Hamburg. Alan Gilbert ist neuer Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Das erste Interview mit dem Nachfolger von Thomas Hengelbrock.

Kurzes Durchatmen nach der Pressekonferenz, danach gab Alan Gilbert einige Einzelaudienzen im Green Room der Elbphilharmonie.

Hamburger Abendblatt: Was gab für Sie den Ausschlag für das Ja zum NDR? Das Orchester oder die Elbphilharmonie?

Alan Gilbert: Das kann ich gar nicht voneinander trennen. Da kam so viel zusammen – die gesamte Umgebung, die stimmende Chemie, die Beziehung mit dem Orchester, das Management. Wenn ich etwas gelernt habe im Job, dann ist es die Wichtigkeit von guten Partnern. Der Wille, gemeinsam etwas auszuprobieren. Das Konzerthaus ist ein absoluter game changer, mit seinen neuen Möglichkeiten und der enormen Begeisterung. Aber letztlich müssen wir noch mehr tun: Wir müssen das Gebäude mit Kultur, Musik und Schönheit füllen.

Das heißt: Ohne Elbphilharmonie wären Sie nicht gekommen?

Gilbert: Das ist eine hypothetische Frage. Ich fühle mich diesem Orchester sehr verbunden, und Europa ist meine musikalische Heimat.

Was wollen Sie anders machen als Thomas Hengelbrock – und was besser?

Gilbert: Ich finde es weder fair oder angemessen noch interessant, solche Vergleiche ­anzustellen. Und ich bin nicht hier, um gegen jemanden zu arbeiten.

Da Sie das Orchester so gut kennen: Was sind seine Stärken, was seine Schwächen?

Gilbert: Wir haben so viel Repertoire gespielt. Als Gastdirigent hatte ich die Repertoire-Ränder auffüllen wollen. Der Klang und die Intensität, der aufrichtige ­Zugang zur Musik, all das ist hier ­unglaublich stark. Und dieser neue Saal ermutigt und inspiriert, nach reichen und subtilen Klangfarben zu suchen, über den Klang nachzudenken und neue Mischungen zu finden.

Man hat mich in den letzten Tagen mehrfach gefragt: Für welches Repertoire steht dieser Alan Gilbert eigentlich? Eine einfache, schnelle Antwort hatte ich nicht parat.

Gilbert: Ist das eine wichtige Frage? Einige der Musiker, die ich bewundere, verweigern sich einfacher Kategorisierung, sie sind keine Spezialisten. Ich liebe Musik. Ganz ehrlich gesagt: Ich bin wirklich sehr froh bei Haydn, Mozart und Beethoven, in dieser Welt könnte ich leben ...

... „Ich bin jetzt viel schärfer auf Brahms als jemals zuvor“, haben Sie vor Kurzem erklärt. Da sind Sie in seiner Geburtsstadt ja richtig ...

Gilbert: Ja, das ist perfekt.

Sie sind bestimmt auch erleichtert, dass Sie aus den Umbau-Querelen rund um die ­David Geffen Hall, der Heimat der New Yorker Philharmoniker, raus sind. Hier wartet ein feiner, bespielbarer Saal auf Sie...

Gilbert: Das Orchester dort ist in einer Übergangsphase, ich bin weg, mein Nachfolger Jaap van Zweeden fängt noch lange nicht an, Debora Borda als neue Orchesterdirektorin wird erst aus Los Angeles nach New York kommen... Die Ironie ist mir durchaus bewusst.

Wo auf der klassischen Musik-Welt-Karte befindet sich das NDR-Orchester jetzt?

Gilbert: Es ist ein bedeutendes Orchester mit wunderbarer Historie. Es hatte immer einen besonderen Klang, den gibt es noch. Jetzt steht es unter verstärkter ­Beobachtung. Es sollte nach den selben Maßstäben beurteilt werden wie jedes andere Orchester, das hierherkommt.