Ärzte sitzen neuerdings nicht mehr in den Vorstellungen – dafür Rettungssanitäter. Und die müssen öfter helfen, als man denkt.

Der Große Saal der Elbphilharmonie ist ein architektonisches Meisterwerk – seine steilen Treppen haben aber schon viele Besucher zu Fall gebracht, wie auch das Konzerthaus-Management bestätigt. Bislang wurde dann einer der Theaterärzte gerufen, die in den größeren Hamburger Häusern im Einsatz sind. Für ihr ehrenamtliches Engagement erhalten sie im Gegenzug zwei Karten für gute Plätze – nicht nur in Hamburg ist das gute alte Tradition. Jetzt hat sich das neue Konzerthaus in der HafenCity entschieden, diese Kooperation zu beenden und Sanitäter einzusetzen. Die Notversorgung der mehr als 2500 Besucher in beiden Konzertsälen der Elbphilharmonie wurde bereits umgestellt.

Das Management hat sich wegen der Stürze für den Wechsel entschieden. Insbesondere der Große Saal stelle durch seine einmalige Architektur „erhöhte Anforderungen an die Trittfestigkeit der Besucher“, so Pressesprecher Tom R. Schulz. „Aufgrund mehrerer Stürze von Besuchern haben wir uns entschlossen, die Abläufe im Rahmen sanitätsdienstlicher Einsätze rasch zu optimieren. Im Zuge dessen werden wir in der Elbphilharmonie zukünftig einen Rettungs- und Sanitätsdienst einsetzen.“ Ein positiver Ne­beneffekt, aber nicht ursächlich für die Entscheidung sei, dass künftig vier zusätzliche Karten für Konzertbesucher zur Verfügung stünden.

Warum die Ärzte durch Sanitäter ersetzt werden, weiß man beim Bühnenverein nicht

Zunächst bis zum 23. April wolle man probehalber Sanitäter einsetzen, wurde dem Deutschen Bühnenverein, der in Hamburg 900 Theaterärzte vermittelt, in einem Schreiben vom 3. April mitgeteilt. Die Maßnahme wurde sofort umgesetzt: Medizinern, die sich für einen Dienst in diesem Zeitraum gemeldet hatten, musste der Bühnenverein absagen. „Es ist sehr unglücklich, dass diese Maßnahme so kurzfristig angekündigt und umgesetzt wird“, sagt Mitarbeiterin Nathalie Zacher vom Landesverband Nord des Bühnenvereins.

Dass bei Vorstellungen auf einen Theaterarzt verzichtet werde, ist in Hamburg aber kein Novum. Bei Musicals seien schon seit etwa zehn Jahren Sanitäter vor Ort, so Zacher. Warum die Elbphilharmonie den Theaterarzt-Service nun vorübergehend beendet habe, wisse sie jedoch noch nicht. „Eine Begründung wurde nicht angeführt.“

Sanitäter kennen sich mit Notfällen oft besser aus als Ärzte

Überflüssig war das Angebot der ärztlichen Versorgung jedenfalls nicht. Nach Informationen dieser Zeitung soll es gerade in den Wochen nach der Eröffnung in der Elbphilharmonie viele ärztliche Einsätze gegeben haben. Wie das Abendblatt erfuhr, war die Feuerwehr seit dem 15. Januar 17-mal mit dem Rettungswagen und viermal mit einem Notarzt-Einsatzfahrzeug zum Konzerthaus geeilt. Am häufigsten sollen akute Herz-Kreislauf-Probleme und Knochenbrüche, die sich Besucher bei Treppenstürzen zuzogen, der Grund gewesen sein.

Sanitäter des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) haben nun übergangsweise die ärztliche Versorgung im Haus übernommen. Auch dort sagt man: „Ohne den Theaterärzten zu nahe treten zu wollen: Nur die wenigsten sind auf die Versorgung von Notfällen spezialisiert“, sagt Michael Busch vom ASB. Sanitäter dagegen seien auch mit akuten Herz-Kreislauf-Problemen, Verstauchungen oder gar Knochenbrüchen vertraut.

In den Räumen kennen sich die ASB-Sanitäter bereits aus. „Wir waren schon bei den beiden Eröffnungsveranstaltungen und kleineren Konzerten vor Ort“, so Busch. Derzeit seien bei jedem Konzert zwei Zweierteams im Einsatz. Die Kosten für ein zweistündiges Konzert lägen bei 320 Euro: 20 Euro pro Mann und Stunde, das Gleiche jeweils für An- und Abfahrt. Es gebe andere Anbieter, die günstiger seien, räumt Busch ein: „Aber wir liefern zuverlässige Qualität.“

Eine Ausschreibung für die dauerhafte Sanitäter-Betreuung gibt es schon

Für die dauerhafte Betreuung durch Sanitäter hat die Elbphilharmonie nach Abendblatt-Informationen eine entsprechende Ausschreibung vorgenommen. An der will sich auch der ASB beteiligen. „Der Dienst in der Elbphilharmonie ist für unsere Mitarbeiter eine attraktive Angelegenheit“, so Busch auf Nachfrage. So hätten einige schon die Chance gehabt, an Konzerten teilzunehmen. Damit wird jetzt offenbar Schluss ein. Der Sanitätsdienst werde nicht in den Sälen, sondern in den hierfür vorgesehenen Räumen vor Ort auf Abruf in beiden Sälen einsatzbereit sein, so Elbphilharmonie-Sprecher Schulz.

Auch bei den Theaterärzten war die Elbphilharmonie ein begehrter Einsatzort. „Pro Termin hatte ich ungefähr 50 Anfragen“, sagt Nathalie Zacher. Von der Streichung dieses Angebots seien die betroffenen Ärzte sehr enttäuscht.

Neun Häuser in Hamburg setzen auf Theaterärzte

Die Vermittlung von Theaterärzten hat der Bühnenverein vor mehr als 30 Jahren von der Ärztekammer übernommen. Derzeit nehmen den Service neun Häuser in Hamburg wahr: Staatsoper, Laeiszhalle, Michel, Schauspielhaus, Thalia Theater, Ernst Deutsch Theater, Komödie Winterhuder Fährhaus, Ohnsorg-Theater und Schmidt Theater. Für die Vermittlung zahlen sie eine Monatspauschale im niedrigen dreistelligen Bereich. Findet sich für eine Vorstellung kein Arzt, wird das den Veranstaltern mitgeteilt. Ob sie dann Sanitäter ordern, bleibt ihnen überlassen. Die Anwesenheit eines Theaterarztes ist rechtlich nicht vorgeschrieben – auch nicht in Häusern wie der Elbphilharmonie.

Um die Enttäuschung bei den Theaterärzten, die sich für April bereits zum Dienst gemeldet haben, gering zu halten, hat sich das Elbphilharmonie-Management spontan entschlossen, die Arztplätze im April noch vorzuhalten.