uralten Tapeten behutsam von den Wänden und bereitete sie auf. Im April sollen sie wieder originalgetreu aufgeklebt werden. Die ursprünglichen Lampen, ein Teil des Geschirrs, Bilder, Bücher und Fotos sind trotz des begonnenen Verfalls überraschend gut erhalten.
Die Restaurierung des Mobiliars hat der Familienbetrieb Broschke aus Potsdam übernommen. Das kleine Traditionsunternehmen machte sich durch Arbeiten im Schloss Ludwigslust, im Schloss Sanssouci oder im Gästehaus der Bundesregierung einen Namen. „Die guten Stücke aus dem Dehmel-Haus sind mehr als hundert Jahre alt“, sagt Ralph Broschke, „doch ist die Substanz hervorragend.“ Nun sehen die Möbel wieder aus wie früher.
Tischlermeister Rolf Bormann aus Stellingen und seine beiden Mitarbeiter sind seit zwölf Monaten mit den Holzarbeiten beschäftigt. Sie nahmen 350 Scheiben vorsichtig heraus und setzten sie wieder ein. Zwischendurch wurden die Kieferrahmen aufgearbeitet, die Sprossen erneuert. Nicht nur das Gebäude, sondern auch die Einrichtung steht unter Denkmalschutz. Das Ensemble aus Haus, Interieur und Garten soll zukünftig Ehre für die Kunstgeschichte der Hansestadt einlegen – so wie einstmals.
Im Souterrain informiert später eine Ausstellung über das Leben und künstlerische Wirken der Dehmels
Läuft es nach Plan, soll im Herbst alles komplett fertig sein. Das Obergeschoss wird vermietet, um den laufenden Unterhalt zu finanzieren. Im Souterrain informiert später eine Ausstellung über das Leben und künstlerische Wirken Ida und Richard Dehmels. Nach Anmeldung werden Führungen durch das Erdgeschoss organisiert. Dort kann sich jeder ein Bild machen vom Alltag eines berühmten Literaten. Uralte Fotos helfen, den Originalzustand herzustellen.
Sogar Richard Dehmels Brille und sein Füllfederhalter konnten gerettet werden. Nach und nach kommt jetzt alles wieder an seinen Platz. Die bald wieder im Dichterzimmer aufgestellte Urne aus Bronze beweist indes, dass die Vorstellung, er sei nur mal kurz weg, doch nur ein Traum ist.