Hamburg. Aline aus Schnelsen sieht Geburten im Krankenhaus kritisch und wollte ihr Baby zu Hause auf die Welt bringen. Doch dann kam es anders.
- Familie bemalte Regentonne für anstehende Geburt.
- Gegen Ende der Schwangerschaft kam es zu Komplikationen.
- Aline aus Schnelsen kämpfte im Krankenhaus um Autonomie.
Wenn eine Geburt bevorsteht, dann gibt es viel zu organisieren. Bei rund 98 Prozent aller schwangeren Frauen heißt das konkret: im Krankenhaus anmelden, Geburtstasche packen und möglicherweise Betreuung für größere Geschwisterkinder organisieren. Aline und Jan aus Hamburg-Schnelsen, die ihren Nachnamen nicht öffentlich machen wollen, haben das alles nicht getan.
Stattdessen hievten sie mit ihren Kindern Philipp (18), Leander (12) und Emilius (2) eine Regentonne ins Wohnzimmer und malten sie bunt an. Außerdem kauften sie einen neuen Gartenschlauch, der warmes Wasser in die Tonne lassen sollte. An der Wohnzimmerdecke hängt immer noch der dicke Haken für das Tuch, an dem sich Aline in den Wehen festhalten wollte. Doch aus alledem wurde nichts. Noch bevor die Geburt begann, landete Aline als Notfall im Krankenhaus.
Hausgeburt von Aline aus Hamburg-Schnelsen: „Ich finde es mutig, ins Krankenhaus zu gehen“
Die 39-Jährige ist nicht esoterisch. Sie wirkt anpackend und robust. Nachdem sie ihre ersten beiden Söhne im Krankenhaus auf die Welt gebracht hatte, war sie sich einfach nur sicher, dass sie das nicht noch einmal möchte. Und es gibt viele, die sie dafür als mutig bezeichnet haben. Aline sieht es anders: „Ich finde es mutig, ins Krankenhaus zu gehen und die Selbstbestimmung abzugeben.“
Sie vertritt eine klare Meinung: „In der Klinik erleben viele Frauen als Erstes, dass auf irgendeine Art interveniert wird. Da werden Zugänge gelegt mit dem Beisatz ‚falls was ist‘. Da wird einem suggeriert, dass man sich in eine gefährliche Situation begibt, es möglicherweise nicht alleine schafft. Da bieten sie einem Mittel gegen Schmerzen an, wenn noch gar keine da sind.“ Aus ihrer Sicht sind all das Interventionen, die heute als normal gelten, obwohl sie in den Leitlinien nicht vorgesehen seien.
Gegen Ende der Schwangerschaft kommt es bei Hamburgerin zu Komplikationen
Weil sie sich sicher war, dass ihr Körper eine Geburt alleine schafft, hatte sie sich bereits bei ihrem dritten Kind dafür entschieden, zu Hause zu gebären. „Es war wunderschön, ganz ruhig und vertraut – und alle waren dabei“, erinnert sie sich. Als sie nun erneut schwanger wurde, stand für sie fest, dass sie es noch mal genauso machen wollte.
Was aber ist passiert? Bis zur 37. Schwangerschaftswoche verlief Alines Schwangerschaft ganz normal. Doch an einem Sonntag im Sommer spürt sie, dass etwas nicht stimmt. Sie leidet plötzlich unter Kopf- und Oberbauchschmerzen, dazu kommt starke Übelkeit. Ihre Hausgeburtshebamme rät ihr, ins Krankenhaus zu gehen, um das sogenannte HELLP-Syndrom auszuschließen.
Das HELLP-Syndrom ist eine schwere Schwangerschaftserkrankung. Sie äußert sich durch hohe Leberwerte und Blutarmut und ist gefährlich für Mutter und Kind. Unbehandelt kann das Syndrom lebensbedrohlich werden.
Krankenhaus: Hamburgerin muss zwischen Einleitung und Kaiserschnitt wählen
Noch am selben Tag fährt Aline in die Klinik, deren Namen sie nicht nennen möchte. Das CTG, das Wehen- und Herztätigkeit überwacht, ist unauffällig. Doch als eine Ärztin ihre Niere abklopft, krümmt sich Aline vor Schmerzen. Wenig später lassen dann auch die Blut- und Urinwerte keine andere Diagnose zu als diese: Es ist das HELLP-Syndrom. Und die Werte sind bereits so schlecht, dass die Schwangerschaft sofort beendet werden muss.
Aline hat nur kurz Zeit, sich zwischen einer Einleitung oder einem Kaiserschnitt zu entscheiden. Sie wählt die Einleitung und bricht dann zum ersten Mal zusammen. „In dem Moment war mir klar, dass es nun ganz anders laufen wird. Und auch, wenn mir immer klar war, dass ich bei schwerwiegenden Komplikationen sofort ins Krankenhaus gehe, war das sehr hart.“
„Hands off“: Hamburgerin schreibt Liste mit Dingen, die sie nicht möchte
Dann muss alles ganz schnell gehen. Gegen 16 Uhr wird die Geburt mit einem Gel eingeleitet. Dazu bekommt Aline eine Magnesiuminfusion, die das Krampfrisiko senken soll, das bei einem HELLP-Syndrom besteht. Wenig später zeichnet das CTG die ersten Wehen auf.
Aline versucht, sich zu sammeln, wieder die Autonomie zurückzugewinnen, die ihr so wichtig ist. Und so schreibt sie eine Liste mit Dingen, die sie nicht möchte: keine erzwungene Geburtsposition, keine Saugglocke, kein Anfassen unter der Geburt („hands off“), kein Abnabeln vor der Plazentageburt. Und auch ein Arzt soll nicht gerufen werden, wenn das Kind kommt.
Die Nacht verläuft mit leichten Wehentätigkeiten. Aline möchte in die Badewanne, da sie sich im Wasser am wohlsten fühlt. Doch die Ärzte lehnen ab. Da sei das Krampfrisiko zu groß. Um 6 Uhr am nächsten Morgen kommt Aline dann in den Kreißsaal, auch Jan ist dabei. Doch die Wehen werden einfach nicht stärker. Erneut soll nun ein Einleitungsgel gegeben werden. Doch Aline blockt ab. Sie sagt, sie braucht einen Moment zum Nachdenken.
Krankenhaus Hamburg: Klinik macht Hebammenwechsel möglich
Und dann folgt eine Situation, die sie bis heute wütend macht. „Die Hebamme fragte, ob sie mit den Fingern fühlen darf, ob sich der Muttermund geöffnet hat. Das war für mich okay. Nicht okay war, dass sie mir gegen meinen Willen dabei wieder Gel gegeben hat. Außerdem hat sie ohne Absprache mit den Fingern die Eihaut vom Gebärmutterhals getrennt, um den Geburtsverlauf zu beschleunigen und dabei sogar meinen Muttermund verletzt. Das war übergriffig, unnötig und eine der Situationen, die es zu Hause nicht geben würde!“
Aline, die ihre ersten drei Geburten nicht als schmerzhaft empfunden hat, erlebt nun zum ersten Mal schmerzhafte Wehen. Und dann ist da wieder die Angst. Nicht vor der Geburt an sich, sondern davor, die Kontrolle abzugeben. „In diesem Moment wollte und konnte ich so nicht mehr weitermachen“, erinnert sie sich. Es folgt ein weiterer Zusammenbruch. „Dieses Mal ließ ich alles raus, und danach wusste ich, was ich brauche.“
„In so einer Situation für sich einzustehen, halte ich für sehr wichtig“
Aline und Jan fordern einen umgehenden Hebammenwechsel, und das Krankenhaus macht es möglich. Die beiden neuen Hebammen unterstützen Aline aus voller Überzeugung in ihren Wünschen und lassen Wasser in die Wanne, wenn auch mit niedriger Temperatur als sonst üblich. „In so einer Situation für sich einzustehen, halte ich für sehr wichtig und würde es jeder Frau empfehlen“, sagt sie. Und tatsächlich läuft bei Aline ab jetzt alles besser.
Kurz nachdem die Fruchtblase platzt, ist Aline dann ganz bei sich. „Ich konnte der Natur ihren Lauf lassen, und wenige Minuten später gebar ich unser Baby ohne großes Pressen vor dem Bett im Vierfüßlerstand, ohne jegliches Zutun der Hebammen. Niemand hat mich oder das Baby angefasst, so wie wir es besprochen hatten.“
Hausgeburt: Ganz am Ende kommt die Regentonne doch noch zum Einsatz
Auch eine Ärztin ist bei der Geburt nicht dabei. Ob es die Ärztin nicht rechtzeitig geschafft hat oder ob die Hebammen auch diesen Wunsch von Aline möglich gemacht haben, weiß wohl niemand so genau. Und in diesem Moment, in dem sie ihr Baby in den Händen hält, ist das wohl auch egal. Das Erste, was Aline, fast schon etwas entgeistert, sagt, ist: „Ich glaube, es ist ein Mädchen.“
Warum entgeistert? „Ich habe ja schon drei Jungs und war irgendwie davon ausgegangen, dass es wieder einer wird. Wir hatten aber auch keine Präferenzen, ich war einfach erstaunt“, sagt Aline. Ihr kleines Mädchen nennen sie Annelie.
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Eineinhalb Tage später können beide schon wieder nach Hause. Weil Alines Werte zunächst noch nicht wieder ganz stabil sind, übernimmt ihr Hausarzt die weitere Beobachtung. Und als es ihr wieder besser geht, holen sie endlich den Moment nach, den sich Aline so gewünscht hatte. Ehemann Jan füllt die Regentonne, die er im Wohnzimmer stehen gelassen hat, mit warmem Wasser. „Annelie und ich haben dort das erste gemeinsame Bad genommen“, sagt Aline. „So konnte ich meinen Frieden mit der Situation machen“, sagt Aline.