Blankenese. Viele Jugendliche trinken vor allem am Wochenende exzessiv Alkohol. Eltern sind alarmiert. Das Abendblatt sprach mit zwei Experten.
Es ist ein bitterböses Lied, das da zurzeit in den Elbvororten die Runde macht. Schüler hören es während der Pausen, auf Partys gehört es zum Programm. Es ist nicht mehr neu – aber aktueller denn je. Die Interpreten nennen sich „Die Elite“ und besingen in näselndem Tonfall die „Elbvororte Partymeile“. Der gezielt überhebliche Text karikiert Lebensweise und Auftreten der Jugendlichen – Vaters Luxusauto kommt natürlich ebenso vor wie teure Klamotten und die angeblich elitären Sportarten. Und noch ein weiterer Aspekt wird besungen: exzessiver Alkoholkonsum.
Am Anfang deuten es die Interpreten noch an: „Mein Geld und ich/ Hamburg West/Wir sind stets dicht/ Hamburg West.“ Im weiteren Verlauf wird dann klargemacht, was mit „stets dicht“ gemeint ist: „Elbvororte Wodka kaufen/heute mach ich Komasaufen.“
Unmissverständlich schließlich diese Passage: „Stammbesuch im Krankenhaus/die pumpen mir den Magen aus/scheiß drauf, ich bin heiter/Flasche her, es geht gleich weiter“.
Alkoholkonsum ist großes Thema in den Elbvororten
Manche finden den Text witzig, andere empören sich darüber. Fakt ist: Der massive Alkoholkonsum bei Jugendlichen, vor allem an den Wochenenden, ist in den Elbvororten ein großes Thema. Viele Eltern betrachten mit Sorge, wie enthusiastisch sich ihr Nachwuchs regelmäßig „die Kante“ gibt, und nicht selten laufen Feten nach harmlosem Start völlig aus dem Ruder. Bei Flatrate-Partys wird Bier gleich kistenweise konsumiert, Wodka, Wein und Alkopops gehören zu selbstverständlichen Mitbringseln – oft schon bei 16-Jährigen. Auch viele Lehrer sind genervt: Klassenreisen arten immer mal wieder zu Sauftouren aus – Unfälle und vorzeitige Rückreise inklusive.
Der 17 Jahre alte Schüler Jonas, der seinen Nachnamen nicht nennen will, erzählt: „Freitags treffen wir uns regelmäßig, um irgendwo einen draufzumachen. Momentan ist der Jenischpark angesagt oder die Wiese hinter dem Derbygelände Klein Flottbek. Ein Treffpunkt ist auch der Jeppweg am Bahnhof Othmarschen. Mit fünf bis sechs Bier ist jeder dabei – und das nur als Einstieg. Die 18-Jährigen schleppen kistenweise Bier an, auch Jägermeister ist zurzeit total angesagt.“ Jonas erzählt viel Unerfreuliches. Schon Achtklässler seien bei den Gelagen dabei, häufig die Geschwister der Älteren. Kürzlich wurde ein großer „Bierathlon“ veranstaltet – ein geistloser Wettkampf, bei dem unter anderem jeweils zwei Teilnehmer eine ganze Kiste Bier leeren müssen.
Auch „Flunky Ball“ wird im Jenischpark exzessiv gespielt. Dabei geht es darum, möglichst viel Bier möglichst schnell zu trinken, während die gegnerische Mannschaft versucht, eine umgekickte Plastikflasche aufzustellen.
Dass Achtklässler dabei sind, ist eher Regel als Ausnahme
Derartige Saufgelage bei Jugendlichen kommen natürlich hamburgweit vor. Aber laut Kai Wiese von der Beratungsstelle „Jugend hilft Jugend“ gibt es immer wieder auch Schwerpunktgebiete. Beliebte Treffpunkte seien im Sommer natürlich auch Parks und Wiesen in der ganzen Stadt. Dass auch Achtklässler dabei sind, sei eher die Regel als die Ausnahme. „Und in gewisser Hinsicht ist es ja sogar auch normal, sich während der Adoleszenz auszuprobieren. Gefährlich wird es, wenn die Jugendlichen denken, dass sie gegen eine Sucht immun sind.“ Grundsätzlich sei die Zahl der jugendlichen Intensivtrinker zurückgegangen, das Problem bestehe aber in der ganzen Stadt.
Viele Eltern sind ratlos: Ist das Ganze nun schon alarmierend, oder schlagen die pubertierenden Kids nur phasenweise über die Stränge, so wie das zu allen Zeiten der Fall war?
Fakt ist: Jugendliche machen an den Wochenenden zwar gerne „einen drauf“, aber die überwiegende Zahl beschäftigt sich unter der Woche genauso enthusiastisch mit Leistungssport oder dem Erlernen eines Instruments. Und klar ist auch: Die schulischen Leistungen werden nicht automatisch schlechter. Wenn an einigen Gymnasien in den Elbvororten regelmäßig bei fast 50 Prozent der Abiturjahrgänge im Abschlusszeugnis eine Eins vorm Komma haben, kann es um die Leistungsbereitschaft nicht so schlecht bestellt sein.
„Das Aufwachsen in geordneten Verhältnissen ist keine Garantie dafür, dass Suchtverhalten bei Kindern und Jugendlichen ausbleibt“, erläutert Prof. Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE).
Hier bekommen Familien Rat und Hilfe
Kinder aus gutem Hause trinken nicht weniger als andere Jugendliche
Prof. Thomasius ist Co-Autor des Buches „Wenn Jugendliche trinken“ (Trias, 160 S.), das viele Infos zum Thema liefert und mit einer ganzen Reihe von Halbwahrheiten aufräumt. Unter anderem wird dort festgehalten: Der Sozialstatus macht keinen Unterschied in der konsumierten Alkoholmenge aus. Und: Gymnasiasten trinken ähnlich viel wie Haupt- oder Berufsschüler.
Entscheidend seien letztlich die Faktoren, die dazu beitragen, dem täglichen regelmäßigen Trinken, das rasch in die Abhängigkeit führt, einen Riegel vorzuschieben. Und hier haben Jugendliche, die in „guten“ Gegenden aufwachsen, deutlich bessere Chancen als ihre Altersgenossen aus sozialen Brennpunkten. Denn angefangen bei den intakten Elternhäusern mit konsequenten Erziehungsberechtigten über die stabilen Freundeskreise bis hin zur Hockey- oder Musikgruppe: Je klarer der Alltag strukturiert ist und je mehr Menschen einen möglicherweise zu hohen Alkoholkonsum bemerken und sanktionieren, desto besser.
Konkret bedeutet das: Eltern, die hin und wieder ein Auge zudrücken, sich bei Partys verziehen und am nächsten Tag stillschweigend die leeren Flaschen mit wegräumen, machen eigentlich alles richtig. Denn sie zeigen ihrem Nachwuchs, dass sie ihm vertrauen – und tragen so zur Festigung der Persönlichkeit Entscheidendes bei. Wichtig ist aber, den Alkoholkonsum der Kids im Blick zu behalten und bei dem Verdacht auf suchtähnliches Verhalten konsequent einzuschreiten.
Der renommierte Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKE, Prof. Michael Schulte-Markwort, bezeichnet die Entwicklung denn auch als „wenig dramatisch,“ warnt aber auch vor Verharmlosung. Immerhin müsse man den Jugendlichen zugestehen, dass sie so diszipliniert seien, ihren Alkoholkonsum vor allem auf das Wochenende zu beschränken. Das sei bei echter Abhängigkeit nicht möglich. „Die Situation ist nach meinen Beobachtungen nicht wirklich alarmierend“, so Schulte-Markwort. „Ich höre aber von Kollegen, dass es durchaus Entwicklungen gibt, die zur Sorge Anlass geben.“
Trinkende Jugendliche in den Elbvororten – die Situation scheint in der Tat noch nicht wirklich dramatisch. Es gibt allerdings eine Entwicklung, die beiden Experten Sorge bereitet. Es geht um die stark angestiegenen Leistungsanforderungen, denen Jugendliche in Zeiten von Schulzeitverkürzung und Globalisierung ausgesetzt sind. Laut Prof. Thomasius gehen damit häufig Enttäuschungen, „Kränkungserlebnisse“ sowie teilweise anhaltende Belastungen durch Stress einher, die Jugendliche dann anfällig für Alkohol- oder sonstige Drogensucht machen.