Hamburg. Das New York Philharmonic kombinierte in der Elbphilharmonie Salonens Cellokonzert mit Mahlers 4. Sinfonie.

Die Eintrittskarte war für ein Elbphilharmonie-Konzert, wie auch sonst so oft in den letzten Monaten. Doch zwischen den Ticket-Zeilen gelesen war der erste der beiden Auftritte des New York Philharmonic einiges mehr als zwei nacheinander ­gespielte Stücke.

Nimmt man die Breite des fröhlichen „Hello again!“-Grinsens von Yo-Yo Ma beim ­Betreten des Großen Saals als ­Bezugsgröße, wird sein mittlerweile dritter Abräumer-Abend in wenigen Wochen hoffentlich nicht der vorerst letzte mit dem weltweit begehrten Cellisten ­gewesen sein. Für die Akustik des Raums war das Gastspiel im Rahmen des „New York Stories“-Festivals eine weitere Beweisführungsrunde, dass Spitzenorchester in ihm aus dem Stand spielerische Wunder vollbringen können. Für Mahler-Interessenten ­allerdings, die von Bernsteins und Boulez’ ehemaligem ­Orchester gern eine exemplarisch hinterfragte Vierte auf entsprechendem Niveau gehört hätten, war der zweite Teil des Abends zwiespältig, freundlich ausgedrückt.

Yo-Yo Ma, das ist Extremklettern nach Noten

Zunächst jedoch stand eine 30-minütige Sternstunde mit Yo-Yo Ma an, der das gerade mal wenige Wochen alte Cellokonzert von Esa-Pekka Salonen so sicher präsentierte, als hätte er es bereits seit Jahren im Repertoire. Maßarbeit, für ihn und wohl nur von ihm zu bewältigen, Extremklettern nach Noten, die halbwegs einfachen Stellen muss man darin mühsam suchen. ­Andere Cellisten würden sich nach wenigen Takten Gedanken über Umschulungsmaßnahmen machen, Yo-Yo Ma stürzte sich mit aller Vehemenz und Spaß am Risiko ins Opus.

Die Musik der Doppelbegabung Salonen, der ja auch als Dirigent Erstligist ist? Eine ätherische, klangfarbensatte Mischung aus Andeutungen und Melodie-Kondensstreifen, die im Part des Cellos erst allmählich verbindlichere Formen annehmen, aber nie verklumpen oder den Boden berühren. Bestechend virtuos orchestriert, mit einer Aura, die an den rätselhaft schönen Anblick eines Kometenschweifs auf nächtlicher Durchreise erinnert. Debussy trifft auf „Star Trek“ und teilt sich die Umlaufbahn mit dem Space Cowboy Ligeti.

Der Komponist Esa-Pekka Salonen

Im zweiten Satz wurde der Cello-Part von kurz zuvor aufgenommenen Motiv-Schleifen begleitet. Das Finale durchzog die Begeisterung des Kosmopoliten Yo-Yo Ma, dem Salonen einen Percussionisten als weltmusikalische Assistenzstelle an die Seite komponiert hatte, bevor das Solo-Cello in den letzten Momenten in sphärische Höhen abhob – als eigenes, elektronisch verfremdetes Echo wie ein Traum-Rest im Saal. Ein atemraubender Special Effect aus Transzendenz und Anmut, gefolgt von begeistertem Beifall.

Mahlers Vierte nach der Pause war eines dieser eigenartigen Konzerterlebnisse, bei denen sich die Exzellenz des Orchesters von den Möglichkeiten des Dirigenten loslöst und ein stolz durch die Partitur vagabundierendes Eigenleben zu führen beginnt. Einer dieser Abende, bei denen sogar die Musiker-Kamelle „Auf einer gestimmten Geige kann jeder spielen ...“ mit ihrem böse wahren Quäntchen Kern verdient wirkt.

Superbe Bläser

Da das Orchester vom Noch-Chefdirigenten Alan Gilbert nicht grundsätzlich erfuhr, was er mit dem Stück vorhatte, machte es sich kollektiv einen schönen Abend vor dankbarem Publikum. Einen letztlich zu harmlosen Abend, ausgerechnet mit der Abgründigkeit Mahlers, der genutzt wurde, mit instrumentaler Brillanz zu glänzen, statt interpretatorische Absichten herauszuarbeiten, die oberhalb schöner Stellen Sinn gestiftet hätten.

Superbe Bläser, ein grandios treffsicherer, aber selbstverliebter Erster Hornist, der sich offenbar in seine Stimme „Ein Hornkonzert, nur für mich“ notiert hatte, obwohl es um eine Sinfonie für alle ging. Gilbert ließ sehr viel Verbindlichkeit durchgehen, aber das Gesamtergebnis – das muss man den New Yorkern lassen und zugestehen – klang schlicht großartig.

„Never change a winning team“

Und dieser Wow-Effekt, der hier zuletzt bei den Kollegen aus Chicago mit deren Über-Maestro Muti auftrumpfte, wurde noch dadurch verstärkt, dass die New Yorker, ihrer heimischen Hör- und Spielroutine treu bleibend, bei diesem Saaldebüt cool auf die Bühnenpodeste verzichteten, die eine andere Art der Klangstaffelung geboten hätten. Geht doch auch so, signalisierte das, nach der All-Star-Devise „Never change a winning team“. Christina Landshamers taufrisch klarer Sopran, mit dem sie die „himmlischen Freuden“ konfirmandenbrav im vierten Satz besang, passte ins Bild, weil auch an dieser Stelle viel gekonnt, aber zu wenig gewollt wurde.

Morgen schon geht die Mahler-Langstrecke der ersten Spielzeit weiter: mit dem NDR-Orchester, Eschenbach und der Sechsten, bevor Ende April Generalmusikdirektor Kent Nagano mit seinen Philharmonikern und der monumentalen Achten das Fassungs- und Leistungsvermögen des Großen Saals bis zum Anschlag ausreizt. Die Dirigenten-Messlatte liegt weiter hoch.

Das ist der Beweis: In der Elbphilharmonie klingt alles gut

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