Hamburg. In „Elbphilharmonie Revisited“ treten internationale Künstler in den kreativen Dialog mit Hamburgs neuem Wahrzeichen.
Das Wasser der Elbe plätschert, die Möwen fliegen in kleinen Schwärmen im dämmrigen Nieselregen, wie sie es wohl schon vor tausend Jahren getan haben. Ein Moment von Ewigkeit schleicht sich in den Film-Essay „Sang und Klang“ ein, den Uli M. Fischer über die wechselvolle Entstehungsgeschichte von Hamburgs neuem Konzerthaus gedreht hat. Wer die Ausstellung „Elbphilharmonie revisited“ in den Deichtorhallen besucht, trifft auf genau diesen Film als erstes, unterlegt von neu eingelesenen Debattenbeiträgen aus der Bürgerschaft und dem Untersuchungsausschuss.
Ein multidimensionaler Dialog
Es ist ein multidimensionaler Dialog, den zwölf internationale Künstler in dieser ungewöhnlichen Ausstellung mit Hamburgs neuem Wahrzeichen aufnehmen. Ein Dialog aus Musik, Architektur, Sperrmüll, digitaler Technik, Tanz, Film, Interview, Fotografie, Zeichnung und purer Natur. Hochspannend – und zeitintensiv. Wer wirklich alle zwölf Positionen auf sich wirken lassen will, sollte zwei Stunden Zeit zum Zuhören, Schauen, Beobachten und Überlegen mitbringen.
Gewissermaßen als Erste unter Gleichen überformen die Schöpfer der Elbphilharmonie, Jacques Herzog & Pierre de Meuron, die gesamte Halle mit ihrer Ausstellungsarchitektur, die zunächst mal den Körper des Besuchers eng zwischen sehr hohen weißen Würfeln hindurchführt, um ihn sogleich in die erste weite, lichte Fläche frei zu lassen. Der Wechsel zwischen geführten und freien Wegen erinnert hin und wieder an das Konzerthaus – und die schräg stehenden White Cubes dienen nicht nur als enge Boxen, um diverse Filme abzuspielen oder (Klang-) Installationen zu ummanteln, sondern sie gelten auch als – übrigens kritisch hinterfragbarer – Inbegriff zeitgenössischer Kunstpräsentation.
Manche Fotos wirken fast abstrakt
Weiß bleibt auch sonst alles, was Herzog & de Meuron ausgewählt haben, um die Gesamtheit der ausgestellten Kunst zu ästhetisieren. Die großen, fast über eine ganze Hallenlänge einander gegenüber gehängten, in typischer Weise aseptischen Architekturfotos der renommierten Fotokünstlerin Candida Höfer etwa sind weiß gerahmt. Manche der Fotos wirken fast abstrakt, andere lassen erahnen, dass Höfer ab und zu ganz hingerissen gewesen sein muss.
Sehr anschaulich wird es dort, wo es die von Höfer fotografierten Archivregale aus dem Baseler Architekturbüro auch leibhaftig in die Ausstellung geschafft haben: Sämtliche Entwürfe, aus Drahtklammern, durchlöchertem Blech, aus Pappe oder Papier, stehen darin sorgsam aufgereiht. Spätestens hier erkennt man, dass auch Herzog und de Meuron sich offenkundig, was etwa das schneckenhausförmige Treppenhaus oder den Großen Saal des Konzerthauses angeht, von der Natur haben inspirieren lassen.
Lebende Spinnen und die sozialutopische Architektur
Schlüssig ist daher der kurze Weg zum leisesten, vielleicht faszinierendsten Kunstwerk von Tomás Saraceno, der sich seit Langem anhand lebender Spinnen mit sozialutopischer Architektur befasst. Die von einer Lampe angestrahlte Spinne hat ein Netz gesponnen, dessen Struktur an die des Großen Saals erinnert, der ja auch ein sozialutopisches Potenzial hat. Friedlich bleibt die Spinne an ihrem Platz, weil sie ständig gefüttert und abends von einer zweiten „abgelöst“ wird.
Eine weitere Verbindung zwischen lebendiger und toter Materie, zwischen Kreatur und Stein, Kunst und Arbeit veranschaulicht die Multimediakünstlerin Tacita Dean mit ihrem 16-mm-Film „Craneway Event“. Gedreht hat sie ihn in einer ehemaligen Ford-Autofabrik in San Francisco. Doch hat der große alte Mann des modernen Tanzes, Merce Cunningham, den man hier am Rand im Rollstuhl sitzen sieht, die leere, funktionale Industriearchitektur (analog zum Kaispeicher, auf dem die Elbphilharmonie gebaut wurde) genutzt, um darin mit Tänzern zu arbeiten – nur geleitet von den Geräuschen der Füße und der Umgebung. Das Sonnen-Gegenlicht erzeugt Unschärfen und Überblendungen, und die Choreografie bewegt sich zwischen rhythmischer Ordnung und der totalen Freiheit des Selbstausdrucks.
Die Welt des Bauens, der das Konzerthaus gerade entwachsen ist, mit ihren harschen Kanten und rauen Oberflächen, lässt der Belgier Peter Buggenhout assoziativ aufscheinen, indem er Metallgestänge, Bauzaunholz und Gipskartonplatten zu einer turmhohen Skulptur arrangiert. Zugleich macht er das Innenleben fertiger Architektur sichtbar und kreiert eine wirkungsmächtige Metapher für die schnell und schlecht zusammengeschusterte globalisierte Welt mit ihren zahllosen Verwerfungen. Sehr gut passt dazu eine aufschlussreiche Arbeit von Monica Bonvicini, die die Verbindung von harter Arbeit und Sexualität aufgreift und Bauarbeiter unter anderem fragt, was ihre Frauen zu ihren rauen Händen sagen.
Die Werke in der Ausstellung sind noch weit vielschichtiger. Sie zeigen, was der Deichtorhallen-Direktor und Kurator Dirk Luckow auf der Pressekonferenz sagte: Nämlich dass „das Jahrhundertbauwerk Elbphilharmonie großen Einfluss auch auf die anderen Kultur- und Kunsthäuser haben wird“.
„Elbphilharmonie Revisited“ Deichtorhallen (U Steinstraße), Deichtorstraße, bis 1. Mai, Di–So 11.00–18.00, jeden ersten Do bis 21.00, Eintritt 10,-/6,-