Die Stadt Hamburg hat Schwierigkeiten, Flächen für Unterkünfte zu finden. Bei einem Grundstück in Niendorf scheitert es am Baurecht.

Mit einem Schlag, glaubt Dirk Johannsen, könnte er der Stadt einen Teil ihrer Sorgen abnehmen. Johannsen ist Projektentwickler für Immobilien und bietet der Stadt an, eine Flüchtlingsunterkunft in Niendorf zu errichten. Das brachliegende Grundstück am Vogt-Cordes-Damm ist größer als ein Fußballplatz. Die Bäume sind schon vor einiger Zeit gerodet worden. Ein zweigeschossiger Gebäudekomplex steht leer. Türen und Fenster sind notdürftig mit Brettern verrammelt.


Johannsen, der das Gelände für den Eigentümer vermarktet, hat folgende Idee: 240 Flüchtlinge könnten hier unterkommen. Das wäre hilfreich in einer Zeit, in der die Stadt händeringend nach Unterbringungsmöglichkeiten sucht, findet er. Doch der Bebauungsplan für das Grundstück, das am Ende der Start- und Landebahn des Flughafens liegt, erlaubt nur den Bau von Gewerbe-Immobilien. Das macht die Genehmigung nicht nur kompliziert, sondern nahezu unmöglich.

Hamburg muss in diesem Jahr 10.000 Menschen unterbringen

Seit vergangenem Sommer bietet Johannsen der Stadt die 12.500-Qua­dratmeter große Fläche an. Er macht keinen Hehl daraus, dass seine Motive nicht uneigennützig sind. Es geht ums Geschäft. „Aber ein Geschäft, das sich für beide Seiten rechnet“, sagt er.

Das ist die Ausgangslage: Hamburg muss in diesem Jahr 10.000 Menschen unterbringen, die vor Krieg und Armut geflüchtet sind. Noch vor drei Jahren waren es 1000 Frauen, Kinder und Männer aus den Krisengebieten der Welt, die Schutz in der Hansestadt suchten. Die Sozialbehörde rechnet damit, dass bis zum Ende dieses Jahres 22.000 Flüchtlinge in der Stadt leben werden, fast dreimal so viele wie im Jahr 2010. Angesichts dieser Zahlen geht Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) von einer der größten Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte aus. „Wir rechnen damit, dass die hier Schutz suchenden Menschen länger im Land bleiben als jene, die Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland kamen“, sagte er unlängst.

Bei der Suche nach Standorten für Unterkünfte gibt es Widerstand

Als Stadtstaat hat Hamburg – anders als Flächenländer – wenige Möglichkeiten, Flüchtlinge unterzubringen. Bei der Suche nach geeigneten Standorten stößt die Stadt auf Widerstand. Auf einem ehemaligen Recyclinghof in Lokstedt etwa scheiterte die Stadt an der fehlenden Akzeptanz der Eigentümer der Nachbargrundstücke. In Harburg und Billstedt gibt es Diskussionen über die Größe der Einrichtungen sowie die Standorte. Und zuletzt scheiterte das Flüchtlingsheim an der Sophienterrasse in Harvestehude an der Ablehnung von Anwohnern. Es fehlt also an Standorten, doch Projektentwickler Johannsen bekommt keine Genehmigung, das Gebäude am Vogt-Cordes-Damm für Flüchtlinge umzubauen. Und das, obwohl auch die Zahl städtischer Flächen für Unterkünfte knapper werden, private Grundstücke interessanter werden.

Bei der Frage nach Gründen für die ablehnende Haltung der Behörden gibt es immer wieder zwei Antworten: Fluglärm und Baurecht. Vor zwei Jahren hatte der Bezirk Eimsbüttel den Bebauungsplan für das Gebiet, das zwischen dem Flughafen, der Kollaustraße, Vogt-Cordes-Damm und Papenreye liegt, verändert. Seitdem ist es als reines Gewerbegebiet ausgewiesen.

Eigentlich wäre eine Unterbringung von Flüchtlingen in Gewerbegebieten möglich. Im vergangenen November hat der Bundestag das auf Initiative unter anderem von Hamburg beschlossen, um den Flüchtlingszahlen gerecht zu werden. Doch im Bebauungsplan mit dem Namen Niendorf 90 heißt es: „Ausnahmen für (...) Wohnungen (...) werden ausgeschlossen.“ Die Bewohner, die dort noch leben, genießen Bestandsschutz. Sie dürfen bleiben. Auf dem Gebiet des Bebauungsplans Niendorf 90 gibt es noch eine Hand voll Wohnhäuser.

Der Grund für die Änderung des Baurechts ist nachvollziehbar. Eimsbüttel hat wenige Flächen, auf denen zusätzlich Gewerbe untergebracht werden kann. Diese Niendorfer Fläche scheint dafür ideal zu sein. Etwa die Hälfte des Gebiets ist im Besitz der Stadt. Hinzu kommt der Lärm der startenden und landenden Flugzeuge.

Bei der Begründung für die Ablehnung zitiert die Sozialbehörde aus dem Bebauungsplan. „Auch die in privatem Eigentum stehenden Wohngrundstücke an der Kollaustraße und am Vogt-Cordes-Damm sollen mittelfristig für gewerbliche Zwecke entwickelt werden. Die vorhandenen Wohnnutzungen sind heute erheblichen Belastungen durch Lärmimmissionen aus Flugverkehr und Straßenverkehr ausgesetzt“, sagt Behörden-Sprecher Marcel Schweitzer.

Aber wie lebt es sich eigentlich an diesem Ort? Klar ist, dass die Zahl der Flugbewegungen hier besonders hoch ist. 41.860 Starts und Landungen sind im vergangenen Jahr gezählt worden. Das sind 28 Prozent aller Flugbewegungen am Flughafen. Durchschnittlich heben 114 Flugzeuge über die Kollaustraße täglich ab oder steuern auf Fuhlsbüttel zu. Dennoch: „Wir wohnen gerne hier. Und natürlich kann es laut werden“, sagt eine Anwohnerin vom Vogt-Cordes-Damm. Sie bittet darum, ihren Namen nicht zu veröffentlichen, mag aber trotzdem gerne Auskunft geben. „Die Flugzeuge fliegen hier schon tief über die Häuser. Aber es stört mich nicht so sehr, dass ich hier nicht wohnen könnte.“ Manchmal sei sogar der Auto-Lärm der Kollaustraße störender. Wie sie es trotzdem aushält? „Wir haben Schallschutzglas. An der Anschaffung hatte sich seinerzeit der Flughafen finanziell beteiligt.“ Außerdem biete die Lage auch Vorzüge. „Wir sind gut angebunden. Der 5er-Bus fährt vor der Tür. Zum Einkaufen haben wir das Tibarg Center nebenan und ich bin schnell in der Stadt.“

Eine gute Anbindung ist für Flüchtlingsunterkünfte erwünscht. Die Bewohner sollen in der Nähe einkaufen und ihre Kinder in Kitas und Schulen schicken können und damit am sozialen Leben teilnehmen. Das wird wohl auch einer der Gründe dafür sein, dass es auf dem Gelände des Bebauungsplans Niendorf 90 bereits eine Unterkunft für Flüchtlinge gibt. 15 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind dort untergebracht.

Warum ist ausgerechnet das kein Problem? Die Bewohner sollen dort nicht dauerhaft, sondern höchstens ein halbes Jahr untergebracht werden, heißt es aus der Sozialbehörde.

Die Anwohnerin vom Vogt-Cordes-Damm hat nichts dagegen, wenn Flüchtlinge in ihre Straße ziehen würden. „Irgendwo müssen die ja unterkommen.“ Und im Übrigen wisse sie auch nicht, „warum man hier nicht wohnen können soll“. Sie ist nicht allein mit ihrer Meinung. Auf der anderen Seite des Vogt-Cordes-Damms leben auch Menschen. Und das offenbar so gern, dass sie gerade erst neu gebaut haben. Auch sie sind denselben Fluglärmbelastungen ausgesetzt wie die Nachbarn gegenüber. Aber bei ihnen gilt ein anderes Baurecht. Und das lässt Wohnbebauung zu.

Warum geht es also nicht auf beiden Seiten? Ein Bebauungsplan gilt nicht für alle Zeiten. Er kann geändert werden. Projektentwickler Dirk Johannsen sagt: „In einer Zeit, in der Raum knapp ist, muss die Stadt sich entscheiden, was notwendiger ist: einen Bebauungsplan zu verteidigen oder Menschen unterzubringen.“

Das Gelände in Niendorf taugt nicht zu einem stadtweiten Symbol

Dass es geht, zeigt die Stadt derzeit in Harvestehude. Der ebenfalls für die Sophienterrasse zuständige Bezirk Eimsbüttel treibt eine Baurechtsänderung voran. Weil sich die Anwohner auf den alten Bebauungsplan aus den 50er-Jahren berufen, kann dort keine Flüchtlingsunterkunft für 220 Menschen errichtet werden. Nun wird das Baurecht geändert, um das zu ermöglichen. Die Hartnäckigkeit der Stadt bei diesem Projekt ist auch deshalb so groß, weil der Standort in Alsternähe Signalwirkung haben soll: Flüchtlinge werden nicht nur in sozialen Brennpunkten untergebracht, sondern auch in reichen Stadtteilen, lautet die Botschaft. Zu einem stadtweiten Symbol taugt der Vogt-Cordes-Damm nicht.

Marcel Schweitzer befürchtet, dass Anlieger gerichtlich gegen eine erneute Änderung des Bebauungsplans vorgehen und dabei erfolgreich sein könnten. Soll heißen: Wenn die Aussichten vor Gericht schlecht sind, soll keine Energie auf das Verfahren gelenkt werden. Außerdem stehen sich die Behörden mit ihren Vorschriften selbst im Weg. Würde der Bezirk den Bebauungsplan ändern, müsste er die aktuellen Lärmschutz-Vorschriften berücksichtigen. Und danach dürfte wegen des Fluglärms kein Wohnraum geschaffen werden – egal, ob das auf der anderen Straßenseite erlaubt ist. „Wir dürfen nichts genehmigen, selbst wenn die Anwohner das wollen. Die Lärmschutzvorschriften können dort nicht eingehalten werden“, sagt Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke.

Ohnehin sei an eine Änderung des Bebauungsplans derzeit nicht zu denken. Der Grund: Ein Anwohner klagt gegen das aktuelle Baurecht. Ein bis zwei Jahre könne dieser Prozess dauern. „Wenn Rechtssicherheit besteht, dann würden wir noch einmal prüfen, ob sich die Fläche doch für die Unterbringung von Flüchtlingen eignen könnte“, sagt Sevecke.

Doch Optimismus klingt anders. Der SPD-Politiker räumt ein, dass die Situation widersprüchlich ist. „Hier prallen viele Einzelinteressen zusammen – und das Flüchtlingsthema fällt dabei hinten runter.“