Hamburg. Bewohner am Grindelhof in Rotherbaum fühlen sich unter Druck gesetzt. Linkspartei kritisiert das Vorgehen. Was der Mieterverein rät.

Während sich auf der Straße im quirligen Grindelviertel das Leben tummelt, herrscht hinter den zum Schutz vor der Sonne zugezogenen Gardinen der Fenster des Hauses am Grindelhof 87 derzeit vor allem ein Gefühl vor: Angst. 70 Parteien wohnen in dem in die Jahre gekommenen 50er-Jahre-Bau. Alle fanden kürzlich einen Brief der Hausverwaltung im Briefkasten: „Wir möchten gern das von der Hausverwaltung angekündigte Gespräch bezüglich Ihres Mietverhältnisses mit Ihnen führen“, heißt es darin.

Was dann folgt, ist für die Mieter ein Schock. „Sie haben mir bei dem Gespräch gesagt, dass Sanierungsarbeiten anstehen, sie Wohnungen zusammenlegen wollen und die Arbeiten sehr laut werden“, sagt Daniele Altieri, der seit zwei Jahren in dem Haus wohnt. „Bei einem weiteren Treffen soll ich einen Aufhebungsvertrag unterschreiben. Sollte ich das nicht tun, werde mir gekündigt.“

Mieter am Grindelhof werden „Angebote“ zum Auszug gemacht

Daraus, dass Mietern „Angebote“ zum Auszug gemacht werden, macht der nach eigenen Angaben neue Eigentümer, die Anima Projektentwicklungsgesellschaft mbH, keinen Hehl. „Wir machen den Mieter:innen in persönlichen Gesprächen ein Angebot, ihre Wohnung zu verlassen. Teilweise befinden wir uns bereits im dritten Gespräch mit den Mieter:innen“, teilt Geschäftsführer Mark Maurin auf Abendblatt-Anfrage mit. Details dazu, welche Angebote den Mieterinnen und Mietern gemacht werden, „können wir nicht öffentlich machen“, so Maurin.

Mieter Altieri sagt, ihm sei angeboten worden, dass die Kosten für einen Umzug und einen Makler für die Suche nach einer neuen Wohnung übernommen werden könnten. Ein weiteres Entgegenkommen wie eine Abfindung habe es nicht gegeben, so berichten es mehrere Hausbewohner übereinstimmend. „Das ist doch lächerlich“, sagt Mieterin Andrea Fernández. „Wir haben doch in den kleinen Wohnungen kaum etwas. Was soll da ein Umzug schon kosten?“

In Hamburg-Rotherbaum entstehen „Mikroapartments“

Darüber, dass es einen Eigentümerwechsel gegeben hat, seien die Bewohner zudem nicht unterrichtet worden. Auch nicht darüber, welche Sanierungen überhaupt anstehen. Details darüber, was mit dem Haus geplant ist, finden sich jedoch im Internet auf einer Crowdfunding-Seite. Dort preist die Anima Projektentwicklungsgesellschaft das Objekt für Anleger als „urbanes Wohnen für Singles, Studenten und Alleinstehende“ in „A-Lage in Hamburg Rotherbaum“ an. Angeboten werden Anteile von 500 bis 25.000 Euro, verzinst zu fünf Prozent. Es sollen „Mikroapartments“ entstehen, die Mieten „nach der Sanierung angepasst werden“.

Sehr klein sind die möblierten Wohnungen, die zum jetzigen Zeitpunkt weit entfernt von schicken Apartments sind, bereits jetzt. Die meisten haben gerade einmal 13 Quadratmeter, die größten messen 15 Quadratmeter – inklusive Bad und Küche. Der Zustand ist teilweise katastrophal. Eine Sanierung also durchaus notwendig. Doch müssen dafür alle Bestandsmieter, von denen einige bereits seit 30 Jahren dort leben, zwangsläufig weichen?

Auf der Internetseite steht: „Im Zuge des Projekts sollen die Wohneinheiten teils entmietet und – neben dem Dach, der Fassade und aller Gemeinschaftsflächen – umfassend saniert werden. Im Anschluss soll die Immobilie verkauft werden.“

Linken-Politiker: Mieter am Grindelhof sollen für Profite weichen

„Dass eine Immobilienfirma so offen von Entmietung schreibt, haben wir so auch noch nicht gesehen“, sagt Mikey Kleinert, Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksversammlung Eimsbüttel. Bereits 2019 sei es absehbar gewesen, dass Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils Rotherbaum „vor Verdrängung durch Luxussanierungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen geschützt werden müssen. Unsere Initiative in der Bezirksversammlung für eine soziale Erhaltungsverordnung wurde damals abgelehnt, da der Bedarf nicht gesehen wurde“, kritisiert der Bezirkspolitiker. „Das war eine Fehleinschätzung, die sich jetzt rächt: Menschen, die teilweise seit 1989 in dem Haus Grindelhof 87 leben, sollen jetzt für Profite weichen.”

Anima-Geschäftsführer Maurin bestreitet die Vorwürfe: „Es findet keine Entmietung statt und keine Bewohnerin, kein Bewohner muss das Haus verlassen. Es wird auch niemand genötigt.“ Grundsätzlich sei eine Sanierung auch möglich, wenn einzelne Mieterinnen und Mieter im Haus verbleiben wollten, so Maurin. „Erfahrungsgemäß wird das aber stressig während der Baumaßnahmen für sie, da laut und staubig.“

Mieter am Grindelhof: „Ich habe Existenzangst“

Für die Pläne, Wohnungen zusammenzulegen, könnten jedoch nicht alle Mieter im Haus verbleiben. „Wenn weniger als 50 Prozent der Mieter:innen ausziehen, können wir nicht alle Wohnungen wie geplant zusammenlegen. Das ist notfalls auch in Ordnung“, sagt Maurin. „Ebenso können die Mieter:innen, die auf rund 14 Quadratmetern weiterleben wollen, in ihrer, dann sanierten Wohnung, bleiben.“

Drastische Mieterhöhungen wird sich jedoch keiner der Bewohner leisten können. Derzeit liegt der Mietpreis bei unter 10 Euro pro Quadratmeter. Eine Wohnung im Viertel zu den bislang geltenden Konditionen zu finden ist ebenfalls utopisch. „Ich habe Existenzangst“, sagt Mieterin Fernández. Zudem sei der Umgang mit den Mietern herablassend. „Wie mit uns gesprochen wurde, ist respektlos und unwürdig.“ Auch Drohungen für den Fall, dass „juristische Maßnahmen“ eingeleitet würden, soll es gegeben haben. „Wir fühlen uns unter Druck gesetzt“, sagen mehrere Mieter.

Laut der Eigentümerfirma sei mit Gisela Richter-Hansen eine externe Fachkraft beauftragt worden, die Gespräche zu führen. Dass es Einschüchterungsversuche gegeben habe, könne man sich „überhaupt nicht vorstellen“. „Die Mietergespräche werden sehr individuell und kooperativ von mir geführt. Wir versuchen für jede Mieterin und jeden Mieter eine gute und verträgliche Lösung zu finden“, sagt Richter-Hansen dem Abendblatt. Zudem rate sie, sich bei der Entscheidung „professionell beraten zu lassen. Es wird niemand eingeschüchtert. In mehreren Fällen wird die Suche nach einer neuen Wohnung auch aktiv von mir unterstützt“.

Mieterverein zu Hamburg: Bewohner am Grindelhof müssen nicht ausziehen

Die Art der Gesprächsführung wird jedoch unterschiedlich bewertet. „Mit solchen ‚Gesprächen‘ wird Druck ausgeübt. Wer kann sich gegen die Ansage, dass das Haus durch die Umbau- und Sanierungsarbeiten unbewohnbar wird, schon wehren?“, kritisiert die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Carola Ensslen. „Ich halte das Ganze für höchst fragwürdig, weil der Mieterschutz ausgehebelt wird.“ Vermieter müssten Sanierungsvorhaben schriftlich erläutern „und das beendet im Grundsatz die Mietverhältnisse auch nicht“.

Eine Lösung sehen auch die meisten der Bewohner nicht. „Es ist das übliche Schauermärchen, das erzählt wird, damit die Mieter die Flucht ergreifen, ohne ihre Rechte vorher zu prüfen“, sagt Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg. Mieter mit laufenden Mietverträgen müssten jedoch erst mal nichts befürchten, so der Rechtsanwalt. „Sie haben auch einen Anspruch auf eine Ersatzwohnung während der Bauarbeiten.“

Die Mieter müssten zudem nur das dulden, was der Vermieter an „notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen“ macht, und Modernisierungen nur dann, „wenn sie zumutbar sind“. Sein Rat ist eindeutig: „Die Mieterinnen und Mieter sollen nichts unterschreiben und nicht ausziehen.“