Hamburg. „Der Tod ist ein Arsch“, sagt Anemone Zeim aus Eimsbüttel. Wie die Trauerbegleiterin Menschen Mut macht, die ihr Tier verloren haben.
- In der Erinnerungswerkstatt in Eimsbüttel hilft die Trauerbegleiterin Tierbesitzern.
- Anemone Zeim sieht trotz vieler Tränen auch „Erfrischendes“ an ihrer Arbeit.
- Die Gesellschaft nimmt trauernde Tierhalter oft nicht ernst.
„Es ist doch nur ein Tier.“ Oder: „Nun steigere dich mal nicht so rein.“ Es sind solche Sätze mancher Mitmenschen, die verstören, die wehtun. Denn wenn das geliebte Haustier stirbt, stirbt ein Sozialpartner. Dann trauern Halter und Halterinnen, und manchmal benötigen sie bei der Bewältigung ihres Schmerzes Hilfe. In Hamburg-Eimsbüttel unterstützen Trauerbegleiterin Anemone Zeim und ihr Team Tierhalter.
Es sind zwei Trauernde, die an diesem Abend in das Ladengeschäft – die sogenannte Erinnerungswerkstatt – von „Vergiss mein Nie“ an der Eimsbütteler Chaussee gekommen sind, um hier Hilfe zu bekommen. Beide Frauen haben ihre Hunde verloren, der eine ist erst vor zwei Wochen verstorben, die andere Hündin vor mehr als einem Jahr. Der Schmerz, die Trauer, sind bei beiden Hundehalterinnen sehr groß. Denn was bleibt, wenn das geliebte Tier geht, ist ein Vakuum, eine manchmal unerträgliche Leere.
Eimsbüttel: „Ich muss jeden Tag weinen, ich möchte nicht mehr weinen“
„Er hat mich durch schwere Zeiten begleitet und immer wieder zum Lachen gebracht“, sagt die eine Frau über ihren kürzlich verstorbenen Rüden. „Ich weine so viel und möchte nicht mehr weinen“, sagt sie, und ihre Tränen fließen. Beide Trauernde möchten gern anonym bleiben.
Hier in dem Raum mit Blick auf das Treiben an der Eimsbütteler Chaussee dürfen sie trauern, weinen, lachen. Vor allem reden sie über ihre Gefühle, ihre Nöte. Über Emotionen, die für Nichttierhalter womöglich kaum nachvollziehbar sind. Für jeden, der ein Haustier hat, aber umso mehr.
Trauer in Hamburg: Anemone Zeim wollte nach einem Trauerfall Sinnstiftendes machen
Für die Hinterbliebenen von verstorbenen Menschen bietet Anemone Zeim wie andere Organisationen auch bereits seit zehn Jahren eine professionelle Trauerbegleitung an – und nun auch für Tierhalterinnen. Früher hat sie in der Werbung als Texterin gearbeitet. Nach einem Trauerfall in der Familie hat sie sich umorientiert, wollte etwas Sinnstiftendes machen und hat sich zur Trauerbegleiterin ausbilden lassen, entsprechende Kurse besucht und viel über Psychologie gelernt.
In ihrem Laden „Vergiss mein Nie“ an der Eimsbütteler Chaussee bietet sie neben der Trauerbegleitung auch kleine Geschenke und besondere Trauerkarten an. Diese sind durchaus humorvoll gestaltet, auch wenn das Thema ernst ist.
„In der Trauer geht es auch darum, den Mut zu haben und vielleicht den Betroffenen ein kleines Trauergeschenk zu machen.“ Garantiert ohne platte Sprüche, sondern humorvoll und extravagant. Das ist durchaus erlaubt.
Erinnerungswerkstatt: Auch Halter eines Siebenschläfers kam zur Trauerbegleitung
Das Gespräch von Trauernden mit ihr und der Austausch mit Gleichgesinnten könne gegen die Ohnmacht helfen und unterstützt Trauernde dabei, sich angstfrei mit der eigenen Trauer auseinanderzusetzen. Es seien tatsächlich überwiegend Frauen, die den Weg zu ihr finden. „c“, sagt Anemone Zeim. „Es geht um den, der bleibt, und den, der fehlt.“ Der Unterschied: Bei einem Tier ist die schlimme Trauerphase meist kürzer als wenn ein Mensch stirbt, sagt die Halterin eines 13 Jahre alten Pudels.
Die Gesellschaft, sagt Anemone Zeim, nehme trauernde Tierhalter oft nicht ernst. „Das Umfeld hat schnell gut gemeinte Tipps parat.“ Doch wer einen Hund, eine Katze oder auch einen Wellensittich verloren hat, hat einen „Partner in Crime“, einen Lebens- und Sozialpartner, verloren. Anemone Zeim hatte in ihrer Gruppe auch schon den Halter eines Siebenschläfers und eines Islandpferdes. Doch die meisten Menschen trauern um Hund und Katze.
Tiere in Hamburg: „Manche fühlen sich regelrecht wie Mörder“
Der Verlust ist das eine, die Umstände des Todes sind für viele Tierhalter ein weiteres Problem. Denn oftmals haben sie über Leben und Tod entschieden, indem sie ihr Tier haben einschläfern lassen. „Da spielen höchst komplexe Gefühle eine Rolle, manche fühlen sich regelrecht wie Mörder“, sagt Anemone Zeim. Und häufig, sagt sie, lägen der Trauer um das Tier andere Schicksalsschläge oder Lebenskrisen zugrunde. „Diese kommen dann wieder hoch und können die Trauer verschärfen.“ Dann gehe es nicht nur um das verlorene Tier.
Diese Sorgen und Nöte versuchen die 43-Jährige und ihre Kolleginnen aufzufangen. Alle zwei Wochen trifft sich die offene Tiertrauergruppe, auch ein Online-Treffen ist möglich. Eineinhalb Stunden lang dauert eine solche Trauerstunde. So wie die beiden Frauen an diesem Abend erzählen die Betroffenen zunächst, was passiert ist, um wen sie trauern. „Wir geben ihnen den Raum dafür, Gleichgesinnte geben ihr Feedback, niemand wird hier verurteilt.“
Das Reden ist das eine, das Handeln das andere. Und so werden die beiden Hundehalterinnen dazu gebracht, den Trauerprozess kreativ zu bewältigen. Die Trauernden gestalten zum Beispiel etwas mit dem Namen des Hundes, sprechen über dessen Charakterzüge.
Eimsbüttel: „Trauernde erleben einen Kontrollverlust, egal ob sie um einen Mensch oder um ein Tier trauern“
Warum? Um die Kontrolle wiederzuerlangen. Denn: „Trauernde erleben einen Kontrollverlust, egal, ob sie um einen Menschen oder um ein Tier trauern“, sagt Anemone Zeim. „Etwas zu tun zu haben, aktiv zu werden, kann dabei helfen, die Kontrolle zurückzugewinnen.“
Anemone Zeim liebt, was sie tut, auch wenn sie natürlich sehr viel mit traurigen Geschichten zu tun hat, mit Tränen – so die Vorstellung. Tatsächlich geht es ihr nicht nur darum, den Trauernden zu helfen, „es geht auch darum, Trauerkultur zu verändern“.
- In diesem Bezirk wird die Leinenpflicht verstärkt kontrolliert
- Immer mehr Hunde in Hamburg – jetzt sind die Halter gefragt
- Immer mehr Hunde in Hamburg – die beliebtesten Rassen
Und das Schöne an ihrem Beruf: „Es passieren ja Fortschritte.“ Sie selbst fühlt sich nach einer Trauerbegleitung häufig frisch. Und eine Trauerbegleitung sei etwas ganz anderes als eine Sterbebegleitung: „Ich begleite die Menschen zurück ins Leben.“
Weitere Informationen: Vergiss mein Nie, Eimsbütteler Chaussee 71. Eine Sitzung kostet 15 Euro.