Hamburg. Pflegedienstleiter vom Albertinen Krankenhaus über die Arbeit in der Psychiatrie – und den ständigen Kampf gegen Vorurteile.
„Ich glaube, in der Gesellschaft tut sich gerade etwas“, freut sich Sven Christiansen. „Das liegt sicherlich auch daran, dass sich Prominente ,outen‘ und sagen: Ich hatte eine Depression, ich lasse mich behandeln.“ Trotzdem begegnet der Pflegedienstleiter in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Albertinen Krankenhaus in Schnelsen noch vielen Vorurteilen im Umgang mit psychisch Kranken.
Im Abendblatt-Podcast „Hamburger Klinikhelden“ wirbt die erfahrene Pflegekraft für eine Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen und erklärt, wie den Patienten mit viel Einfühlungsvermögen und medizinischem Know-how in der Klinik geholfen wird.
Krankenhaus Hamburg: Warum man psychiatrischer Krankenpfleger werden will
Mit 17 Jahren hat Sven Christiansen zum ersten Mal Menschen mit seelischen Erkrankungen näher kennengelernt, bei einem Schülerpraktikum in der Psychiatrie. Die Menschen, die dort untergebracht waren, schützen zu wollen, sei sein sofortiger Impuls gewesen. Der Berufswunsch „psychiatrischer Krankenpfleger“ war da.
Schnell kam er nach dem Abschluss seiner Ausbildung in Leitungsfunktionen. Nach Stationen in der forensischen Psychiatrie, in der gerichtlich verurteilte Menschen mit psychischen Störungen oder Suchterkrankungen untergebracht werden, und Auslandserfahrung in der Schweiz, entschied sich der Pflegeprofi 2021 bewusst für das Albertinen Krankenhaus in Schnelsen. Nebenbei unterrichtet er in mehreren Krankenpflegeschulen und erlebt bei seinen Schülern anfangs häufig großen Respekt vor dem bevorstehenden Einsatz in der Psychiatrie.
Psychiatrie: Patienten sind keine weggesperrten „Verrückten“
„Meine Aufgabe ist es, den Schülerinnen und Schülern die Angst zu nehmen. Es wird viel erzählt, dass in der Psychiatrie Verrückte auf sie warten, die dort weggesperrt werden, aber so ist es ja gar nicht“, sagt Christiansen. Er vermittelt dem Berufsnachwuchs, dass die Patienten besondere Bedürfnisse haben. „Wir sind dafür da, die Menschen in einer psychischen Krise aufzufangen, sie dort abzuholen, wo sie gerade sind.“
Wer einen Menschen in einer psychischen Krise in seinem Umfeld hat, versucht in der Regel, zunächst über einfühlsame Gespräche mit ihm die Situation aufzufangen, aber oftmals reicht das nicht aus. Als Reaktion darauf ziehen sich Angehörige und Freunde aus Hilflosigkeit manchmal zurück. Sven Christiansen rät, an dem Betroffenen dranzubleiben und ihn oder sie zu motivieren, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Albertinen Krankenhaus hat psychiatrische Institutsambulanz und Tagesklinik
„Es kann der Weg über den Hausarzt sein, der eine Überweisung zum Psychiater ausstellt. Im Krankenhaus muss es auch nicht immer gleich die stationäre Aufnahme sein. Im Albertinen Krankenhaus gibt es auch eine psychiatrische Institutsambulanz und eine Tagesklinik.“ Wird ein Patient stationär behandelt, begleitet das Fachpersonal der Klinik dessen Familie mit, um ihm nach der Entlassung zu Hause weiterzuhelfen.
Den seelischen Zustand des Erkrankten verstehen – das ist nicht nur für das private Umfeld herausfordernd, sondern auch für die Profis im Krankenhaus, denn Menschen in psychischen Krisen machen häufig nach Außen dicht. „Ich erinnere eine Patientin, bei der es ein Jahr gedauert hat, bis ich verstanden habe, was eigentlich mit ihr los ist“, erzählt Sven Christiansen.
Psychiatrie: Alle Berufsgruppen tauschen sich eng über Patienten aus
Ein enger Austausch mit allen Ärzten, Psychologen, Therapeuten und eventuell Sozialarbeitern, die sich um einen Patienten kümmern, sei deswegen essenziell. „Wir sind interprofessionell tätig. Aus allen Berufsgruppen fassen wir täglich alles zusammen, was wir von den Patienten wahrnehmen und entwickeln daraus ein gemeinsames Behandlungskonzept“, so der Pflegedienstleiter.
Ständig über die Patienten im Gespräch zu sein, sei immens wichtig bei den sensiblen Zuständen, in denen sie steckten. „Bevor zum Beispiel ein Arzt entscheidet, ob ein Patient Ausgang bekommt, wird er immer alle im Team fragen, insbesondere die Pflege. Wenn wir das zu diesem Zeitpunkt kritisch sehen, wird der Arzt unsere Einschätzung bei seiner Entscheidung berücksichtigen.“
Die Nähe zum Patienten sei das Wichtigste in der psychiatrischen Pflege, sagt Sven Christiansen. „Wir gehen sehr schnell in die Beziehung und versuchen, den Patienten darüber Sicherheit, ein Stück weit Geborgenheit und Verständnis für ihre Situation zu geben, die sie vielleicht vorher, außerhalb der Klinik, nicht hatten.“
Albertinen Krankenhaus hat Station für Abhängigkeitserkrankungen
Psychosen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, Zwangsstörungen – all diese Krankheitsbilder versorgt die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Albertinen Krankenhaus auf verschiedenen Schwerpunktstationen, unter anderen für seelische Störungen im mittleren und höheren Lebensalter, um diesen Patienten einen besonders geschützten Bereich zu bieten. Auch eine Station für Abhängigkeitserkrankungen mit dem Fokus Alkohol und Medikamente gibt es. Der qualifizierte Entzug bei einer Abhängigkeitserkrankung ist bei 21 Tagen festgesetzt. Wer danach erneut in eine Krise rutscht oder rückfällig wird, soll wissen, dass er in der Klinik willkommen ist.
„Wir wünschen uns, dass der Patient aus eigenem Antrieb wiederkommt und weiß: Ich brauche mich nicht dafür zu schämen.“ Gerade Suchterkrankte gestehen sich ihre Abhängigkeit oft nicht ein. Wer sich fremdmotiviert von Freunden oder Familie in einen Entzug begibt, wird häufig scheitern. Die Erkenntnis, medizinische Unterstützung zu benötigen, sollte vom Betroffenen selbst kommen.
Psychiatrie Hamburg: Christiansen mag Begriff „geschlossene“ Abteilung nicht
Menschen in schweren Krisen, bei denen eine Eigen- oder Fremdgefährdung besteht, können im Albertinen in Abstimmung mit dem Patienten – oder gerichtlich angeordnet – auch in der geschützten Station aufgenommen werden. Den Begriff „geschlossene” psychiatrische Abteilung mag Sven Christiansen nicht: „Das hört sich so negativ an. Wir schützen die Patienten in diesem Bereich.“ Abgeschirmt von äußeren Reizen auf den offenen Stationen können Patienten hier Ruhe finden.
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Menschen in schweren psychischen Krisen können manchmal unberechenbar handeln. Respekt dürfe man haben, Angst vor dem Patienten aber nicht, das gibt der Pflegedienstleiter auch an seine Kollegen und Auszubildenden weiter: „Mein Credo ist, dass es wichtig ist, immer eine Beziehung zu dem Patienten aufzubauen. Ich habe in meiner Karriere erlebt, dass, wenn es zu irgendwelchen Übergriffen kam, oftmals Kollegen betroffen waren, die eben nicht gut mit den Patienten in Kontakt standen. Meine Erfahrung ist, dass ich jeden Patienten kennen muss, die Diagnose, den Hintergrund, seine Geschichte. Wenn ich ihn verstehe, wird mir nichts passieren.“
Selbstverständlich erhielten neue Mitarbeiter ein Training, wie sie sich in kritischen Situationen richtig verhalten. „Zusätzlich haben wir ein Personalnotrufsystem“, erzählt Christiansen. „Das sieht aus wie ein ganz normales Telefon, da ist ein roter Knopf drauf. Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, wann er sich bedroht fühlt oder was für ihn Krise ist, das muss nicht immer Gewalt oder Aggression sein.“
Krankenhaus Hamburg: Pflegedienstleiter will Angst vor Psychiatrie nehmen
Die Arbeit in der psychiatrischen Pflege ist fordernd, dennoch sieht Sven Christiansen den Fachkräftemangel in Pflegeberufen für seinen Bereich nicht. Es gäbe viele junge Bewerberinnen und Bewerber, die in der Psychiatrie arbeiten möchten. Das sei schön, der Pflegedienstleiter sieht sich hier aber auch in einer besonderen Fürsorgepflicht. „Was mir Sorge macht, ist die neue generalisierte Ausbildung. Es wurde etwa die Hälfte vom theoretischen und praktischen Anteil der Psychiatrie gekürzt.“ Das Krankenhaus steuert mit internen Fortbildungen nach.
Jedem, der in einer Krise steckt und glaubt, Hilfe zu brauchen, ermutigt Chrstiansen, sich diese zu holen: „Es gibt ja kleine Schritte. Es gibt Hilfetelefone. Und wenn man, vielleicht mit einem vertrauten Menschen, eine Klinik aufsucht, finde ich eines wichtig: Es braucht niemand Angst davor zu haben, in die Psychiatrie zu kommen, weil dort wirklich tolle, professionelle Menschen arbeiten.“