Hamburg. Elbphilharmonie-Intendant scherzte über den Besucherandrang. Mittwoch waren 30.000 Tickets nach weniger als zwei Stunden ausverkauft.
„Wir würden den Großen Saal momentan auch mit dem Kammblasen unserer Putzfrauen füllen“, frotzelte Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter vor vier Wochen, bei seiner Rede zur Eröffnung des Kleinen Saals. Das war natürlich ironisch überspitzt. Aber nur ein bisschen. Schließlich sind selbst die Konzerte der Reihe „Blind Date“ restlos ausverkauft, bei der man vorher überhaupt nicht weiß, was kommt und klingt.
Insgesamt übertrifft der Ansturm alle Erwartungen; das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte seine „Konzerte für Hamburg“ als Residenzorchester ebenso vor voller Hütte wie die internationalen Gaststars von Riccardo Muti bis Yo-Yo Ma. Die spannende Frage ist, wie lange das so bleibt. Und ob sich da bloß ein hysterischer „Elphi“-Tourismus oder doch ein stabiler Trend artikuliert, der möglicherweise die gesamte Klassik-Szene in Hamburg mitzieht.
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Burkhard Glashoff, Geschäftsführer und Programmplaner der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette, schwärmt von der positiven Sogkraft der Elbphilharmonie. „Das sehe ich besonders deutlich an unserer ,Meisterpianisten‘-Reihe, mit der wir in der Laeiszhalle geblieben sind. Dort haben wir in dieser Saison 20 Prozent Zuwachs bei den Abos und auffallend große Nachfrage bei Einzelkarten.“
Der Leuchtturm Elbphilharmonie strahle auch auf die Laeiszhalle ab und stelle das Programm in neues Licht. „Ich glaube schon, dass viele Besucher nach Konzerten in der Elbphilharmonie suchen und dabei unser erstklassiges Angebot in der Laeiszhalle entdecken. Dadurch profitieren wir auch als privater Veranstalter von der erhöhten Aufmerksamkeit; die Hamburger nehmen jetzt bewusster wahr, dass sie die Wahl zwischen zwei hervorragenden Hallen haben – ich spüre insgesamt größere Offenheit.“
Neugier und Diskussionen
Keine Frage, die Elbphilharmonie weckt Neugier und regt Diskussionen an. Das lässt sich etwa mit schöner Regelmäßigkeit abends in der U 3 beobachten – wenn zwischen den Haltestellen Landungsbrücken und Baumwall plötzlich über die Vor- und Nachteile der Akustik und der Weinbergform debattiert wird, und zwar nicht nur unter eingefleischten Klassik-Kennern. Da ist etwas in Bewegung gekommen.
Auch Georges Delnon registriert den frischen Wind, der durch das Kulturleben seiner Wahlheimat weht. „Ich erlebe ein anderes Selbstbewusstsein in Hamburg.“, sagt der Staatsopern-Intendant, der den Mentalitätswandel als große Chance empfindet. „Die Lust, Musik zu hören und sich neuen Erfahrungen zu öffnen, ist gestiegen; das macht uns alle natürlich selig, weil wir Dinge ausprobieren können.“
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Als oberster Dienstherr des Philharmonischen Staatsorchesters freut sich Delnon über die Möglichkeiten, die sich im Großen Saal bieten. Andererseits stehen die Abendvorstellungen der Oper in direkter Konkurrenz zum neuen Konzerthaus. Doch das sieht Delnon nicht als Nachteil: „Die musikalische Vielfalt ist hier jetzt ein bisschen mehr wie in Berlin, wo man sich ja auch jeden Abend zwischen mehreren hochklassigen Angeboten entscheiden kann.“
Ein wichtiger Faktor dieser Vielfalt sind die Symphoniker Hamburg, die – anders als das NDR Elbphilharmonie Orchester und die Philharmoniker – selten in der Elbphilharmonie spielen und sich stattdessen als Residenzorchester an die Laeiszhalle gebunden haben. Die Wertschätzung des Publikums für diese Entscheidung sei nach der Eröffnung der Elbphilharmonie ungebrochen und vielleicht noch gestiegen, bemerkt Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel.
Positive Entwicklung
„Das Bewusstsein für die Qualität des Saals wird durch das neue Konzerthaus geschärft, weil man die Wärme und Tiefe des Klangs in der Laeiszhalle durch den direkten Vergleich noch ganz anders wahrnimmt als vorher.“ Seine Konzerte sind derzeit besonders gut ausgelastet – deshalb macht er sich keine Sorgen um die Treue des Publikums und betrachtet das neue Haus nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung. „Das Interesse am Thema Musik ist durch die Elbphilharmonie generell gewachsen, nicht erst seit der Eröffnung, sondern seit Beginn des vergangenen Jahres. Das ist eine positive Entwicklung, von der wir alle profitieren können.“
Auf diesen Trend setzt naturgemäß auch die Hamburger Camerata, die es als eigenfinanziertes Kammerorchester nicht leicht hat, sich zu behaupten. Das Ensemble, das 2016 sein 30-jähriges Bestehen feierte, hofft, dass seine wertvolle Basisarbeit und die vielfältigen Programme auch in der neuen Zeitrechnung anerkannt werden – aber für eine Bilanz sei es so kurz nach der Elbphilharmonie-Eröffnung noch zu früh, sagt Pressesprecherin Sabine Hengesbach.
Stärkere Anziehungskraft der Musik
Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensembles Resonanz, sieht dagegen schon jetzt Anzeichen für eine stärkere Anziehungskraft der Musik – und zwar nicht nur bei den Residenzkonzerten im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. „Unser einziges Resonanzen-Konzert in der Laeiszhalle im Mai ist schon jetzt viel besser verkauft als die Programme in früheren Spielzeiten“, sagt Rempe und ergänzt: „Ich bin mir sicher, dass die Elbphilharmonie die Musik in Hamburg an allen Orten und in allen Szenen eher pusht als ausbremst.“
Frischen Rückenwind aus der HafenCity spüren auch kleinere private Veranstalter. Das gilt zumindest für die Hamburgische Vereinigung von Freunden der Kammermusik, die an beiden Spielorten gastiert und jetzt auch bei Laeiszhallen-Konzerten steil ansteigende Nachfrage verzeichnet. Der Zuspruch ist der Lohn für das attraktive Angebot und die persönliche Ansprache der Hörer, steht aber auch in engem Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Euphorie – die bei manchen allerdings zu einer Gegenbewegung führt.
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Davon profitiert die Reihe mit ihrem Bekenntnis zur Tradition, wie der Vereinsvorsitzende Ludwig Hartmann erklärt: „Bei den Abonnements am Freitag im Kleinen Saal der Laeiszhalle haben wir erstaunlich starken Zuwachs gerade von den Hörern, die keinen anderen Ort und keinen anderen Wochentag als den wollen, den sie lange kennen und schätzen.“
Die Sogkraft der Elbphilharmonie wirkt also sogar in der anderen Richtung – wenn sich Klassik-Fans zwar gegen den neuen Saal, aber dafür umso bewusster für die Dauerkarte zum Konzertbesuch in der Laeiszhalle entscheiden. Da treten auch garantiert keine kammblasenden Putzfrauen auf.