Hamburg. Das NDR Elbphilharmonie Orchester präsentiert Alan Gilbert als neuen Chefdirigenten. Der Amerikaner soll zusätzlichen Schub bringen.

Eine Runde übers Elbwasser wandeln, nur das hätte noch ­gefehlt in der One-Man-Show, die als Krönungszeremonie im kleinen Max-Brauer-Foyer der Elbphilharmonie ­inszeniert wurde: Einmarsch der Chefetage des NDR Elbphilharmonie ­Orchesters, danach – keine allzu große Überraschung mehr – öffnete sich eine Saal-Tür und es ­erschien, leibhaftig, strahlend: Alan Gilbert.

Habemus Maestro, aber hallo.

Öffentlich-rechtlicher Applaus, Umarmungen, Freudentränen fast. Noch bis Ende dieser Saison ist der ­gebürtige New Yorker Chefdirigent des New York Philharmonic, bei einem Traditionsorchester, das schon von Mahler, Toscanini, Bernstein oder Boulez geleitet und geprägt wurde. Dessen Ruf immer noch glänzend ist, aber nicht mehr so prall glänzt, wie viele im Rest der Musikwelt meinen. Gilbert, 50 Jahre alt, ist von Haus aus auch Geiger, ein Kind des Orchesters, beide ­Eltern spielten dort Geige.

Alan Gilbert – „Wunschkandidat für alle“

Er war, beginnend in der Hamburger Ära unter Christoph von Dohnànyi, von 2004 bis 2015 Erster Gastdirigent des NDR-Orchesters – drei Jahre länger, als Thomas Hengelbrock am Ende seiner nicht verlängerten Amtszeit insgesamt Chef gewesen sein wird. Ein guter alter Bekannter.

„Wunschkandidat für alle“, wird der neue Klangkörper-Manager Achim Dobschall wenig später verkünden. Deswegen gab es auch gleich einen Fünfjahresvertrag, mit zwölf Präsenzwochen pro Spielzeit. „Alan Gilbert und Elbphilharmonie – das passt“, hatte NDR-Intendant Lutz Marmor kurz zuvor in laufende und ­online streamende NDR-Kameras zu Protokoll ­gegeben. Einer, den dieses ­Orchester, das spätestens seit dem Einzug ins neue Konzerthaus unter enormem ­Erfolgsdruck steht, sehr mag.

Gilbert: „Wir müssen das Gebäude mit Schönheit füllen“

Weil es ihn schon kennt, weil es ­bereits genau weiß, wie der nächste Chef bei der Arbeit tickt. Unangenehme Überraschungen nach dem Amtsantritt sind da wohl nicht zu ­befürchten. Keine schlechte Voraussetzung für ein neues Kapitel der nachdringlich ­gewünschten NDR-Erfolgsgeschichte im neuen Konzerthaus. Vielleicht aber auch nicht die richtige. Besen kehren am besten, wenn sie ganz neu sind.

Gilbert soll zusätzlichen Schub bringen

Doch nun jedenfalls, denn niemals wird man an der Elbe so ganz gehen gelassen, ist Alan Gilbert von Sommer 2019 an Nachfolger von Hengelbrock, der – spezielles Timing – just in diesen Tagen unentwegt Konzerte mit seinem Noch-Orchester in der Elbphilharmonie gibt. Und den im Verlauf der Pressekonferenz alle, aber wirklich alle Führungskräfte mit so viel Vehemenz für seine Leistungen lobten, als würde man sich nie nie nie voneinander trennen können. Kam dann ja aber sehr schnell anders. Wer wann warum die Trennung beschloss, darüber konnte man in den letzten Wochen lebhaft spekulieren, weil die offiziellen Zeichen so widersprüchlich waren.

Zusätzlichen Schub solle Gilbert bringen, hieß es nun aber von Marmor, diese Berufung sei ein Meilenstein in der Geschichte des Orchesters. Hörfunk-Programmdirektor Joachim Knuth sagte, der NDR wolle sich mit den Spitzenorchestern messen, was – tunlichst unausgesprochen bleibend – implizierte, so weit sei man selbst noch nicht. Gilbert sei ein genialer Musiker und ein akribischer Chefdirigent. Hengelbrock habe das Orchester belebt und geprägt und Großartiges geleistet, hatte Marmor zuvor betont.

Die „New York Times“ über Gilbert

Es folgte Andrea Zietzschmann, die nur noch zwei Wochen in der ­Musikstadt Hamburg ist, bevor sie im Herbst die Intendanz der Berliner Philharmoniker übernimmt. Die Situation jetzt, mit Gilbert am Horizont, sei eine riesengroße Chance und eine ebenso große Verantwortung. „Programmliche Ideen und Visionen gibt es bei Alan Gilbert zuhauf“, versprach sie. Welche das sein könnten oder sollen, blieb bei dieser Gelegenheit allerdings schön hinter den Kulissen, obwohl in diesen ­Wochen Planungs-Weichen für Gilberts erste Chef-Saison zu stellen sind.

Internationales Renommee unbestritten

Achim Dobschall, Zietzschmanns Nachfolger und frisch gekürter NDR-Klangkörpermanager, vorfreute sich vor dem Panorama-Fenster mit symbolischem Michel-Anblick als nächster Laudator ungemein. Gilberts internationales Renommee sei unbestritten, das Kernrepertoire läge bei ihm in den besten Händen. Alles andere aber eigentlich auch. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter, als Hausherr wichtigster programmatischer Dialogpartner, frohlockte danach, dass dessen Interesse für neu komponierte Musik bestens zu diesem Saal passe, Gilbert sei ein wirklich gutes Match.

Und Gilbert, dem der Kopf schwirren musste bei so viel verbalem Weihrauch? Eigentlich habe er noch keine feste Anschlussverwendung gesucht, doch bei der Elbphilharmonie hätten alle Zutaten gestimmt, revanchierte er sich. Alle wären so froh, den Weg in die Zukunft zu gehen. Die Elbphilharmonie sei ein perfekter Konzertsaal, schon jetzt Ikone. Gilbert und das NDR-Orchester sollen das jetzt auch schaffen. Am besten aus dem Stand.