Hamburg. Gesichtsleser Kristian Beckmann analysiert das Gesicht von Abendblatt-Redakteurin Elisabeth Jessen. Was sie mit Picasso und Einstein verbindet.

So vieles steht einem offenbar ins Gesicht geschrieben – das Leben hat den Stift geführt. Der Hamburger Gesichtsleser Kristian Beckmann sagt, er könne in einem Gesicht anhand von nur wenigen Fotos Charaktereigenschaften, Talente, Interessen und Vorlieben eines Menschen erkennen. In China hat diese Kunst eine lange Tradition.

Doch wie läuft das Lesen in einem Gesicht ab? Abendblatt-Redakteurin Elisabeth Jessen hat den Selbsttest gemacht und sich beziehungsweise ihr Gesicht zur Verfügung gestellt:

Selbstversuch beim Gesichtsleser: Was mich mit Picasso und Einstein verbindet

Vor unserem Termin bekommt Kristian Beckmann drei Fotos, auf denen ich lächle und mir selbst gefalle sowie drei Fotos, die frei von jeder Mimik sind. Zu dem Treffen mit dem Gesichtsleser gehe ich dann mit einer gehörigen Portion Skepsis, aber bin auch neugierig. Beckmann sagt, er habe sich die Fotos als Vorbereitung etwa zweieinhalb Stunden genau angeschaut und mein Gesicht analysiert.

„Sie haben ein Kübelgesicht!“, ist die erste Aussage des 36-Jährigen. Es sei geformt wie ein klassischer Blumentopf. Das klingt nicht sehr schmeichelhaft, doch der Nachsatz wird schon erfreulicher: Menschen mit solchen Gesichtern seien Visionäre. Auch Pablo Picasso und Albert Einstein hatten Kübelgesichter. „Solche Menschen ziehen los. Für sie reichen Träume nicht, sie setzen ihre Träume um. Das passt bei Ihnen auch ganz gut. Sie verfolgen Ihre Ideale, auch wenn Widerstände kommen.“

Gesichtsleser: Lippen zeigen „große Umsetzungskraft“

Dann geht es um die Lippen: „An Ihrer Unterlippe kann man sehen, dass Sie eine große Umsetzungskraft haben“, sagt der Gesichtsleser. Meine Unterlippe weise auf „sehr viele Kraftreserven und viel Ausdauer hin, auf seelischer, aber auch auf körperlicher Ebene“. Das klingt recht positiv, entschädigt mich aber nicht wirklich für meine eher schmale Oberlippe.

Elisabeth Jessen
Abendblatt-Redakteurin Elisabeth Jessen auf einem der Fotos mit Mimik, die der Gesichtsleser vorab bekommen hat. © Axel Leonhard | Axel Leonhard

Beckmann bescheinigt mir des Weiteren ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl mit meinem Partner und eine große Nähe zu meiner Familie, „aber Sie sind eine Person, die auch ihren eigenen Raum, ihre Freiheit braucht.“ Das erkenne man auch an meiner Nase.

Kristian Beckmann sieht zwei unterschiedliche Gesichtshälften

Auch meine beiden unterschiedlichen Gesichtshälften geben seinen Angaben zufolge viel von mir preis: „Alles, was in unserem Inneren passiert, finden wir auf unserer linken Gesichtshälfte wieder. Alles, was im Außen passiert – der Job, das Umfeld, die Freunde –, finden wir auf der rechten Gesichtshälfte wieder. Ihr linker Nasenflügel ist viel weiter ausgeprägt als Ihr rechter“, sagt er. „Das steht dafür, dass Sie tatsächlich eine große Freiheit brauchen. Das passt auch zu Ihrer Grüblerfalte, die links sehr ausgeprägt ist.“

Beckmann erklärt die Unterschiede in meinen Gesichtshälften so: „Sie denken viel über emotionale Themen und persönliche Themen nach, haben aber eine große Gelassenheit im Äußeren.“ Das könne er auch an meiner Oberlippe erkennen, die allgemein für den Wunsch steht, über seine Gefühle zu sprechen. Meine ist ja eher schmal. „Sie behalten Ihre Gefühlswelt eher mal zurück. Sie sind eher Beobachterin.“ Das werde durch die minimale Wölbung über meinen Augenbrauen noch unterstrichen: „Sie steht dafür, dass Ihr Beobachtungssinn sehr, sehr geschärft ist. In Ihrem Gesicht steht auch, dass Sie erst einmal Beweise brauchen, bevor sie etwas annehmen.“

Gesichtsleser bescheinigt mir: „Sie sind eine gute Zuhörerin“

Er bescheinigt mir zudem, eine sehr gute Zuhörerin zu sein. „Sie wirken ruhig und entspannt. Das meinte ich damit, als ich sagte, Sie halten Ihre Gefühle fest und unter Kontrolle.“

Mein offenes Lächeln, bei dem ich Zähne und Zahnfleisch zeige, dass ich bereit sei, meinen Mitmenschen viel zu geben, ohne aufzurechnen, sagt der Gesichtsleser und erwähnt die sogenannte Kümmererfalte in meinem Gesicht. Dass sich meine Nächstenliebe als Falte manifestiert, finde ich allerdings weniger erfreulich. Beckmann gibt mir an dieser Stelle mit auf den Weg, meine eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Aber offenbar habe ich einen gewissen Selbstschutz entwickelt: „Wenn Sie das Gefühl haben, ausgenutzt zu werden, können Sie sehr böse werden“, liest er in meinem Gesicht. Oh ja, damit hat er recht.

Was die „Lehrmeister-Augenbraue“ über einen Menschen verrät

Beckmann liest darin auch beruflichen Ehrgeiz. „Sie können auf Überraschungen schnell reagieren. Sie sind willensstark, aber auch ein sehr empfindlicher Mensch. Sie tragen Spontanität und ein hohes Kommunikationstalent in sich und sind sehr ausdrucksstark. Sie können Informationen schnell verarbeiten und auch schnell handeln, sind vielseitig interessiert und multitaskingfähig.“

Diese Fähigkeiten erkenne man auch an den Augenbrauen. „Die Anzahl der Härchen zeigt, wie viel man gleichzeitig erledigen kann.“ Der Gesichtsleser bescheinigt mir eine sogenannte „Lehrmeister-Augenbraue“, denn ich sammelte gern Wissen an und hätte eine gute Allgemeinbildung und viele Interessen. In meinem Gesicht liest er auch gute analytische Fähigkeiten und Feinfühligkeit. „Sie arbeiten gern systematisch, organisiert und auch logisch und verschaffen sich erst mal einen Überblick, bevor Sie zur Tat schreiten. Sie sind praktisch veranlagt und sind sehr selbstbewusst.“ Mein Gedanke: Ja, genau so bin ich.

Auch die Falten im Gesicht sind aussagekräftig

Auch Führungsqualitäten liest er bei mir, aber es sei Führung mit Milde, nicht mit Strenge. „Sie ziehen Energie aus Ihrem Team, sind keine Einzelkämpferin. Sie brauchen manchmal Kritik, um sich weiterzuentwickeln.“ Und er attestiert mir ein ausgeprägtes Moralbewusstsein. „Sie stehen zu Ihrem Wort.“

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Schließlich nimmt er die Falten ins Visier: Die Falten an meinen Augen seien echte Lachfalten: „Sie sind ein humorvoller Mensch und haben viel Spaß im Leben. Dann haben wir die Kümmererfalte. Und hier unten an der Unterlippe sind kleine Falten. Sie heißen Verbitterungsfalten. Sie können dafür stehen, dass man keine Belohnung dafür bekommen hat, dass man sich an die Regeln gehalten hat und auch, dass man erwartet, dass sich das Umfeld an diese Regeln hält.“ Dann kommt etwas, das mich aufhorchen lässt: „Es kann auch auf Probleme mit der Bauchspeicheldrüse deuten. Lassen Sie die mal überprüfen.“

Worin sich Gesichtsleser Kristian Beckmann gründlich irrt

Er liest in meinem Gesicht auch mehrere Talente: Er bescheinigt mir viel Kreativität, eine Liebe zum Reisen und viel Intuition. „Wie ich es gesehen habe, sind Sie tatsächlich in Balance, was Ihre Persönlichkeit angeht“, sagt Beckmann. So etwas hört man doch gern. Am Ende sitze ich da und bin erstaunt: Ich fühle mich so gesehen, wie ich mich selbst wahrnehme.

Erstaunlich für mich ist, dass Kristian Beckmann das mit der Bauchspeicheldrüse erwähnt hat – diese Schwachstelle meines Körpers ist mir nämlich schon bekannt. In einem Punkt liegt der Gesichtsleser aber grundlegend falsch: Dass ich vor lauter Kümmern um andere meine eigenen Bedürfnisse vernachlässigen würde. Keine Sorge, darum kümmere ich mich schon.